Wald: Vornweg vielen Dank, dass es so kurzfristig mit dem
Gespräch geklappt hat. Wie ich feststellen konnte, sind Sie sofort auf meine
Kommentare bei Twitter eingestiegen und haben dabei einige interessante Möglichkeiten
für eine bessere Candidate Experience erwähnt.
Koglin: Ja, die sozialen Medien bieten sehr gute
Möglichkeiten, um mit ganz unterschiedlichen Menschen in Kontakt zu kommen.
Jetzt freut es mich gesammelte Erfahrungen und Beobachtungen im Detail zu
analysieren und an andere weiterzugeben.
Wald: Woher stammen Ihre Eindrücke? Basieren diese auf
persönlichen Erfahrungen? Sind es Praktiken, die Sie bei Ihren Kunden
kennengelernt haben?
Koglin: Der Großteil sind persönliche Erfahrungen. In den
letzten zehn Jahren war ich regelmäßig in der „Bewerber“-Rolle unterwegs und
habe unterschiedliche Vorgehensweisen kennengelernt. Das waren grob geschätzt
zwischen 20 und 30 persönliche Vorstellungsgespräche. Durch Blogs, Twitter und
persönliche Gespräche tausche ich mich zudem mit anderen über Vorgehensweisen
und Erfahrungen aus.
Wald: In einem Kommentar sprachen Sie von der
Ausformulierung der Wertekultur. Was kann ich mir darunter vorstellen? Wer
formuliert dies? Handelt es sich dabei nicht um die bekannten Leitsätze? Oder steckt
mehr dahinter?
Koglin: Als Bewerber ist es für mich wichtig, das Unternehmen
möglichst ehrlich und präzise kennenzulernen. Dabei geht es nicht unbedingt um
den fachlichen Fokus, Prozesse und interne Abläufe, sondern eher um emotionale
Dinge und Kultur. Dahinter steht die Frage wie miteinander gearbeitet wird oder
welche Form der Zusammenarbeit angestrebt wird. Ob sich ein Unternehmen über
diese Dinge Gedanken gemacht hat oder nicht, sagt häufig schon viel darüber aus, wie reflektiert die Organisation und dessen Mitarbeiter sind. In einem Inhabergeführten Unternehmen kann ich mir
vorstellen, dass die Eigentümer ausschlaggebend die Wertekultur geprägt haben.
Meist geschieht das unbewusst und unveränderlich. Das wird erst in Wachstums-
oder Veränderungsphasen zum Problem. Dann stellt man fest, dass Wertekonflikte
auftreten oder diese Werte nicht gemeinsam mit den Mitarbeitern wachsen oder
geprägt werden. Das dahinterliegende Ziel bei Leitsätzen war sicherlich ein
ähnliches. Häufig entpuppen sich diese jedoch als starre Phrasen die nach einiger
Zeit an Wirksamkeit verlieren. Vermutlich weil die Relevanz für Mitarbeiter abnimmt
oder die Sätze sich im Laufe der Zeit nicht mit verändert haben. Eine Summe aus
Werten ist da präziser, kann schneller verglichen und ausgetauscht werden. Es
dient als Aufhänger um ins Gespräch zu kommen. Werte können geprägt werden
durch die Teilnehmer im System. Ein sehr wichtiger Prozess. Es genügt nicht ein
Werte-Set aufzustellen, sondern diese Werte sollten mit den Mitarbeitern und
den Führungskräften ausformuliert sein. Als Bewerber habe ich schließlich nicht nur die Chance die
einzelnen Werte zu sehen, ich kann auch im Vorstellungsgespräch nachfragen, wie
dieser Wert im System definiert ist. „Transparenz“ ist ein typisches Beispiel. Alleinstehend
handelt es sich um eine Worthülse. Durch eine Semantik, also eine Erklärung
kann ich für mich prüfen, ob es sich „stimmig“ anfühlt. Wofür nutzt ein Unternehmen
Transparenz? Zur Kontrolle der Arbeitsleistung oder zur Informationsstreuung? Das sagt viel aus. Zudem kann ich, wenn ich meine eigenen Werte kenne, einen
Vergleich vornehmen und prüfen, ob ich mich in diesem
Unternehmen wohlfühlen werde. Ein Unternehmen welches sich „schnelle Lösungen“
auf die Fahne schreibt passt wahrscheinlich nicht zu jemandem, der
ein „hohes Qualitätsbewusstsein“ als Wert besitzt.
Wald: Wie kann ich mir die Einbeziehung der Teams vorstellen?
Geht es hier um die Weitergabe von Informationen über die Teams, die einen
neuen Mitarbeiter suchen? Sollten/können Teammitglieder bei der Auswahl des
neuen Kollegen beteiligt werden? Ggf auch an den Gesprächen?
Koglin: Die Einbeziehung des Teams sollte, aus meiner Sicht,
bereits bei Beginn der Stellensuche passieren. In der Software-Entwicklung
kennt man das Hilfsmittel der Persona, um sich ein Bild des Kunden zu erstellen.
Was spricht dagegen dieses Bild auch von einem zukünftigen Mitarbeiter zu
erstellen? Das Team und dessen einzelne Teilnehmer wissen viel detaillierter, wen oder was es brauchen würde, damit die Aufgaben noch besser bewerkstelligt
werden können. Wird diese Definition nur von einem einzelnen geprägt oder sogar
ganz abstrakt von der Personalabteilung erstellt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ins Team kommt, der möglicherweise fachlich nicht passt,
aber auch menschlich nicht akzeptiert wird. Ohne die frühe Einbindung des
Teams, wird es plötzlich von heute auf morgen mit einem neuen Teammitglied
konfrontiert, auf das es sich einlassen muss. Die Entscheidung ist schließlich
nach Einstellung gefällt und wird selten wieder revidiert. Ein, aus meiner
Sicht, sehr unnatürlicher Vorgang. Aus Sicht des Bewerbers ist dies genauso. Bevor ich
in einem Team mitarbeite, interessiert mich dessen Struktur. Werde ich dort
fachlich sehr viel lernen können? Interessieren mich die Aufgaben, die das Team
bestreitet? Passt die Arbeitsweise des Teams? Kann ich mich dort persönlich weiterentwickeln? Was hierbei helfen kann ist das Skizzieren der Teamstruktur
auf einer simplen Seite. Dazu gibt es auf meinem Blog eine kurze Beschreibung: http://www.agile-is-limit.de/best-practice-austausch-mit-vielen-teams-team-im-fokus/
Mit dieser Methode können Größe, Altersstruktur, Hierarchie und die
Rollenverteilung und ähnliche Aspekte sehr schnell erfasst und weitergegeben
werden. In Kombination mit einer Skill-Matrix https://blog.seibert-media.net/blog/2014/02/19/agile-skill-matrix-weiterbildung-im-team-systematisieren-und-wissensaustausch-zielgerichtet-steuern/ über die Teammitglieder hat ein Bewerber
recht schnell die Möglichkeit selbst zu reflektieren, wie und ob er in das Team
hineinpasst.
Wald: Wie werden dir Meinungen der Mitarbeiter zum neuen
Mitarbeiter berücksichtigt. Läuft dies eher informell ab oder gibt es hier
bereits Erfahrungen mit einer formalen Beteiligung des Teams?
Koglin: Der Weg kann von Team zu Team ganz unterschiedlich aussehen.
Kommunikation ist, wie in vielen anderen Bereichen, auch hier sicher der
Schlüssel. Dabei gilt es jeden im Team nach seinen Bedenken zu befragen, die
Meinung aufzunehmen und ein Veto ernst zu nehmen. Das steigert die Akzeptanz
und die spätere erfolgreiche Integration für neue Teammitglieder.
Wald: Wie laufen die von Ihnen erwähnten Einführungskurse ab? Ist dies etwas Neues oder nur die "altbekannten" Einführungsveranstaltungen?
Koglin: Sicherlich helfen Vorträge die das Unternehmen und
dessen Kunden präsentieren. Noch wertvoller sind Veranstaltungen in denen ich
meine persönlichen Stärken herausfinden kann oder nochmal daran erinnert werde.
Im Anschluss daran, macht es Sinn zu erfahren, wie ich sie im Unternehmen
einsetzen kann. Dinge die beim letzten Arbeitgeber wichtig waren, sind im neuen
Kontext vielleicht gar nicht mehr wichtig oder sogar negativ behaftet. Es dreht sich um die eigene Berufung und wie man sie
zukünftig weiterleben kann. Dabei spielen auch die Unternehmensgrenzen eine
sehr große Rolle. Welche Freiheitsgrade habe ich als Mitarbeiter und welche
eher nicht? Derartige Aspekte lassen sich häufig nicht durch Foliensätze
transportieren. Das geht am sinnvollsten durch individuellen Austausch. Daher ist
es vor allem für große Konzerne wichtig Ansprechpartner und Mentorbeziehungen
zu fördern. Dabei kommt es zudem darauf an, eine Lösung zu finden mit
der sich jeder wohlfühlt. Für manche Menschen ist ein Austausch mit
Gleichgesinnten Neueinsteigern oder einem Mentor völlig unwichtig.
Wald: Mein wissenschaftliches "Steckenpferd" ist
die "Virtuelle/Digitale Führung", mit der ich mich seit einiger Zeit
beschäftigt. Auf Ihrer Homepage habe ich gesehen, dass Sie im agilen Umfeld
tätig sind. Hier werden Vorgehensweisen gewählt (z.B. SCRUM), die m. E. ihren
Weg auch Nicht-IT-Bereiche finden werden. Wie sind Ihre Erfahrungen? Werden
sich die Schwerpunkte bei der Führung von Mitarbeitern verschieben?
Koglin: Ich denke, dass agile Vorgehensweisen wie SCRUM
primär in den Bereichen helfen können in denen es um Komplexität und individuelle
Lösungen geht. Praktisch überall dort wo mehrere Menschen miteinander agieren.
Wald: Was sollten Unternehmen bei der Einführung dieser
neuen Arbeitsweisen berücksichtigen? Was sind die Erfolgsfaktoren beim Umgang
mit diesen neuen Arbeitstechniken?
Koglin: Es gibt kein Patentrezept oder einen
Standard-Prozess den man einführt damit es „rund läuft“. Die Art der
Veränderung und die Wahl der Arbeitsweise hängen stark an den Menschen die
hinterher damit arbeiten möchten, sollen und wollen. Der Erfolg besteht darin,
zu verstehen dass eine Organisation ohnehin ständig im Wandel ist. Mit jedem
neuen Mitarbeiter, jedem neuen Kunden und jeder Marktbewegung verändert sich
etwas auf das man sich neu einstellen sollte. Darauf muss man sich einlassen
können, Mut haben und auf andere Fähigkeiten zurückgreifen wie bisher.
Wald: Lieber Herr Koglin, ich danke ihnen herzlich für die
kurzfristige Möglichkeit für dieses Gespräch. Ich freue mich darauf, dass sich
unsere virtuellen Wege bald wieder einmal kreuzen.
Patrick Koglin |
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