Montag, 24. November 2025

Die EU-Entgelttransparenz-Richtlinie trifft auf Strukturen, die für Transparenz nie wirklich gebaut wurden - Gespräch mit Lars-Eric Strenske

Die Weihnachtsausgabe des HR Innovation Days 2025 steht endlich vor der Tür. Traditionell führe ich Interviews mit den Keynote-Speakern, um bereits im Vorfeld des Events Einblicke in Themen und Meinungen zu gewähren. Heute kann ich mit Lars-Eric Strenske sprechen, der mir für ein Interview zur Verfügung steht. Er ist Senior Berater bei der gradar und hat mittlerweile auch seine eigene Firma comptklar gegründet. Herr Strenske wird zu einem für Personalbereiche derzeit extrem wichtigen Thema sprechen. Es geht um die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtline und seine Keynote trägt den Titel „Die Gehalts-Offenbarung: Was die EU-Transparenzpflicht wirklich verändert“. Ich freue mich sehr, Herrn Strenske für eine Keynote zu diesem Thema gewonnen zu haben.

Wald: Lieber Herr Strenske, könnten Sie sich kurz vorstellen?
Strenske: Sehr gern. Mein Name ist Lars-Eric Strenske. Ich bin Gründer der Vergütungsberatung comptklar und arbeite als Senior Consultant für gradar, ein spezialisiertes System für Stellenbewertung und Jobarchitekturen. In den vergangenen gut fünfzehn Jahren habe ich an der Schnittstelle von Unternehmensstrategie, Vergütung und Organisation gearbeitet, unter anderem als Director of Global Compensation and Benefits in international ausgerichteten Industrieunternehmen sowie in Beratungen wie Kienbaum und Willis Towers Watson. Mich treibt eine einfache Frage an. Wie schaffen wir Vergütungssysteme, die fair und verständlich sind und zugleich die Leistung im Unternehmen stärken. Genau darum geht es bei comptklar und in meiner Arbeit mit gradar.

Wald: Bei einem Blick auf Ihre Biographie drängt sich mir die Frage auf, wie Sie zum Thema Vergütung gekommen sind?
Strenske: Ganz ehrlich. Eher zufällig hineingerutscht und dann aus Überzeugung geblieben. Ich habe Wirtschaftspsychologie und Personalentwicklung studiert und wollte ursprünglich als Trainer arbeiten. In einer frühen Beraterrolle im Jahr 2011 bin ich dann mit Compensation & Benefits im Rahmen der Entwicklung und Implementierung von Fachlaufbahnen in Berührung gekommen. Plötzlich ging es um Fragen wie:
  • Wie bewerte ich Rollen transparent und nachvollziehbar?
  • Wie viel Struktur braucht ein Vergütungssystem, bevor es in Bürokratie kippt?
  • Wie gehe ich mit dem Gerechtigkeitsempfinden von Fach- und Führungskräften um?
Mich hat fasziniert, dass Vergütung ein echter Schnittstellenhebel ist. Strategie, Markt, Kultur, Führung, Daten, alles kommt hier zusammen. Und wenn die Logik dahinter klar ist, werden viele Konflikte im Alltag kleiner. Ab diesem Moment war für mich klar. Das Thema Vergütung ist kein reines Zahlenthema. Es ist Organisationsgestaltung mit sehr direkter Wirkung.

Wald: Mittlerweile haben Sie ja auch eine eigene Firma gegründet. Was haben Sie damit vor?
Strenske: Mit comptklar verfolge ich ein klares Ziel. Vergütung raus aus der Blackbox, hin zu klaren Rollen, Bändern und Spielregeln. Konkret begleite ich Unternehmen in drei Bereichen.
  • Jobarchitektur und Stellenbewertung: Aufbau klarer Rollenprofile auf Basis einer konsistenten Bewertungslogik, häufig mit gradar.
  • Gehaltsbänder und Governance: Entwicklung marktkonformer Bänder und verständlicher Richtlinien, die Führungskräfte im Alltag wirklich nutzen.
  • EU-Entgelttransparenz: Vorbereitung auf die Anforderungen der EU-Entgelttransparenzrichtlinie von der Struktur der Stellen über die Daten bis zum Reporting und zur internen Kommunikation.
Ich arbeite bewusst an der Schnittstelle von Fachlichkeit, Technologie und Umsetzung. Also nicht nur Konzepte, sondern auch die Übersetzung in Tools, HR-Systeme und praktikable Prozesse. Langfristig möchte ich comptklar als spezialisierte Boutique für Vergütung und Entgelttransparenz im DACH Raum etablieren, gern im Verbund mit Partnern wie gradar und weiteren Technologieanbietern.

Wald: In Ihrer Keynote werden Sie auf Fragen der praktischen Umsetzung der EU-Transparenzrichtline eingehen. Gibt es hier aus Ihrer Sicht typische Hemmnisse bei der Umsetzung in den Unternehmen?
Strenske: Ja, da gibt es einige Muster, die sich in vielen Projekten wiederholen.
Erstens fehlt häufig das Fundament in Form einer konsistenten Jobarchitektur. Rollen sind historisch gewachsen, Titel uneinheitlich, Verantwortungsniveaus unscharf. Wenn dann Berichtspflichten oder Analysen zu Gender Pay Gaps und Arbeit von gleichem Wert kommen, fehlen die gemeinsamen Bezugspunkte.
Zweitens gibt es eine kulturelle Hürde. Gehalt ist immer emotional besetzt. Viele Unternehmen haben Sorge, mit mehr Transparenz Konflikte zu verstärken. Fragen wie "Was passiert, wenn alle sehen, wie wir wirklich zahlen", führen oft dazu, dass das Thema aufgeschoben wird.
Drittens wird der Aufwand unterschätzt. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie ist kein reines Reporting-Projekt. Sie verlangt saubere Daten, klare Kriterien für Arbeit von gleichem Wert, abgestimmte Governance und eine gute Kommunikationsstrategie. Studien und Fachbeiträge weisen darauf hin, dass viele Arbeitgeber sich noch nicht ausreichend vorbereitet fühlen, obwohl die Richtlinie bis Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt sein muss. Zusammengefasst trifft die Richtlinie auf Strukturen, die für Transparenz nie wirklich gebaut wurden. Genau das macht das Thema anspruchsvoll, aber auch chancenreich.

Wald: Kurz gefragt, gibt es auch Erkenntnisse zu Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung der EU-Entgeltransparenz-Richtline in den Unternehmen?
Strenske: Ja. Man sieht einige gemeinsame Erfolgsfaktoren bei Unternehmen, die gut vorankommen.
Ein erster Erfolgsfaktor ist ein Zielbild, das über reine Compliance hinausgeht. Wer Transparenz als Chance zur Verbesserung von Fairness, Attraktivität und Klarheit versteht, gestaltet die Umsetzung ganz anders als jemand, der nur Pflichten abarbeitet.
Ein zweiter Erfolgsfaktor ist eine robuste, nachvollziehbare Bewertungsmethodik. Systeme wie gradar schaffen eine fachlich saubere Grundlage für die Bewertung von Arbeit und damit für das Prinzip gleiches Entgelt für Arbeit von gleichem Wert. Das ist zentral, weil die Richtlinie genau darauf abzielt.
Drittens binden erfolgreiche Unternehmen wesentliche Stakeholder früh ein. HR, Compensation, Betriebsrat oder Employee Representatives, Finance, Legal, IT und Kommunikation. Wenn diese Gruppen gemeinsam Leitplanken definieren, etwa zu Bandbreiten, Ausnahmen und Kommunikationsregeln, werden spätere Schleifen deutlich geringer.
Viertens gehen sie schrittweise vor. Etwa mit Pilotbereichen, bevor das Modell auf das gesamte Unternehmen ausgerollt wird. So lassen sich Governance, Datenlogik und Kommunikation im kleineren Rahmen testen.
Und fünftens formulieren sie einen ehrlichen Narrativ. Also eine klare Botschaft, wo das Unternehmen heute steht, welche Lücken es beim Thema Pay Equity hat und welche konkreten Schritte vorgesehen sind. Mitarbeitende merken sehr schnell, ob Transparenz ernst gemeint ist oder nur als Pflichtübung daherkommt.

Wald: Ohne hier zu viel zu kommunizieren, was können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Ihrer Keynote erwarten?
Strenske: Die Teilnehmenden können vor allem drei Dinge erwarten.
Erstens Klartext zu den praktischen Folgen der Richtlinie. Ich übersetze die EU-Vorgaben in HR-Sprache. Was bedeutet das für Stellenbewertung, Gehaltsbänder, HR-Systeme, Führungskräfte und Kommunikation im Unternehmen.
Zweitens eine pragmatische Roadmap. Ich zeige einen möglichen Weg vom heutigen Status quo zu einer tragfähigen Transparenzarchitektur. Dazu gehören Jobarchitektur und Bewertungslogik, Gehaltsbänder und Richtlinien, Datenstrukturen und Reporting sowie der Umgang mit Fragen von Mitarbeitenden.
Drittens Einblicke aus Projekten mit echten Widerständen. Also nicht nur glänzende Erfolgsstories, sondern auch Beispiele, wo es schwierig wurde und was wir daraus gelernt haben. Und ich zeige, wie gradar als Jobbewertungssystem und Teil eines Pay Equity Software Ökosystems helfen kann, diese Reise strukturierter zu gestalten. Mein Ziel ist, dass jede Person im Raum mit einer konkreten Idee hinausgeht, wie der nächste sinnvolle Schritt im eigenen Unternehmen aussehen kann.

Wald: Meine Standardfrage zum Schluss. Warum kommen Sie zu unserem Event?
Strenske: Ich komme, weil das Thema Entgelttransparenz gerade sehr konkret wird und wir genau jetzt Orte brauchen, an denen offen und praxisnah darüber gesprochen wird. Der HR Innovation Day bietet dafür einen Rahmen, in dem Verantwortliche für Vergütung, Kultur und Transformation miteinander ins Gespräch kommen können, ohne dass es nur um Paragrafen oder Schlagworte geht.
Mich reizt besonders die Mischung aus Praxis, Wissenschaft und jungem HR-Nachwuchs.
Ich möchte Erfahrungen aus Projekten teilen, aber genauso hören, welche Fragen und Zweifel die Teilnehmenden mitbringen. Wenn wir es schaffen, dass jede Person im Saal mit einem klareren Bild zu den nächsten Schritten im eigenen Unternehmen nach Hause geht und vielleicht mit etwas mehr Mut zum Thema Transparenz, dann hat sich dieser Tag für mich gelohnt.

Mein Interviewpartner Lars-Eric Strenske hat an der Hochschule Harz und der Otto-von-Guericke-Universität Wirtschaftspsychologie und Personalentwicklung studiert. Nach ersten Stationen im HR Consulting, unter anderem bei Kienbaum und Willis Towers Watson, übernahm er die Verantwortung als Director of Global Compensation and Benefits in international aufgestellten Industrieunternehmen. Im Oktober 2025 hat er die Vergütungsboutique comptklar mit dem Claim "Pay right, perform better." gegründet. Sein Ziel ist es, Unternehmen mit klaren Jobstrukturen, fairen Gehaltsbändern und EU konformer Entgelttransparenz dabei zu unterstützen, Vergütung aus der Blackbox zu holen und als wirksamen Hebel für Kultur und Performance zu nutzen. Parallel ist er als Senior Consultant für den Jobbewertungsanbieter gradar tätig und begleitet Organisationen weltweit beim Aufbau moderner Jobarchitekturen und Vergütungsframeworks.

Samstag, 22. November 2025

We need the young HR generation to think differently about the mandate and the role of HR - Interview with Dr. Dieter Veldsman (AIHR)

This year's Christmas Special is approaching. As in previous years, we will introduce the keynote speakers in a series of interviews, allowing participants to get an idea of who they are and what topics they will cover in advance. My interviewee for today is Dr. Dieter Veldsman, Chief Scientist for HR & OD at the Academy to Innovate HR. He is a well-known consultant in the field of HR management and a frequently requested keynote speaker. The title of his keynote is “HR Priorities 2026: Market signals, strategy shifts & steps to lead the AI-powered workforce”. Drawing on research, market insights, and practical foresight, his keynote will examine the forces that will shape HR’s priorities in 2026. He will outline the concrete actions leaders, scholars, and practitioners must take to navigate and lead with impact. That's why I'm thrilled that she will be keynoting at this year's HR Innovation Day.

Peter: First of all, thank you for enriching this year's Christmas Special of HR Innovation Day with a keynote. Would you be so kind as to introduce yourself?
Dieter: Thanks, Peter, I'm really looking forward to the session. As mentioned, my name is Dr. Dieter Veldsman, and I am the Chief HR Scientist at The Academy to Innovate HR, as well as a Professor of Practice at the University of Johannesburg. I am a former CHRO and have always been interested in human behavior and its impact on work and organizations. I was born and raised in South Africa, but have been living in Europe for the last four years. I have had the privilege of working with organizations across Europe, Asia, and the Americas over the past 18 years, on various initiatives related to HR and Organizational Development.

Peter: I assume that not all participants are familiar with the Academy. Could you briefly introduce it?
Dieter: At AIHR, we conduct research, provide advisory services, and develop solutions to help HR professionals acquire the skills necessary to make a meaningful impact on the future of work. Practically, we work with individual HR professionals and more than 1,200 organizations in over 200 countries to help with HR strategy, audits, and capability-building programs. Our core product is an HR career development platform that is built by HR professionals for HR professionals - over the last six years, we have had more than 65 000 HR professionals on the platform engaging with courses from global instructors, attending weekly live events and webinars, accessing the resource library, and using various AI tools in their daily work.

Peter: In view of the current, sometimes quite controversial discussions, what do you understand by AI-powered workforce?
Dieter: For me, there are two different perspectives here. The first relates to the augmentation of humans and AI technologies as the workforce of the future. Realistically, we will see a greater incorporation of AI technologies into work, and as organizations, we need to start thinking about what work needs to be done by human beings and what work will be done by AI. Second, for me, this also refers to how we enable and equip human beings to be able to use AI responsibly and ethically in their daily work. Building this AI fluency is similar to the introduction of MS Office for knowledge workers so many years ago - how do we make AI part of what we naturally use to do work, and as an extension of our human capability and capacity.

Peter: In this context, you refer to five megatrends redefining the HR landscape. Could you say something about this at this point?
Dieter: Every year, we publish our HR Trends and Priorities report based on our client conversations and various data sources. For 2026, we focused specifically on five areas:
  • How HR needs to help co-lead the AI transformation in organizations, which entails how we approach AI strategy, governance, skills, change, and technology
  • The debate on how we redesign, reskill, and reframe organizational capacity based on benefits leveraged through AI
  • Moving to more integrated skills-based workforce strategies, with a significant impact on how leadership is changing in flatter organizational designs
  • Rethinking and reframing HR Operating Models and cross-functional working through realizing new technology opportunities
  • Building AI fluency in the workforce as a core capability for HR professionals

Peter: The participants in the event come primarily from HR departments. What can HR do to successfully introduce AI solutions within their own departments and companies?
Dieter: We have to play two roles here. The first is how we enable AI readiness in the organization. This implies a few key points related to helping organizations understand why they want to use AI and how that aligns with business outcomes - not just using AI for its own sake. In this role, we also have a key responsibility in managing the AI narrative, redesigning work, and guiding people through the change and skilling processes. Second, we should also educate, equip, and expose our own HR teams to AI, intentionally building our own AI fluency, and integrate AI into how HR works. We should also lead the conversations on ethical and responsible use.

Peter: Users of AI - especially in HR departments - report employees' fears. How can these be effectively countered? 
Dieter: We have seen “AI anxiety” leading to technostress and also being caused by FOBO - the fear of becoming obsolete. Realistically, we need to address the fear first and help people understand how, as an organization, we plan to utilize AI and what the impact and implications of that will be. Importantly, it is necessary to have a transparent narrative to combat the “AI is taking our jobs” narrative, which is a much more nuanced issue and not as straightforward as the headlines make it out to be. As with many new technologies, it is changing how we work, which means we need new skills but will also require to rethink what jobs look like. So, will AI change your job - most definitely and that is a good thing, but it will require us to reframe and reshuffle how we think about work and jobs today.

Peter: Younger HR professionals will also be attending the event. What can you tell them? Do you have any special recommendations for them?
Dieter: This is such an important time to be in HR - we are on the cusp of entering a new era of work, similar to how we now view the first and second industrial revolutions. We need the young HR generation to think differently about the mandate and the role of HR and help us enter a new chapter for our profession - one that helps organizations and individuals flourish in an increasingly uncertain world.

Peter: Finally, a question I'd like to ask all the speakers. Why are you keynoting at the HR Innovation Day 2025?
Dieter: I believe in the power of ideas and how narrative can shape the future. I want to contribute to the HR profession in any way I can, and as part of the innovation day, I hope to do so by allowing today and tomorrows HR professionals to think differently about our beautiful profession.

Peter: Thank you very much for your support our event. I look forward to listen to your insights.

My interviewee, Dr. Dieter Veldsman is an award-winning expert in organizational psychology and human resources, boasting a distinguished 18-year career in Strategic HR, Organizational Design, and Development. He has held pivotal roles such as Group Chief Human Resource Officer, People Effectiveness Executive, and Principal Consultant, significantly impacting organizations across EMEA, APAC, and LATAM. Dr. Veldsman's contributions to the HR field have earned him prestigious accolades, including the 'Chief HR Officer of the Year' by the CHRO SA Society in 2021 and the 'Practitioner of the Year Award' by the Society for Industrial Psychology South Africa in 2018. He also serves as Professor of Practice at the University of Johannesburg. A sought-after global speaker, Dr. Veldsman addresses key topics such as HR, the Future of Work, and Organizational Development. He also hosts "The HR Dialogues," a compelling videocast where he engages with top HR professionals worldwide, sharing invaluable insights and experiences. Over the past 18 years, he has spoken at over 120 conferences and published 140+ articles on HR and the future of work, along with 25 academic chapters and articles, and three books. Currently, as the Chief HR Scientist at the Academy to Innovate HR (AIHR), Dr. Veldsman leads the Advisory and Insights Lab.

Donnerstag, 20. November 2025

Wir sollten uns nichts vormachen: KI ist ein Multiplikator - kein Qualitätsgarant - Gespräch mit Jörg Klukas

Die Weihnachtsausgabe unseres HR Innovation Days 2025 rückt näher. Traditionell führe ich Interviews mit den Keynote-Speakern, um bereits im Vorfeld des Events Einblicke in Themen und Meinungen zu gewähren. Heute steht mir mein Professorenkollege Jörg Klukas für ein Gespräch zur Verfügung. Er ist Professor für Human Resources Management an der FOM und Geschäftsführer von Deutschlands größtem Empfehlungsnetzwerk für Fachkräfte: Dem Empfehlungsbund. Jörg Klukas kenne ich seit Jahren und wir begegnen uns oft auf verschiedenen HR-Events. Ich freue mich außerordentlich, dass ich ihn in diesem Jahr für eine Keynote mit dem Titel „Die große Täuschung: Warum Personalauswahl so oft falsch liegt“ gewinnen konnte. Bereits an dieser Stelle herzlichen Dank dafür, dass er das Event mit einer Keynote unterstützt.

Peter: Lieber Jörg, könntest Du Dich kurz vorstellen?
Jörg: Gern. Ich bin Professor für Human Resources Management an der FOM Hochschule Leipzig und Geschäftsführer der pludoni GmbH. Mit dem Empfehlungsbund betreiben wir seit über 15 Jahren ein Netzwerk von Arbeitgebern, die sich gegenseitig qualifizierte Fachkräfte empfehlen. Davor habe ich viele Jahre in der Wirtschaft gearbeitet – zuletzt als Leiter HR und Business Excellence bei Telekom MMS. Meine Arbeit dreht sich seit langem um die Frage, wie Organisationen Menschen besser verstehen und Entscheidungen treffen können, die sowohl fair als auch wirksam sind.

Peter: Was ist der Empfehlungsbund?
Jörg: Der Empfehlungsbund ist ein Arbeitgeberverbund, der Absagen nicht als Endpunkt betrachtet, sondern als Chance. Wenn ein Unternehmen eine Person nicht einstellen kann, obwohl sie geeignet wäre, erhält diese einen Empfehlungscode. Mit diesem Code kann sie sich bei einem anderen Mitglied bewerben und signalisiert: „Ich wurde bereits als passend eingeschätzt.“ Damit entsteht ein System der gegenseitigen Validierung – AGG- und DSGVO-konform. Arbeitgeber teilen nicht personenbezogene Daten, sondern nur ihre Einschätzung der Eignung über einen Code, den die Bewerbenden selbst weitergeben. Es ist ein sehr praktisches, sehr menschliches und gleichzeitig sehr effizientes System.

Peter: Was haben Unternehmen von einer aktiven Mitwirkung in diesem Netzwerk?
Jörg: Gerade jetzt, wo wir wieder deutlich mehr Bewerbungen pro Stelle sehen, ist das Empfehlungsprinzip ein Vorteil. Unternehmen müssen aktuell viele Bewerbende ablehnen – und darunter sind auch sehr gute, die schlicht knapp „vorbeirutschen“. Für Unternehmen entstehen daraus zwei Risiken: Falsch-Negative – man übersieht Talente. Zeitverluste – man prüft zu viele Kandidaten, die nicht passen. Der Empfehlungsbund wirkt hier wie ein Korrekturmechanismus: Über Empfehlungen landen geeignete Talente, die anderswo nicht eingestellt werden konnten, schneller wieder im Prozess. Die erhaltenen Bewerbungen sind oft hochwertiger, weil z.B. zwei Unternehmen dieselbe Person bereits als passend wahrgenommen haben. Gleichzeitig zeigen Unternehmen Verantwortung, indem sie Menschen, die sie selbst nicht einstellen können, nicht „fallen lassen“. Und: Mitmachen ist kostenfrei. Reziprozität entsteht, weil jedes Unternehmen sowohl gibt als auch bekommt.

Peter: Mit dem Thema Deiner Keynote steigst Du offensiv in eine derzeit heftig diskutierte Fragestellung ein. Es geht mMn dabei vor allem darum endlich den „heiligen Gral“ einer fehlerfreien und stets wissenschaftlich fundierten Personalauswahl zu entdecken und diesen entsprechend anzuwenden.
Jörg: Ja, und genau hier liegt die große Illusion. Viele diagnostische Verfahren versprechen Objektivität – ihre reale Wirkung ist jedoch begrenzt. Die Forschung der letzten Jahre zeigt, dass Validitäten deutlich geringer sind als lange angenommen. Unternehmen überschätzen oft die Präzision ihrer Auswahlverfahren und unterschätzen gleichzeitig, wie schnell gute Menschen fälschlicherweise abgelehnt werden. Wir fokussieren uns zu oft auf „Messbarkeit“, aber zu wenig auf Verstehen. Meine Keynote soll aufzeigen, warum uns diese Fokussierung in eine Sackgasse führt – und wie wir wieder zu realistischeren, menschlicheren Entscheidungen zurückkehren können.

Peter: Kurz gefragt, was kann eine gute Personalauswahl leisten und was nicht?
Jörg: Gute Personalauswahl kann Wahrscheinlichkeiten verbessern, aber sie kann keinen sicheren Blick in die Zukunft geben. Sie kann helfen, Passung plausibel zu machen, aber sie kann keine Garantie dafür liefern, wie sich Menschen in komplexen Systemen entwickeln. Entscheidend ist: Auswahl ist immer interpretativ. Sie ist nie rein objektiv – und das ist in Ordnung, wenn wir uns dessen bewusst sind. Gute Auswahl schafft Transparenz über Unsicherheiten und geht reflektiert damit um.

Peter: Braucht gute Personalauswahl den Einsatz von KI-Lösungen?
Jörg: KI kann vieles – aber eines kann sie nicht: sie kann nicht die fehlende Varianz zum späteren Berufserfolg erzeugen. Wenn unsere Verfahren inhaltlich schwach sind, macht KI sie nur schneller, nicht besser. Im Kern automatisiert KI die bestehende Eignungsdiagnostik – inklusive ihrer Denkfehler, Verkürzungen und überzogenen Objektivitätsversprechen. Sie bringt nichts grundlegend Neues, wenn die zugrunde liegenden Annahmen falsch oder unvollständig sind.
Wir sollten uns nichts vormachen: KI ist ein Multiplikator – kein Qualitätsgarant. Sie multipliziert Muster, die wir ihr geben. Wenn diese Muster stumpf, unvollständig oder verzerrt sind, dann skaliert KI genau diese Verzerrungen. Daher sehe ich KI eher als Assistenzsystem: Sie kann entlasten, strukturieren, vergleichen, dokumentieren. Aber sie kann nicht die menschliche Urteilsfähigkeit ersetzen, die es braucht, um Kontext, Ambivalenz und Potenzial zu verstehen. Gute Personalauswahl entsteht also nicht durch KI statt Mensch – sondern durch KI mit reflektierten Menschen.

Peter: Mit den Ergebnissen der Personalauswahl wird aus meiner Sicht auch über den künftigen Unternehmenserfolg entschieden? Wie sollte diese Erkenntnis bei der Gestaltung der Personalwahl berücksichtigt werden?
Jörg: Ich glaube, wir überbetonen seit Jahren den Begriff „Passung“. Er stammt aus einer Zeit, in der Arbeitsplätze als relativ starr galten: Aufgaben, Bedingungen, Abläufe – alles war fest definiert, und Menschen mussten „passen“. Heute ist das anders. Viele Aufgaben sind aushandelbar: Arbeitsmittel, Prozesse, Prioritäten, Lernwege, Verantwortlichkeiten. Unternehmen und Mitarbeitende gestalten diese Faktoren zunehmend gemeinsam. Das reduziert die Bedeutung der klassischen Passungslogik und erhöht die Bedeutung von Gestaltungsfähigkeit – auf beiden Seiten. Die vielen neuen Labels der letzten Jahre – skill-based hiring, value-based hiring, culture-based hiring – versuchen genau diese Flexibilisierung zu adressieren. Sie zeigen, dass Organisationen gemerkt haben: Nicht der „perfect fit“ entscheidet über Erfolg, sondern die Fähigkeit, Aufgaben und Erwartungen gemeinsam zu entwickeln. Entsprechend sollte Personalauswahl weniger versuchen, statische Merkmale zu messen, sondern eher klären: Wie gut können wir miteinander Aufgaben aushandeln? Wie flexibel sind beide Seiten in der Gestaltung des Arbeitsalltags? Welche Ziele sind nicht verhandelbar – und wie kommen wir gemeinsam dorthin? Kurz gesagt: Unternehmenserfolg entsteht heute weniger aus Passung, sondern aus Ko-Kreation zwischen Organisation und Mitarbeitenden.

Peter: Ohne zu viel zu verraten, was können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Deiner Keynote erwarten?
Jörg: Eine kritische Bestandsaufnahme – und eine konstruktive Perspektive. Ich werde zeigen, warum Personalauswahl häufig falsch liegt, welche Denkfehler wir pflegen und warum wir uns oft zu sehr auf diagnostische Tools verlassen. Gleichzeitig geht es um Lösungen: Was können wir besser machen, ohne in mehr Bürokratie oder mehr Testungen abzurutschen? Die gute Nachricht: Wir können viel verbessern, indem wir Wahrnehmung, Dialog und kollektive Intelligenz stärken. Nicht alles muss automatisiert oder standardisiert werden.

Peter: Meine Standardfrage zum Schluss. Warum kommst Du zu unserem Event?
Jörg: Weil der HR Innovation Day ein Ort ist, an dem HR ehrlich über sich selbst reflektieren kann – ohne Show, ohne Oberflächenoptimierung. Es ist ein Raum für echte Diskussionen zwischen Studierenden, Praktikern und Forschenden. Und gerade jetzt, wo sich der Arbeitsmarkt so stark verändert, brauchen wir solche Orte. Ich freue mich darauf, Perspektiven auszutauschen und gemeinsam neue Fragen zu stellen.

Mein Interviewpartner Professor Jörg Klukas hat an der Universität TU-Dresden und College des Ingenieures Paris studiert und verfügt über eine lange Berufserfahrung im Personalumfeld - davon ca. 8 Jahre als Leiter Human Resources und Business Excellence bei der Telekom MMS, jetzt ca. 16 Jahre als Geschäftsführer der pludoni GmbH mit www.Empfehlungsbund.de zur qualifizierten Fachkräfteempfehlung und seit etwa 10 Jahren hauptberuflicher Professor der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalgewinnung und -bindung an der FOM Leipzig.

Samstag, 15. November 2025

Zu oft ist HR zu weit weg vom Alltag auf dem Shopfloor - Alex Barber/Shift Changers im Gespräch

Heute setze ich meine Interviewreihe zum Thema Deskless Work. Ich freue mich sehr, dass mir Frau Alex Barber für das Gespräch in dieser Interviewreihe zum Thema Deskless Work zur Verfügung steht. Alex Barber ist Gründerin & CEO der Shift Changers GmbH. Sie beschäftigt sich mit Fragen der zielgruppengerechten Personal- & Organisationsentwicklung in den Bereichen Produktion und Logistik. Damit ist sie natürlich eine ideale Gesprächspartnerin für diese Interviewreihe. Begeistert hat mich ihr Statement unter der Überschrift „Warum JEDER mal eine Nachtschicht (mit-)arbeiten sollte“. Ich stimme ihr zu, dass dies vielen White-Collar bzw. Office-Workern bestimmt die Augen und auch die Herzen öffnen würde. Das Gefühl einer gewerblichen Tätigkeit in der Nacht nachzukommen, ist ansonsten nur schwerlich nachzuvollziehen. Auch, dass Sie hier die Rolle des Vertrauens herausgestellt hat ist mMn bemerkenswert. Ansonsten ist sie in der letzten Zeit für ihre Tätigkeit geehrt worden. Darüber und natürlich über ihre Erfahrungen beim Umgang mit Deskless Work will ich heute mit ihr sprechen.

Wald: Könnten Sie sich und die Shift Changers GmbH kurz vorstellen? Und: was steckt hinter dem Namen „Shift Changers“?
Barber: Ich bin Alex Barber, Gründerin & Geschäftsführerin von Shift Changers. Wir sind ein Beratungs- und Trainingsunternehmen und helfen Industrieunternehmen aus Produktion und Logistik, Personal- und Organisationsentwicklung vom Shopfloor aus zu denken. Ziel ist es, das volle Potenzial der gewerblichen (deskless) Belegschaft zu entfalten. „Shift Changers“ hat bewusst eine Doppelbedeutung. Zum einen bedeutet Shift Change auf Deutsch Schichtwechsel – das zeigt unseren Fokus auf die gewerbliche Belegschaft, die oft in Schichten arbeitet. Zum anderen stehen Shift und Change für Wandel und Veränderung. Wir stoßen diesen Wandel auf dem Shopfloor an und wir wollen unsere Kund:innen zu Shift Changern machen. Sie sollen den organisatorischen und kulturellen Wandel auf dem Shopfloor selbst gestalten.

Wald: Wie sind Sie auf den Bereich der Arbeit auf dem Shopfloor gekommen?
Barber: Ich habe Betriebswirtschaft studiert und eines meiner Wahlfächer war Supply Chain Management. In diesem Kurs sollten wir in den Supermarkt gehen, ein Produkt auswählen und erklären, wie es dorthin gekommen ist, vom Rohmaterial über die Produktion bis zum Transport. Das fand ich so spannend und praxisnah, dass ich meinen Master, meine Praktika und meinen Berufseinstieg im Bereich Supply Chain Management wählte. Ich begann als Supply-Chain-Trainee bei Beiersdorf und die erste Station war Pflicht im Werk. Dort habe ich mich in den praxisnahen, schnelllebigen und abwechslungsreichen Produktionsalltag und die sehr direkten Menschen in der Produktion „verliebt“. Später wurde ich Teamleiterin, führte 30–45 gewerbliche Mitarbeitende in der Intralogistik und habe viele Dinge, wie die veraltete Führungskultur, unpassenden oder nicht exsitierenden Weiterbildungsmöglichkeiten und schlechten Rahmenbedingungen aus erster Hand erlebt.

Wald: In der letzten Woche sind Sie von Business Insider Deutschland zu einer der TOP 25 Zukunftsmacherinnen 2025 gewählt worden. Was macht solche Anerkennung mit Ihnen?
Barber: Ich muss sagen, dass mich diese Auszeichnung sehr emotional berührt hat. Ich setze mich seit Jahren - auch schon vor meiner Selbstständigkeit - dafür ein, dass die Arbeitswelt der gewerblichen Belegschaft menschlicher wird, weil sie es verdient und weil Unternehmen stark davon profitieren. Diese Auszeichnung bedeutet nicht nur Wertschätzung für mich und meine Arbeit, sondern auch für eine Zielgruppe, die im Alltag oft übersehen wird, obwohl ohne sie nichts läuft. Und sie bedeutet vor allem Sichtbarkeit. Die versuche ich ihnen über meine LinkedIn-Beiträge, meinen Podcast „Sichtwechsel Schichtwechsel“, als Keynote-Speakerin auf Bühnen oder in Interviews, wie diesem hier, zu geben. Oft bleibt es aber ein Nischenthema. Mit der Auszeichnung von Business Insider hoffe ich, dass es mehr und mehr zu einem Thema wird, mit dem sich die Mehrheit unserer Gesellschaft und Wirtschaft beschäftigt.

Wald: Beeindruckt hat mich die Liste Ihrer Kunden. Gibt es hier vielleicht ein Projekt, das Sie kurz vorstellen können?
Barber: Neben unseren Trainertätigkeiten für Shopfloor-Führungkräfte haben wir auch größere Beratungsprojekte, die sehr unterschiedlich sein können. Ein Beispiel: Ein Großkonzern hat uns beauftragt, ihr Führungskräfteentwicklungsprogramm auf Logistik-Teamleiter:innen anzupassen. Es gab bereits ein Programm für kaufmännische Führungskräfte, aber man merkte, dass dieselbe Lösung für gewerbliche Führungskräfte nicht funktionierte: zu viel online, zu viel Theorie, zu wenig Praxisbezug. Wir haben Inhalte, Formate und Methoden so angepasst, dass das Programm nun auch für gewerbliche Führungskräfte wirksam ist. In anderen Projekten steigen wir tiefer ein. Oft startet es mit einer internen Umfrage, in der sichtbar wird, dass gewerbliche Mitarbeitende in einer Abteilung oder an einem Standort unzufrieden sind oder sich nicht wertgeschätzt fühlen. Dann kommen wir als neutrales Team dazu, führen Einzelgespräche und analysieren die Ursachen. Auf dieser Basis erstellen wir ein anonymes Gesamtbild. Gemeinsam mit dem Kunden – in einem cross-funktionalen Team inkl. Vertreter:innen der Shopfloor-Mitarbeitenden – erarbeiten wir in einem Workshop die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung. Anschließend begleiten wir den Kunden über mehrere Monate bei einigen Maßnahmen. Vielen können sie aber auch selbst wirksam umsetzen, da sie nach unserer Analyse nicht mehr Symptombekämpfung machen, sondern die Probleme an der Wurzel angehen. Bei einem Kunden kam z. B. heraus, dass alle das 4-Schichtmodell ablehnen und ändern wollen. Also haben wir gemeinsam (auf Basis der bestehenden Modelle im Unternehmen) ein neues Schichtmodell erarbeitet.

Wald: Ich habe gelesen, dass Sie ein Online-Programm für Personalentwickler aus Produktion und Logistik anbieten. Könnten Sie etwas zu den Schwerpunkten sagen?
Barber: Unser Online-Programm „Potenziale effektiv nutzen: Strategische Personalentwicklung auf dem Shopfloor“ richtet sich, wie Sie sagen, an Personalentwickler:innen aus Produktion und Logistik, die ihre gewerbliche Belegschaft durch zielgruppengerechte Weiterbildung endlich wirksam entwickeln möchten. Zu oft ist HR zu weit weg vom Alltag auf dem Shopfloor. Man kennt die Bedürfnisse und Bedarfe der Mitarbeitenden und Führungskräfte nicht gut genug und selbst gute Lernangebote erreichen die Zielgruppe häufig nicht. In acht Sessions gehen wir deshalb vier Schwerpunkte an. Wir sorgen zuerst dafür, dass die Zielgruppe wirklich verstanden wird, zeigen dann, wie man sie kommunikativ erreicht, wie Akzeptanz bei Führungskräften und Mitarbeitenden entsteht und welche Formate und Methoden in ihrem Alltag funktionieren, damit Entwicklung in der Praxis ankommt. Zwischen den Sessions lassen wir jeweils zwei Wochen Zeit, damit direkt an eigenen Themen gearbeitet werden kann. Am Ende steht eine praxisnahe Begleitung hin zur Entwicklung einer zielgruppengerechten Personalentwicklung für den Shopfloor. Wer also Interesse hat: Der nächste Durchgang startet am 28. Januar und die Plätze sind auf 16 Personen begrenzt. Mehr Infos gibt es auf unsere Webseite.

Wald: Zunehmend wird ja auch über das Thema Generative KI auf dem Shopfloor gesprochen. Haben Sie hier bereits Erfahrungen sammeln können?
Barber: Tatsächlich sehe ich das Thema noch viel zu selten auf dem Shopfloor. Deshalb bieten wir seit diesem Jahr Generative-KI-Basis-Trainings für Shopfloor-Führungskräfte an. In unserem Training „Führen mit KI“ helfen wir, konkrete Anwendungsfälle und Prompts zu entwickeln, eigene Agenten zu bauen und GPT & Co. als Sparringspartner im Führungsalltag zu etablieren. Außerdem sehen wir Generative KI vor allem bei der Content-Erstellung fürs Lernen: z. B. Apps, die Micro-Learning (kurze Lernnuggets) anbieten und Inhalte aus SOPs und Arbeitsanweisungen generieren. Im operativen Alltag sehen wir generative KI leider noch sehr sehr selten.

Wald: Herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen und Shift Changers weiterhin viel Erfolg und vor allem offene Ohren. Mir ist bewusst, dass beim Thema Deskless Work „sehr dicke Bretter zu bohren sind“.
Barber: Vielen Dank für das Interview. Ich freue mich sehr, dass es immer mehr Menschen wie Sie gibt, die das Thema gemeinsam mit uns angehen.

Meine Gesprächspartnerin Alex Barber ist Gründerin und Geschäftsführerin der Shift Changers GmbH. Das Unternehmen entstand 2021 aus eigenen Beobachtungen und operativen Erfahrungen als Team- und Abteilungsleiterin in der Produktion und Logistik. Während ihrer Zeit als Shopfloor-Führungskraft bei Beiersdorf und Tesla führte Alex Barber zwischen 30 und 45 gewerbliche Mitarbeitende. Auf dieser Basis arbeitet sie heute als Personal- und Organisationsentwicklerin mit dem Fokus, die Frontline – die Menschen ohne Schreibtisch – sichtbar zu machen und wirksam zu befähigen. Sie hält Keynotes (u. a. TEDxUniMannheim), hostet den Podcast „Sichtwechsel Schichtwechsel“ und wurde 2025 von Business Insider Deutschland als eine der Top 25 Zukunftsmacherinnen ausgezeichnet. Ihre Mission: eine menschenzentrierte, zugleich leistungsstarke Arbeitswelt auf dem Shopfloor – mit Co-Design, zielgruppengerechter Weiterbildung und klarer, moderner Führung.

Montag, 10. November 2025

Christmas Special des HR Innovation Days am 2. Dezember 2025 - Ein Blick auf das Programm







Unser Informations- und Diskussionsformal für interessierte junge und ältere HR Professionals erfährt jetzt eine weihnachtliche Neuauflage. Wie bereits 2019 und 2024 als „kleines“ Christmas Special. Hier folgt das Line-up der Weihnachtsausgabe des HR Innovation Days 2025


Dr Dieter Veldsman | Chief Scientist: HR & OD, Academy to innovate HR, www.aihr.com, Amsterdam/NL

Prof. Dr. Jörg Klukas, Professor Human Resources Management FOM und Geschäftsführer Empfehlungsbund

Lars-Eric Strenske, Founder@comptklar & Sr. Consultant@gradar


Wann/Wo:
2. Dezember 2025 ab 13:30 Uhr im Hörsaal für theoretische Physik
(Linnéstr. 5 in 04103 Leipzig)

Anmeldungen bitte über den folgenden Link oder per Mail. Danke!

https://www.linkedin.com/events/hrinnovationdaychristmasspecial7394269567293739008/

peter.m.wald@htwk-leipzig.de

Für wen:
Junge (und ältere) HR Professionals, Studierende mit dem Schwerpunkt Human Resources, an aktuellen HR- und Führungs-Themen Interessierte

Fragen/Anregungen:
per Mail  peter.m.wald@htwk-leipzig.de  oder  über LinkedIn  #HRInnoDay25

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Peter M. Wald, Fakultät Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsingenieurwesen der HTWK Leipzig

Ich freue mich sehr auf das Wiedersehen in Leipzig. 

Montag, 27. Oktober 2025

Das Warten hat ein Ende! Es geht endlich weiter … Das HR BarCamp 2026 kommt

Das erste HR BarCamp in Deutschland feiert seine Neuauflage! Mit der Premiere im Jahr 2012 haben Christoph Athanas und Jannis Tsalsikis einen wichtigen Trend für Diskussionen zu aktuellen Themen in den Bereichen Personalmanagement und Recruiting gesetzt. Ich war immer sehr gerne bei den HR BarCamps dabei, vor allem wegen der vielen Anregungen für die moderne Personalarbeit und des lebendigen Netzwerks der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Bei den HR BarCamps habe ich von vielen Innovationen und neuen Arbeitsweisen im Bereich HR erfahren. Die Gespräche haben sehr oft meinen Blick auf HR -Fragen deutlich erweitert. Heute habe ich wieder einmal die Gelegenheit mit Christoph Athanas, einem der Gründungsväter des HR BarCamps zu sprechen. Zusammen mit Jannis Tsalsikis hat er sich um die Etablierung dieses unverwechselbaren und innovativen Formats für junge und ältere HRler verdient gemacht. Die stets begehrten Tickets zum Event gibt es aktuell noch – keiner weiß, wie lange das so sein wird. Daher besser schnell anmelden… Also, zum Gespräch:

Peter: Ich freue mich sehr, dass es wieder ein HR BarCamp geben wird. Es ist eine sehr gute Idee, mit dem HR BarCamp in das neue Jahr zu starten.
Christoph: Hallo Peter, danke für die Gelegenheit hier über das Event sprechen zu können. Es ist richtig, das HR BarCamp kommt wieder im Februar, genau am 12. und 13.02.2026. Damit eröffnen wir vermutlich die HR Event-Session, so wie wir das vor der Pandemie auch gemacht hatten. Der Vorteil ist, dass das HR BarCamp als ungewöhnlich Dialog- und Ideen-starkes Event früh im Jahr liegt. So können Teilnehmende sehr gut mit Kolleginnen und Kollegen und Thought Leadern des HR ergründen, welche Trends und wichtige Lösungen es in 2026 im Personalmanagement gibt. Ein ehemaliger Teilnehmer nannte das HR BarCamp einmal sinngemäß „einen jährlichen Fixpunkt der HR Szene, wo man verstehen kann, wie People Themen aktuell angegangen werden“. Ich finde das beschreibt die ständige Aktualität der Themen, die beim HR BarCamp eingebracht werden recht gut und es erklärt, warum dieses Event insbesondere ganz am Anfang des Jahres so viel Mehrwert bietet. 
Wer das HR BarCamp noch nie besucht hat, kann übrigens hier Teilnehmerstimmen vom letzten Event lesen und herausfinden, ob das mit den eigenen Interessen und Erwartungen matcht.

Peter: Gibt ja Änderungen beim Ablauf oder findet das „Session Pitching und Voting“ erneut am späten Nachmittag des ersten Tages statt.
Christoph: Genau, wir kehren zum ursprünglichen 1,5-Tage-Modus des Events zurück. Das bedeutet, wir beginnen am 12.02. Vormittags und dort werden dann Session-Ideen eingereicht und vorgestellt (aka „ge-pitcht“) und dann stimmen wir gemeinsam digital über die Themen ab. Es wird insgesamt 23 Sessions geben verteilt auf die beiden Tage. Es wird also einiges an Themen dabei sein. Der erste Tag geht von 10.45 bis 16.30 Uhr und dann ist abends die Party, während der 2.Tag, der halbe Tag, von 9.15 bis 14.30 Uhr geht.

Peter: Auch wenn die Session-Themen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern kommen. Denkst Du, dass es angesichts der aktuellen Entwicklungen Schwerpunkte bei den Themen geben wird?
Christoph: Das HR BarCamp bietet immer wieder den Charme, dass jede und jeder Themen einbringen kann. Daher kann ich´s nicht genau sagen. 

Da wir die HR BarCamp-Gruppe auf LinkedIn betreiben (PS: gern eintreten!), haben wir von einigen der Teilnehmer des nächsten Events schon ein paar Themenvorschläge erhalten. Ich liste diese mal zur Orientierung hier auf:
  • HR Survival of the fittest! Last und diskutieren, wie die HR-Zukunft aussieht und was muss HR für einen guten Job tun
  • Karriereseite oder Barriereseite? Woran Bewerbungsprozesse scheitern und wie sie wirklich barrierefrei werden
  • Outplacement: Wie können Daten dabei helfen?
  • Debatte und Dialog im Unternehmen fördern
  • Skill-based Hiring - was ist es? Was sind die Vorteile? Wie macht man es?
  • HR-AI real talk - Was bringt KI im Personalbereich wirklich? Chancen, Hürden, Erwartungen
  • Zu viele Bewerbungen, zu wenig Passung - wie Qualität, statt Quantität ins Recruiting bringen
  • Wie geht es weiter mit dem Thema Deskless Work?
Ich möchte betonen, dass im Event selbst noch jede Menge mehr Themenvorschläge kommen werden und niemand gezwungen ist vorher schon etwas zu kommunizieren. Aber ich denke das hilft. Wir erstellen übrigens nach und nach eine Liste der Themen hier auf der Eventseite.


Peter: Viel hängt ja auch von der Location des HR BarCamps ab. Was kannst Du dazu sagen?
Christoph: Ja, die Location spielt immer eine wichtige Rolle. Wir haben über die Jahre verschiedene Erfahrungen gemacht und unsere – manchmal ausgefallenen – Locations haben für viel Zuspruch gesorgt. Gleichfalls soll die Location zentral in Berlin liegen und gut erreichbar sein. Das haben wir für das kommende HR BarCamp in jedem Fall geschafft; Dank der Diakonie Deutschland, in deren wirklich schönen Räumen wir das Event veranstalten werden, sind wir in Berlin-Mitte präsent. Viel zentraler geht´s also kaum.

Die Väter des HR BarCamps in Aktion
Peter: Wie geht Ihr eigentlich mit der Tatsache um, dass Ihr vielleicht einmal von den Vätern zu den Großvätern des HR BarCamps werdet
Christoph: Das ist doch Teil des Lebens ;-) Noch aber sind wir wohl in der Vater-Rolle des Events. Das mit den Event-Enkeln hat noch ein paar Jahre Zeit. Noch haben wir Lust und auch noch keine grauen Bärte ;-)

Peter: Eine gute Tradition ist ja auch der immer wieder beeindruckende Entertainment-Input der beiden Gründungsväter des BarCamps. Kannst Du vielleicht dazu etwas verraten?
Christoph: Danke für die Blumen. Ja, die HR BarCamp-Party-Night kommt wieder. Wir haben dafür einen Club in Berlin-Kreuzberg reserviert. Das wird bestimmt extrem viel Spaß machen und die HR-Leute zusammenbringen.
Außerdem strengen Jannis und ich uns ja immer an zum Warm-up am 1. Eventtag etwas Besonderes mit den Teilnehmenden zu machen. Du erinnerst Dich, wie hatten den Sirtaki-Flashmob oder den von den Maori inspirierten HR-Haka mit rd. 200 Personen. Das war schon fein. Wir sehen das aber nicht wirklich als Entertainment, sondern es dient dazu die Leute alle von Anfang an locker zu machen und sich nicht ganz so ernst zu nehmen. Dann sind die Menschen nämlich offener und die Diskussionen machen noch viel mehr Spaß. Denn: Bei aller Professionalität und den ganzen wichtigen HR-Themen soll das HR BarCamp immer auch ganz besonders viel Spaß machen!

Das HRBarCamp macht Spass

 



Peter: Lieber Christoph, herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Mir geht bestimmt wie vielen anderen. Ich kann nicht erwarten, dass endlich wieder HR BarCamp-Time mit vielen interessanten Diskussionen und vor allen neuen Ideen ist. 
Christoph: Herzlichen Dank, Peter. Wir freuen uns auch aufs Event und natürlich auch auf Deine erneute Teilnahme – Du gehörst damit weiter zu dem kleinen Kreis derjenigen „HR BarCamp-Zeitzeugen“, die seit 2012 alle Events mitgemacht haben. 
Aber: Wer noch nie dabei war: Bitte kommt und werdet Teil der leicht verrückten, aber herzlichen und innovativen HR BarCamp-Community! Jede Tradition beginnt irgendwann - meldet Euch an, jede und jeder ist willkommen, von HR Werkstudi, über den Business Partner, bis zum HR Lead! See u in Berlin!

Mein Gesprächspartner Christoph Athanas, ist Geschäftsführer der meta HR GmbH - einer Unternehmensberatung für Personalfragen, die sich auf Recruiting-Optimierung und den Auf- und Ausbau der Arbeitgeberattraktivität spezialisiert hat. Christoph ist Co-Autor verschiedener Studien u.a. zu den Themen Candidate Experience und Journey und Cultural Fit. Darüber und über andere HR-Trendthemen hat Christoph in verschiedenen Video Podcasts auf Youtube berichtet (u.a. hier bei HR Snacktime). Er schreibt seit vielen Jahren den lesenswerten meta HR Blog. Im Jahr 2012 hat er, in Zusammenarbeit mit Jannis Tsalikis, erstmals die mittlerweile sehr bekannten HR BarCamps als innovative, nicht-kommerzielle Veranstaltungsformate für HR Professionals organisiert.


Donnerstag, 9. Oktober 2025

Auftakt der Interviewreihe zum Thema "Deskless Work" - Im Gespräch: Joachim Diercks von Cyquest

Vor einigen Wochen ist endlich mein Herausgeberwerk zum Thema „Deskless Work und Personalmanagement“ erschienen. An den bislang vorliegenden Reaktionen lässt sich ablesen, dass meine Mitautoren und ich mit diesem Thema richtig liegen. Trotz des derzeit laufenden oder noch bevorstehenden Personalabbaus ist die Nachfrage nach Deskless Workern in vielen Bereichen nach wie vor ungebrochen hoch. Mit einer Interviewreihe zum Buch möchte ich das Spektrum an Meinungen zum Bereich „Deskless Work“ erweitern und habe bereits eine Reihe von möglichen Interviewpartnern angesprochen. Den Start der Interviewreihe bildet heute eine Gespräch mit Joachim Diercks, dem Gründer von Cyquest, ein Unternehmen, mit dem ich seit Jahren im Kontakt bin.

Warum dieses Gespräch mit Cyquest? Auch bei den Werkzeugen, die zur Auswahl vom Mitarbeitenden im Bereich Deskless Work eingesetzt werden, liegt der Schwerpunkt bisher deutlich auf den Office Tätigkeiten. Cyquest hat hier mittlerweile mit CRAFT ein Online-Instrument entwickelt, dass für die Diagnostik der Eignung von Deskless Worker eingesetzt werden kann. Ich freue mich dazu ein Gespräch führen zu können, um nähere Details und ggf. auch erste Einblicke in Anwendungserfahrungen zu erhalten.

Peter: Zunächst herzlichen Dank, lieber Jo, dass ich Dich wieder einmal für ein Gespräch gewinnen konnte.
Jo: Lieber Peter, ich danke dir! Ich finde es wichtig, dass dem Thema „Gewinnung von Deskless Workern“ eine größere Bühne eingeräumt wird, eine Bühne, die dem Thema auch gerecht wird. Dein Buch ist meiner Meinung nach ein wichtiger Beitrag, diesem Thema die gebührende Beachtung zu verschaffen. Wir versuchen, mit unserem Online-Assessment „CRAFT“ einen ganz praktischen Beitrag zu leisten, indem wir einen eignungsdiagnostischen Test speziell für den Bereich „Blue Collar“ bereitstellen.

Peter: Wofür steht eigentlich das Akronym CRAFT?
Jo: Das ist tatsächlich gar kein Akronym, sondern soll verdeutlichen, dass es um ein Online-Assessment vor allem für Berufsbilder handelt, die im weiteren Sinne „mit den Händen“ bzw. handwerklich, fertigend oder gewerblich-technisch tätig sind. Vollständig heißt das Produkt daher auch: „CRAFT das Blue-Collar-Assessment“.

Peter: Nach eigener Aussage geht es bei CRAFT um berufsrelevante Fähigkeiten und Interessen. Wie wurden diese identifiziert und festgelegt? Oder erfolgt dies mit den jeweiligen Nutzern?
Jo: CRAFT ist tatsächlich ein standardisiertes Verfahren, d.h. es erfolgt bis auf optische Anpassungen kein kundenindividuelles Customizing. Die Idee ist schon, dass mit Hilfe von CRAFT wichtige Merkmale erfasst werden können, die generell für handwerkliche, fertigende oder gewerblich-technische Tätigkeiten und berufserfolgskritisch sind. Um diese zu identifizieren, sind wir erstens tief in die einschlägige diagnostische Forschung eingestiegen und haben zweitens etliche unserer Kunden befragt, was sie wichtig halten. Drittens haben wir ja einen unheimlich wichtigen empirischen Erfahrungsschatz. Wir führen ja im Jahr mehrere Hunderttausend Tests für die unterschiedlichsten Unternehmen durch. Da geht es auch oft um Berufe, die eher dem Deskless Work-Bereich zuzuordnen sind. Hier konnten wir ebenfalls sehr viele Erkenntnis draus ziehen, worauf es bei diesen Berufen eigentlich ankommt.

Peter: Ich habe gelesen, dass sich CRAFT aus mehreren Modulen zusammensetzt. Könntest du diese Module bitte schlagwortartig vorstellen?
Jo: Na klar! CRAFT umfasst insgesamt drei Module, wobei eines davon, das dritte optional zum Einsatz gebracht oder auch weggelassen werden kann. Der Reihe nach:

Das erste Modul erfasst die Fähigkeit zum "Multitasking", denn oft muss man bspw. in der Fertigung mehrere Dinge gleichzeitig im Blick behalten können. Im „Multitaskingtest Blue-Collar“ sollen Messwerte verglichen und gleichzeitig Anfragen weitergegeben werden. In dem Verfahren wird sowohl die Multitaskingfähigkeit als auch die Konzentrationsfähigkeit und Bearbeitungsgeschwindigkeit im praktisch-technischen Berufskontext erfasst.



Das zweite Modul misst verschiedene für diese Zielgruppen wichtige Persönlichkeits- und Interessenmerkmale: Teamfähigkeit, Organisationsfähigkeit und Gewissenhaftigkeit sowie praktisch-technische Interessen.



Beim dritten Modul handelt es sich um ein simulatives Verfahren, konkret eine Planungsaufgabe. Bei der „Planungsaufgabe Blue-Collar-Leitung“ soll unter Zeitdruck und Störeinflüssen (Telefonanrufe) eine Dienstplanung für einen Handwerksbetrieb erstellt werden. Auf diese Weise wird ein hoher Grad an Realitätsnähe und Anforderungsbezug hergestellt. In dieser berufsbezogenen Simulation werden Fähigkeiten im Planen, komplexen Problemlösen sowie im flexiblen Umgang mit Störungen erfasst.



Dieses dritte Modul ist wie gesagt optional, d.h. man kann dieses z.B. selektiv nur für Besetzungen zum Einsatz bringen, bei denen im Job dann auch koordinierende oder planende Aufgaben Teil der Tätigkeit sind. Das gilt dann z.B. für Vorarbeiter, Teamleiter, Schichtführer etc., die etwa Maschinenbelegungs- oder Personaleinsatzpläne erstellen müssen. Alle drei Module zusammen können meist in nur 15 bis 20 Minuten absolviert werden, d.h. man kommt sehr schnell zu einem Messbefund.

Peter: Es handelt sich um ein Online-gestütztes verfahren. Braucht es dafür einen „PC“ oder kann diese auch mobil absolviert werden?
Jo: Grundsätzlich gilt für alle unsere Tools, dass diese auf allen gängigen Endgerätetypen, also Desktoprechner, Tablets und Smartphones gleichwertig durchgeführt werden können. Für die Zielgruppe der Deskless Worker spielen mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets natürlich nochmal eine sehr viel größere Rolle, weil diese Menschen naturgemäß meist eben nicht an einem Schreibtisch sitzen, auf dem ein PC stehen kann… Also: Alles was man braucht, ist ein digitales Endgerät mit Browser und eine möglichst stabile Internetverbindung. Das geht natürlich auch remote.

Peter: Gibt es Blue Collar Berufe für die dieses Verfahren ggf. nicht geeignet ist?
Jo: Der Anspruch von „CRAFT“ ist, dass es sich tatsächlich für alle Formen von Blue Collar Berufen eignet. Denn: Es wird im Tool kein erforderliches Fachwissen überprüft – das unterscheidet sich ja schon sehr von Beruf zu Beruf oder Unternehmen zu Unternehmen -, sondern es werden wichtige grundlegende Merkmale gemessen, die quasi immer mit einer mehr oder eben weniger erfolgreichen Ausübung von Tätigkeiten im Blue Collar Bereich zusammenhängen.

Peter: Ihr betont, dass mit CRAFT, Talente sichtbar gemacht machen können, die bei klassischer Personalauswahl übersehen werden. Wie ist dies zu verstehen?
Jo: Oftmals beruht die Personalauswahl auf der reinen Betrachtung „fachlicher Kenntnisse“ und/oder dem subjektiven Eindruck, den jemand z.B. mit seinen Bewerbungsunterlagen oder im Interview hinterlässt. Und bei beidem ist die Gefahr groß, dass man hierbei Personen „aussortiert“, die aber eigentlich gut gepasst hätten. Man spricht hierbei in der Selektionsdiagnostik vom Auswahlfehler zweiter Art, der sog. „Falsch-Negativ-Selektion“. Das Problem: Bei jemandem, den ich schon aussortiert habe, kann ich ja anschließend nicht mehr feststellen, dass er aber eigentlich doch geeignet gewesen wäre. Das ist das gemeine an dieser Art Auswahlfehler. Schickt man jedoch alle Bewerbenden in ein Verfahren wie CRAFT, dann bekommt man auch von allen einen vergleichbaren Messbefund hinsichtlich der in CRAFT gemessenen Merkmale und kann diese zusätzlich in die Betrachtung einbeziehen. Dabei zeigt sich, dass eine beträchtliche Anzahl an Bewerbenden auf einmal doch sehr geeignet zu sein scheinen, die man ohne diesen Befund als ungeeignet aussortiert hätte. Das resultiert also wenn man so will in „mehr Auswahl“, weil man auf einmal Potenzial erkennt in den Ecken, in denen man sonst gar nicht nachgesehen hätte…

Peter: Wie steht es um die Erfahrungen der ersten Anwender mit CRAFT? Gibt es vielleicht Kunden, die hier bereits genannt werden können?
Jo: CRAFT ist ganz neu. Wir starten jetzt gerade mit den ersten Kunden. Aber allein schon die Range der Branchen, aus denen diese kommen zeigt die breite Verwendbarkeit des Tools: Ein Unternehmen kommt z.B. aus der Chemie und stellt Schmierstoffe her, ein anderes Süßigkeiten, vor allem Schokolade. Dann gibt es etwa einen Baukonzern, einen Heizungsbauer oder ein Unternehmen aus dem ICT-Bereich, wo bspw. Menschen arbeiten, die Glasfaserkabel verlegen.

Peter: Herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Euch anhaltenden Erfolg mit CRAFT!
Jo: Vielen Dank lieber Peter! Wir sind auch sehr gespannt, wie sich CRAFT sowie insg. die Personalgewinnung im Deskless Worker Bereich entwickelt!

Mein Gesprächspartner Joachim Diercks ist Geschäftsführer und Co-Founder der CYQUEST GmbH. Nach BWL-Studium in Hamburg und Berkeley und Berufseinstieg bei Bertelsmann in London gründete er 2000 CYQUEST, heute einer der führenden Anbieter von Assessment-Lösungen für Personalauswahl und Berufsorientierung im deutschsprachigen Raum mit Kunden wie BARMER, Deutsche Telekom oder EON. Er ist Hochschuldozent für Eignungsdiagnostik, Autor des Buchs „Recrutainment“ (2023) sowie zahlreicher Fachartikel zu verschiedenen E-Recruiting- und Employer-Branding Themen und regelmäßig als Speaker bei HR-Fachkongressen, u.a. bei der von ihm selbst organisierten jährlich stattfindenden „#HREdge“. Sein Recrutainment Blog ist einer der meistgelesenen deutschsprachigen HR-Blogs. Diercks gilt als einer der Vordenker wie sich die Personalgewinnung zukünftig entwickeln wird. Joachim Diercks ist mit einem Kapitel zum Thema „Wie können Berufsorientierungsspiele zur Gewinnung von Mitarbeitenden eingesetzt werden - speziell in gewerblich-technischen Berufen?“ im Buch „Deskless Work und Personalmanagement“ vertreten.