Sonntag, 16. November 2014

Es geht anders: Wege zu besserer Candidate Experience und zur erfolgreichen Integration neuer Mitarbeiter

Unsere Studie zu Candidate Experience zeichnet kein allzu positives Bild der Erfahrungen, die Bewerber derzeit als Kandidaten sammeln müssen. Verständlicherweise gilt daher mein Interesse existierenden Best Practices bei der Rekrutierung und der Integration neuer Mitarbeiter. Über Twitter, bin ich auf Hinweise zu neuen Wege gestoßen, die spürbare Verbesserungen der Bewerbererfahrungen mit sich bringen können. In einigen Feeds hat Patrick Koglin über interessante Aspekte im Umfeld von Bewerbungen und bei der Einführung von neuen Mitarbeitern berichtet. In diesem Zusammenhang sprach er auch von der Ausformulierung der Wertekultur, von Einführungskursen und Trainings zur Ermittlung der persönlichen Stärken neuer Mitarbeiter sowie von der Präsentation des Teams und der Teammitglieder im Web. Alles interessante Aspekte, die den Kandidaten neue und vor allem andere Erfahrungen versprechen dürften. Hinzu kommt, dass Patrick Koglin im agilen Umfeld tätig ist. Ein Umfeld, das sich, so hoffe ich, auch durch innovative Vorgehensweisen bei der Rekrutierung und Integration neuer Mitarbeiter/-innen auszeichnet. Zu den den erwähnten Themen will ich ihn heute befragen.

Wald: Vornweg vielen Dank, dass es so kurzfristig mit dem Gespräch geklappt hat. Wie ich feststellen konnte, sind Sie sofort auf meine Kommentare bei Twitter eingestiegen und haben dabei einige interessante Möglichkeiten für eine bessere Candidate Experience erwähnt.
Koglin: Ja, die sozialen Medien bieten sehr gute Möglichkeiten, um mit ganz unterschiedlichen Menschen in Kontakt zu kommen. Jetzt freut es mich gesammelte Erfahrungen und Beobachtungen im Detail zu analysieren und an andere weiterzugeben.

Wald: Woher stammen Ihre Eindrücke? Basieren diese auf persönlichen Erfahrungen? Sind es Praktiken, die Sie bei Ihren Kunden kennengelernt haben?
Koglin: Der Großteil sind persönliche Erfahrungen. In den letzten zehn Jahren war ich regelmäßig in der „Bewerber“-Rolle unterwegs und habe unterschiedliche Vorgehensweisen kennengelernt. Das waren grob geschätzt zwischen 20 und 30 persönliche Vorstellungsgespräche. Durch Blogs, Twitter und persönliche Gespräche tausche ich mich zudem mit anderen über Vorgehensweisen und Erfahrungen aus.

Wald: In einem Kommentar sprachen Sie von der Ausformulierung der Wertekultur. Was kann ich mir darunter vorstellen? Wer formuliert dies? Handelt es sich dabei nicht um die bekannten Leitsätze? Oder steckt mehr dahinter?
Koglin: Als Bewerber ist es für mich wichtig, das Unternehmen möglichst ehrlich und präzise kennenzulernen. Dabei geht es nicht unbedingt um den fachlichen Fokus, Prozesse und interne Abläufe, sondern eher um emotionale Dinge und Kultur. Dahinter steht die Frage wie miteinander gearbeitet wird oder welche Form der Zusammenarbeit angestrebt wird. Ob sich ein Unternehmen über diese Dinge Gedanken gemacht hat oder nicht, sagt häufig schon viel darüber aus, wie reflektiert die Organisation und dessen Mitarbeiter sind. In einem Inhabergeführten Unternehmen kann ich mir vorstellen, dass die Eigentümer ausschlaggebend die Wertekultur geprägt haben. Meist geschieht das unbewusst und unveränderlich. Das wird erst in Wachstums- oder Veränderungsphasen zum Problem. Dann stellt man fest, dass Wertekonflikte auftreten oder diese Werte nicht gemeinsam mit den Mitarbeitern wachsen oder geprägt werden. Das dahinterliegende Ziel bei Leitsätzen war sicherlich ein ähnliches. Häufig entpuppen sich diese jedoch als starre Phrasen die nach einiger Zeit an Wirksamkeit verlieren. Vermutlich weil die Relevanz für Mitarbeiter abnimmt oder die Sätze sich im Laufe der Zeit nicht mit verändert haben. Eine Summe aus Werten ist da präziser, kann schneller verglichen und ausgetauscht werden. Es dient als Aufhänger um ins Gespräch zu kommen. Werte können geprägt werden durch die Teilnehmer im System. Ein sehr wichtiger Prozess. Es genügt nicht ein Werte-Set aufzustellen, sondern diese Werte sollten mit den Mitarbeitern und den Führungskräften ausformuliert sein. Als Bewerber habe ich schließlich nicht nur die Chance die einzelnen Werte zu sehen, ich kann auch im Vorstellungsgespräch nachfragen, wie dieser Wert im System definiert ist. „Transparenz“ ist ein typisches Beispiel. Alleinstehend handelt es sich um eine Worthülse. Durch eine Semantik, also eine Erklärung kann ich für mich prüfen, ob es sich „stimmig“ anfühlt. Wofür nutzt ein Unternehmen Transparenz? Zur Kontrolle der Arbeitsleistung oder zur Informationsstreuung? Das sagt viel aus. Zudem kann ich, wenn ich meine eigenen Werte kenne, einen Vergleich vornehmen und prüfen, ob ich mich in diesem Unternehmen wohlfühlen werde. Ein Unternehmen welches sich „schnelle Lösungen“ auf die Fahne schreibt passt wahrscheinlich nicht zu jemandem, der ein „hohes Qualitätsbewusstsein“ als Wert besitzt.

Wald: Wie kann ich mir die Einbeziehung der Teams vorstellen? Geht es hier um die Weitergabe von Informationen über die Teams, die einen neuen Mitarbeiter suchen? Sollten/können Teammitglieder bei der Auswahl des neuen Kollegen beteiligt werden? Ggf auch an den Gesprächen?
Koglin: Die Einbeziehung des Teams sollte, aus meiner Sicht, bereits bei Beginn der Stellensuche passieren. In der Software-Entwicklung kennt man das Hilfsmittel der Persona, um sich ein Bild des Kunden zu erstellen. Was spricht dagegen dieses Bild auch von einem zukünftigen Mitarbeiter zu erstellen? Das Team und dessen einzelne Teilnehmer wissen viel detaillierter, wen oder was es brauchen würde, damit die Aufgaben noch besser bewerkstelligt werden können. Wird diese Definition nur von einem einzelnen geprägt oder sogar ganz abstrakt von der Personalabteilung erstellt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ins Team kommt, der möglicherweise fachlich nicht passt, aber auch menschlich nicht akzeptiert wird. Ohne die frühe Einbindung des Teams, wird es plötzlich von heute auf morgen mit einem neuen Teammitglied konfrontiert, auf das es sich einlassen muss. Die Entscheidung ist schließlich nach Einstellung gefällt und wird selten wieder revidiert. Ein, aus meiner Sicht, sehr unnatürlicher Vorgang. Aus Sicht des Bewerbers ist dies genauso. Bevor ich in einem Team mitarbeite, interessiert mich dessen Struktur. Werde ich dort fachlich sehr viel lernen können? Interessieren mich die Aufgaben, die das Team bestreitet? Passt die Arbeitsweise des Teams? Kann ich mich dort persönlich weiterentwickeln? Was hierbei helfen kann ist das Skizzieren der Teamstruktur auf einer simplen Seite. Dazu gibt es auf meinem Blog eine kurze Beschreibung: http://www.agile-is-limit.de/best-practice-austausch-mit-vielen-teams-team-im-fokus/ Mit dieser Methode können Größe, Altersstruktur, Hierarchie und die Rollenverteilung und ähnliche Aspekte sehr schnell erfasst und weitergegeben werden. In Kombination mit einer Skill-Matrix https://blog.seibert-media.net/blog/2014/02/19/agile-skill-matrix-weiterbildung-im-team-systematisieren-und-wissensaustausch-zielgerichtet-steuern/ über die Teammitglieder hat ein Bewerber recht schnell die Möglichkeit selbst zu reflektieren, wie und ob er in das Team hineinpasst.

Wald: Wie werden dir Meinungen der Mitarbeiter zum neuen Mitarbeiter berücksichtigt. Läuft dies eher informell ab oder gibt es hier bereits Erfahrungen mit einer formalen Beteiligung des Teams?
Koglin: Der Weg kann von Team zu Team ganz unterschiedlich aussehen. Kommunikation ist, wie in vielen anderen Bereichen, auch hier sicher der Schlüssel. Dabei gilt es jeden im Team nach seinen Bedenken zu befragen, die Meinung aufzunehmen und ein Veto ernst zu nehmen. Das steigert die Akzeptanz und die spätere erfolgreiche Integration für neue Teammitglieder.

Wald: Wie laufen die von Ihnen erwähnten Einführungskurse ab? Ist dies etwas Neues oder nur die "altbekannten" Einführungsveranstaltungen?
Koglin: Sicherlich helfen Vorträge die das Unternehmen und dessen Kunden präsentieren. Noch wertvoller sind Veranstaltungen in denen ich meine persönlichen Stärken herausfinden kann oder nochmal daran erinnert werde. Im Anschluss daran, macht es Sinn zu erfahren, wie ich sie im Unternehmen einsetzen kann. Dinge die beim letzten Arbeitgeber wichtig waren, sind im neuen Kontext vielleicht gar nicht mehr wichtig oder sogar negativ behaftet. Es dreht sich um die eigene Berufung und wie man sie zukünftig weiterleben kann. Dabei spielen auch die Unternehmensgrenzen eine sehr große Rolle. Welche Freiheitsgrade habe ich als Mitarbeiter und welche eher nicht? Derartige Aspekte lassen sich häufig nicht durch Foliensätze transportieren. Das geht am sinnvollsten durch individuellen Austausch. Daher ist es vor allem für große Konzerne wichtig Ansprechpartner und Mentorbeziehungen zu fördern. Dabei kommt es zudem darauf an, eine Lösung zu finden mit der sich jeder wohlfühlt. Für manche Menschen ist ein Austausch mit Gleichgesinnten Neueinsteigern oder einem Mentor völlig unwichtig.

Wald: Mein wissenschaftliches "Steckenpferd" ist die "Virtuelle/Digitale Führung", mit der ich mich seit einiger Zeit beschäftigt. Auf Ihrer Homepage habe ich gesehen, dass Sie im agilen Umfeld tätig sind. Hier werden Vorgehensweisen gewählt (z.B. SCRUM), die m. E. ihren Weg auch Nicht-IT-Bereiche finden werden. Wie sind Ihre Erfahrungen? Werden sich die Schwerpunkte bei der Führung von Mitarbeitern verschieben?
Koglin: Ich denke, dass agile Vorgehensweisen wie SCRUM primär in den Bereichen helfen können in denen es um Komplexität und individuelle Lösungen geht. Praktisch überall dort wo mehrere Menschen miteinander agieren.

Wald: Was sollten Unternehmen bei der Einführung dieser neuen Arbeitsweisen berücksichtigen? Was sind die Erfolgsfaktoren beim Umgang mit diesen neuen Arbeitstechniken?
Koglin: Es gibt kein Patentrezept oder einen Standard-Prozess den man einführt damit es „rund läuft“. Die Art der Veränderung und die Wahl der Arbeitsweise hängen stark an den Menschen die hinterher damit arbeiten möchten, sollen und wollen. Der Erfolg besteht darin, zu verstehen dass eine Organisation ohnehin ständig im Wandel ist. Mit jedem neuen Mitarbeiter, jedem neuen Kunden und jeder Marktbewegung verändert sich etwas auf das man sich neu einstellen sollte. Darauf muss man sich einlassen können, Mut haben und auf andere Fähigkeiten zurückgreifen wie bisher.

Wald: Lieber Herr Koglin, ich danke ihnen herzlich für die kurzfristige Möglichkeit für dieses Gespräch. Ich freue mich darauf, dass sich unsere virtuellen Wege bald wieder einmal kreuzen.


Patrick Koglin
Mein Gesprächspartner, Patrick Koglin (www.koglin.net), hat an der Hochschule Fulda „Angewandte Informatik“ studiert und ist seit acht Jahren im Bereich der Software-Entwicklung tätig. Dabei legt er seinen Schwerpunkt auf agiles Projektmanagement und berät IT-Teams und Organisationen. Zu seinen Themen gehören auch Achtsamkeit und persönliche Veränderung. Beide behandelt er in seinem Blog www.agile-is-limit.de und in seinem Buch „Endlich achtsam“ www.life-is-limit.de/buch-endlich-achtsam/


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