Mittwoch, 21. Mai 2025

Recruiter & KI: Auslaufmodell oder Superkraft der Zukunft? - Gespräch mit dem Recruiting-Spezialisten Wolfgang Brickwedde vom ICR

Die Vorbereitungen zum diesjährigen HR Innovation Day laufen auf Hochtouren. Die Interviews mit den Speakern und Workshop-Hosts bereiten mir immer viel Freude, weil ich dabei erfahre, wie viele Möglichkeiten zum Lernen und zum Erfahrungsaustausch sich durch eine Teilnahme am Event ergeben. Heute spreche ich mit Wolfgang Brickwedde, dem Chef des Institutes for Competitive Recruiting. Wolfgang hatte ich bereits für den HR Innovation Day 2020 fest eingeplant aber die Pandemie machte mir damals bekanntermaßen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Umso mehr freue ich mich mit Wolfgang einen der renommiertesten Recruiting-Experten Deutschlands als Keynote-Speaker an Bord zu haben. Der Titel seiner Keynote lautet „Recruiter & KI: Auslaufmodell oder Superkraft der Zukunft? Zwischen Hype, Hoffnung und harter Realität“. Vielen Dank lieber Wolfgang, dass Du endlich dabei bist und ich Dir heute vorab einige Fragen stellen kann.

Peter: Lieber Wolfgang, könntest Du Dich und Dein Unternehmen kurz vorstellen?
Wolfgang: Gern. Ich bin Wolfgang Brickwedde, Gründer und Director des Institute for Competitive Recruiting (ICR) in Hamburg. Das ICR erhebt seit 2010 Daten zu Recruiting-Trends, berät und schult Unternehmen, veranstaltet Wettbewerbe wie „Deutschlands beste Jobportale“ oder „Deutschlands beste Bewerbermanagementsysteme“ und bietet Formate wie die Online-Konferenz „Recruiting Trends“ oder in Präsenz den „Future of Recruiting Summit“ an. Kürzlich hat das ICR ein Recruiting Reifegrad Modell entwickelt, damit die Arbeitgeber wissen, wo sie (auch im Benchmark mit dem Wettbwerb) stehen und wie sie den nächsten Schritt in der Professionalisierung des Recruitings machen können. Gemäß dem ICR Motto: „Let's take your recruitment to the next level!“

Peter: Was hat sich in den letzten Jahren im Recruiting getan? Ist es wirklich nur KI, die hier dominiert?
Wolfgang: KI wirkt wie ein Turbo, aber sie ist nicht allein ausschlaggebend.
  • Erstens sehen wir einen sprunghaften Einsatz von Recruiting-Technologie; der Anteil der Unternehmen, die KI-Funktionen nutzen, ist von 2023 auf 2024 um 223 Prozent gestiegen.
  • Zweitens sorgen neue Transparenz-Regeln – man denke an die EU-Pay-Transparency-Richtlinie – und der EU-AI-Act mit seiner erstmals rechtlich verbindlichen Definition eines KI-Systems dafür, dass Datenqualität und Governance in den Vordergrund rücken.
  • Drittens hat sich die Erwartungshaltung der Kandidat*innen verändert: Sie wollen One-Click-Bewerbungen, sofortige Rückmeldungen und personalisierte Ansprache. KI beschleunigt diese Trends, aber sie ersetzt sie nicht.
Peter: Was erwartet Recruiter*innen durch den KI-Einsatz? Du sprichst hier von drei Szenarien.
Wolfgang: Das ist richtig. Ich beobachte drei mögliche Entwicklungspfade. 
  1. Szenario - Die Automatisierung kommt: KI nimmt uns transaktionale Tätigkeiten wie Screening, Terminierung oder Job-Posting ab und schafft Raum für strategische Aufgaben. Dies wird allerdings 30-40 % der Recruiting Jobs kosten.
  2. Szenario Job-Sharing: Mensch und Maschine arbeiten als Team: Algorithmen liefern Match-Scores oder Interviewleitfäden, wir interpretieren und treffen Entscheidungen. Bei diesem Szenario bewegt sich die Anzahl der Jobs im Recruiting bei +/- 5-10 %
  3. Szenario Renaissance des Recruitings: Laut Weltwirtschaftsforum entstehen bis 2030 rund 170 Millionen neue Jobs (90 Mio entfallen), etwa Prompt-Engineer oder AI-Ethics-Specialist, sodass Recruiting als Schnittstelle von Technologie und Mensch wichtiger denn je wird. Dazu kommt die demographische Entwicklung…
Peter: Ändern sich damit die Erfolgsfaktoren des Recruitings?
Wolfgang: Ja. Neben klassischem Beziehungsmanagement zählen künftig vor allem Data Literacy, also das Lesen von Funnel-KPI, Prompt-Fluency für den effektiven Umgang mit generativer KI, solide Governance-Kenntnisse zur Bias-Kontrolle und unverändert gutes Storytelling – denn Menschen bewerben sich nach wie vor bei Menschen. Recruiter 1.0, wie ich sie nenne, die also nur verwalten, werden immer weniger gebraucht. Was erfolgreiches Recruiting heutzutage ausmacht, zeigt das ICR Recruiting Reifegrad Modell. Damit wissen die Arbeitgeber über 15 erfolgskritische Recruitingprozesse, wo sie (auch im Benchmark mit dem Wettbwerb) stehen und wie sie den nächsten Schritt in der Professionalisierung des Recruitings machen können.

Peter: Gibt es auch Ängste bei Recruiterinnen und Recruitern durch den verstärkten KI-Einsatz?
Wolfgang: Die gibt es. Studien zeigen Sorgen vor Stellenabbau in administrativen Rollen oder vor Black-Box-Entscheidungen. Gleichzeitig zeigt der IAB-Futuromat, dass Berufe mit hoher persönlicher Interaktion – etwa Recruiter*innen – zu den am wenigsten automatisierbaren gehören. Meine Erfahrung: Wenn Teams die Algorithmen verstehen, beim Tool-Auswahlprozess mitreden und Weiterbildungen erhalten, verschwindet ein Großteil der Angst. Mein Leitsatz lautet deshalb für den Engpass Recruiting Bereich: Recruiter werden nicht durch KI ersetzt, sondern durch Recruiter, die KI nutzen. Im High Volume Recruiting sieht es anders aus. Dort wird die KI und Automatisierung zuerst Einzug halten. Beispiele aus den USA lassen und da schon einen Blick in die Zukunft werfen. Die Regulatorik in der EU wird allerdings die Entwicklung bremsen.

Peter: Was empfiehlst Du Studierenden, die einen Einstieg ins Recruiting anstreben? Welche Skills sind wichtig?
Wolfgang: Zunächst ein solides technisches Fundament – verstehen, wie ein ATS und eine Candidate Journey funktioniert, simple API-Workflows bauen, Prompts sauber formulieren. Dann Analytics: BI-Grundlagen, Statistik, Hypothesen testen, Kenntnisse über erfolgreiche Recruitingkanäle. Drittens Ethik: Ab 2. Februar 2025 müssen Unternehmen KI-Kompetenzen nachweisen, also braucht es Wissen rund um den AI-Act und Bias-Management. Und schließlich Human Skills: Umgang mit Fachvorgesetzten und Jobsuchenden, Empathie, Verhandlungsgeschick und die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen.

Peter: Das Motto der HR Innovation Days lautet „Mit KI HR besser machen?“. Wie kann KI konkret helfen, Recruiting besser zu machen, und wo liegen die wichtigsten Ansatzpunkte?
Wolfgang: Beginnen wir beim Content: Bereits 59 Prozent der Unternehmen nutzen Gen-AI, um Stellenanzeigen zu verfassen, und 47 Prozent personalisieren Sourcing-Mails – das hebt Response-Rates spürbar. Vodafone verschlagwortet Anzeigen automatisch und erstellt Match-Scores, bei der Deutschen Bahn beantwortet ein Chatbot rund um die Uhr Bewerberfragen, Allianz prüft per Augmented-Reality-Tool die inklusive Sprache von Ausschreibungen. Wenn wir diese Quick Wins mit sauberer Datenbasis koppeln, reduziert KI die Time-to-Hire, verbessert die Candidate Experience und erlaubt sogar Forecasts, welche Skills in sechs Monaten knapp werden. Worauf es ankommt, ist ein strukturierter Fahrplan: Prozess kartieren, niedrighängende Früchte – die berühmten „Sweet Spots“ – identifizieren, Pilotprojekte starten und dann skalieren. 

Peter: Warum kommst Du zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Wolfgang: Erstens, weil das Format einzigartig praxisnah ist: Studierende, Start-ups, Mittelstand und Konzerne diskutieren auf Augenhöhe. Zweitens, weil Leipzig eine lebendige Recruiting-Community hat, die neue Ideen nicht nur anhört, sondern ausprobiert. Und drittens, weil ich überzeugt bin, dass wir gerade jetzt – vor dem Inkrafttreten des EU-AI-Acts – gemeinsam Leitplanken für „Human-Centric AI“ im Recruiting setzen müssen. Leipzig ist dafür der perfekte Resonanzraum.

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