Manfred Becker |
Wald: Vielen Dank für die kurze Vorstellung. Wie ist Ihre Position im Personalmanagement bzw. worin bestehen Ihre konkreten Schnittstellen zum Personalmanagement?
Becker: Ja, die konkreten Bezüge zum Personalmanagement sind in meiner Vita begründet. Nach dem Studium war ich 10 Jahre in der Personalarbeit von General Motors Europe und Opel tätig. Ich war Leiter Berufsausbildung, Weiterbildung und stellvertretender Leiter der zentralen Personalentwicklung. Auch an der Universität braucht man Personalwirtschaft. Dies umso mehr, wenn der Lehrstuhl, wie es bei mir war, sehr groß ist. Jetzt bin ich wissenschaftlicher Leiter der eo ipso personal- und organisationsberatung GmbH in Mainz. Eo ipso ist ein Beratungs- und Trainingsinstitut, das gewissermaßen als Ausgründung vor mittlerweile 17 Jahren in Mainz entstanden ist und das sich um Personal, Führung, Organisation und insbesondere um Personalentwicklung kümmert. Unsere Schwerpunkte liegen in der Beratung und im Training.
Wald: Wie schätzen Sie den gegenwärtigen Status bzw. das Standing der Personaler insgesamt ein?
Becker: Ja, das ist eine recht generelle Frage und darauf ist auch nur eine generelle Antwort möglich. Ich will es mal so sagen: Viele Personalabteilungen sind auf einem guten Weg. Einige sind bereits sehr gut, mache sind exzellent aufgestellt. Aber es gibt natürlich auch noch viele Personalabteilungen, die mit der roten Laterne in der Hand hinter der Unternehmensentwicklung herlaufen. Insbesondere diese haben weder einen guten Stand noch ein gutes Gefühl. Wenn man hinter der Entwicklung herläuft, dann läuft man auch hinter den Budgets her. Man bekommt keine großen Budgets und das bedeutet, dass man in einen Abwärtstrend, in einen destruktiven Zirkel gerät, weil die Personalabteilung, ich glaube, wie es Heidrick & Struggles einmal mal formuliert hat, gelegentlich als „die letzten Heuler“ apostrophiert werden. Wenn es weniger Geld gibt, kann man weniger machen, und so setzt sich die Misere fort. Gute Personalabteilungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Aktivitäten immer mehr vom operativen hin zu konzeptionell-gestalterischer Arbeit verlagern. Sie sind an die Unternehmensentwicklung gekoppelt, kennen die Unternehmensphilosophie und die strategischen Optionen. Proaktive Personalarbeit wird so möglich. Personaler müssen das Dringliche gegen das Wichtige tauschen, dann sind sie gut aufgestellt. Wer der Tyrannei des Dringlichen widersteht, leistet fundamental wichtige Arbeit für die Entwicklung der Unternehmen und der Beschäftigten. Gutes Standing, gute Konzepte, ein sehr gutes wissenschaftliches Fundament sichern die erforderliche Professionalität unternehmerischer Personalarbeit. Man muss sich natürlich auch umschauen, also gelegentlich zu Kongressen und Messen gehen und sich in einschlägigen Arbeitskreisen engagieren.
Wald: Was meinen Sie, warum das Personalmanagement heute (trotzdem) so oft und teilweise heftig kritisiert wird?
Becker: Darauf gibt es eine ganz einfache Antwort. Erfolge werden internalisiert und Misserfolge schiebt man der Personalabteilung zu. So entsteht das Image. Wenn z.B. ein Mitarbeiter von der Personalabteilung durch ein Training, durch ein Coaching, durch eine gelungene Auswahl zu exzellenter Leistung geführt wird, dann rechnet sich der Mitarbeiter das selber an. Die Führungskraft ist davon überzeugt, dass die wichtigen Impulse von ihr gekommen sind. An die Leistung der Personalarbeit denkt niemand. Der Personalabteilung bleiben allenfalls Brosamen des Erfolges. Mit anderen Worten ausgedrückt, Personalarbeit ist für ihre Kunden ein Hygienefaktor, wenn sie gut ist, hört man nichts, und wenn sie nicht so gut läuft, dann ist die Personalabteilung schuld. Aber dagegen kann man etwas tun. Es gibt einen berühmten Spruch, der heißt: „Klappern gehört zum Handwerk, tue Gutes und rede darüber.“ Aber selbst dafür haben die Personaler keine Zeit, sie ziehen sich zurück, arbeiten bis in den späten Abend. In der Personalabteilung brennt abends das Licht am längsten. Und trotzdem erledigen viele Personaler nur das Dringende, kommen nicht zum Wichtigen.
Wald: Wo sehen Sie in der nächsten Zeit konkreten Änderungsbedarf bei Leistungen und Angeboten des Personalmanagements?
Becker: Ja, was muss sich ändern, oder was wird sich ändern und was wird auf die Personaler zukommen? Da gibt es die von mir erforschte Quadriga der Postmoderne. Die Personalarbeit wird sich mit einer weiter wachsenden Individualisierung, mit der Fragmentierung der Geschehnisse, mit zeitlicher Zerstückelung, mit Temporalisierung und der Ästhetisierung der Lebensformen auseinandersetzen müssen. Das bedeutet, dass wir die Personalarbeit deutlich aufrüsten müssten, wenn die Personalarbeit die Forderungen der Individualisierung, Temporalisierung, Fragmentierung und Ästhetisierung erfüllen will, dann wächst der Auftrag der Personalarbeit gewaltig. Die Personalarbeit muß individualisierte, maßgeschneiderte Angebote erarbeiten. Gewissermaßen eine Unikat-Personalarbeit für jeden Mitarbeiter ist gefordert. Das bedeutet, dass die Personalabteilung stark aufwachsen muss. Klar ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel häufiger neu qualifiziert, auf neue Positionen versetzt oder mit neuen Techniken vertraut gemacht werden müssen. Die Digitalisierung, das Internet der Dinge, nennen Aspekte, die in der Zukunft stark in den Vordergrund drängen. In Zeiten wachsender Komplexität, Dynamik und Unsicherheit muß die Personalarbeit den Sinn der Arbeit vermitteln. Wenn alles flüchtig wird, wenn alles brüchig wird, der Mensch aber Kontinuität, Verlässlichkeit und Transparenz wünscht, dann ist die Personalarbeit gefordert, Orientierung zu schaffen. An diesen Entwicklungen erkennt man auch, dass Hochschul-Curricula dann gut aufgestellt sind, wenn sie strategische Aspekte der Betriebswirtschaftslehre mit Priorität lehren, statt tausend Nebensächlichkeiten in die Lehrpläne zu schreiben. Aber auch personale, individuelle sozialwissenschaftliche, insbesondere psychologische Aspekte sind in die Ausbildung der Personaler aufzunehmen bzw. zu intensivieren.
Wald: Welche Themen bilden Ihrer Meinung nach die Schwerpunkte des Personalmanagements in den kommenden zehn Jahren sein?
Becker: Wenn ich das ganz genau wüsste, wäre das ungefähr so, als ob ich die Lottozahlen für den nächsten Samstag vorhersagen könnte. Herr Wald, einige Schwerpunkte sind aber schon deutlich erkennbar. Wir werden uns mit der Reduzierung von Sinn, mit der Reduzierung von Arbeitszeit, mit der Herrschaft der Maschinen und mit der Verknappung der Erwerbsbevölkerung auseinandersetzen müssen. Die Mensch-Maschine-Schnittstellen der Arbeitswelt 4.0 sind zu bestimmen und zu managen. Die Menschen werden sehr viele Arbeitsanteile an Systeme abgeben. Die digitale Transformation fordert die Personalarbeit in allen Arbeitsbereichen. Die Bewältigung der Substitution humaner Intelligenz durch artifizielle Intelligenz ist zu bewältigen. Welche Aufgaben können die Menschen übernehmen, die bisher in repetitiven Tätigkeiten gearbeitet haben und nun durch cyber-physische Systeme ersetzt werden? Das ist die eine Seite. Der zweite Megatrend bleibt die demographische Entwicklung mit Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung. Ich reibe mir gelegentlich die ‚Augen, wenn ich lese, dass nun die demographische Entwicklung bewältigt werden müsse. Es gab einen wissenschaftlichen Hype, etwa so einsetzend um die Jahrtausendwende, der ist abgeebbt und nun kommt die Praxisnot. Haben die Unternehmen die letzten zehn Jahre verschlafen? Merkt das Management erst jetzt, dass die Belegschaften deutlich älter als 45 Jahre, manche deutlich älter als 50 Jahre sind? Ein weiterer Schwerpunkt der Personalarbeit der Zukunft wird die Beziehungsarbeit sein. Kontakte, Zusammenarbeit, Vertrauen und Kreativität sind zu fördern für eine turbulente Arbeitswelt. Um es auf den Punkt zu bringen, die Strukturgestaltung, die Prozessorientierung, die Beziehungsarbeit und die Personalentwicklung sind die Schwerpunkte der Personalwirtschaft in den kommenden zehn Jahren. Die Organisationsentwicklung wird eine Renaissance erleben. Konziliare Strukturen sind aufzubauen. Konziliare Strukturen sind ad-hoc-Strukturen, die bisher weder beliebt noch vorhanden waren. Dann wird es Maschine-Mensch-gesteuerte Prozesse in Fülle geben. Augmented Reality ist hier das Stichwort. Good slack, verstanden als elementare Befähigung, die in vielen Tätigkeiten anwendbar sind, ist durch systematische Personalentwicklung aufzubauen.
Wald: Jetzt zur Frage 5+1 (für meine Alumni und Studierenden) Was empfehlen Sie jungen Personalern bzw. Studierenden, die eine Laufbahn im Bereich HR anstreben? Worauf sollten diese achten? Was ist und was wird wichtig?
Becker: Also ich konzentriere mich jetzt mal auf die Studierenden. Die Studierenden sollen dort studieren, wo ein grundlegendes Curriculum elementare Basics vermittelt, statt der Flüchtigkeit zahlloser Randthemen zu frönen, die nur mit einer riesengroßen Excel-Tabelle gemanaged werden können. Also sie sollten dort studieren, wo ein fundamentales Curriculum mit Basics in Personalwirtschaft/Organisation angeboten wird. Zweitens: Sie sollen Professoren wählen, die exzellent forschen und eine attraktive Lehre bieten. Gut wäre es, wenn die Professorinnen und Professoren auch die Praxis gesehen hätten, auf die sie ihre Studenten vorbereiten. Das sind also die Professoren, die Lehrenden, die man sich suchen sollte. Man kann also auch Professoren nachfolgen, wenn die zum Beispiel durch Berufungen weggehen. Und wie sieht dann die Laufbahn aus, wenn man gut ausgebildet ist von guten Professoren bei einem exzellenten Curriculum. Die Laufbahn der jungen Personaler sollte sich idealerweise vom großen zu kleinen Unternehmen entwickeln. In Sie sollen in großen Unternehmen lernen und in kleineren und mittleren Unternehmen dann gestalten, wachsen, Karriere machen. Dies sehr ich als exzellenten Weg für eine erfolgreich Karriere in der Personalarbeit.
Wald: Sehr geehrter Herr Becker, ganz herzlichen Dank für die Antworten. Ich wünsche Ihnen viele Erfolge, Ideen und immer aufgeschlossene und interessierte Partner.
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