Mein Gesprächspartner Friedrich Pohl vom Vodafone-Institut |
Pohl: Vielen Dank. Sehr gern. Das Vodafone Institut ist Vodafones europäischer Think Tank. Wir setzen uns mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft auseinander. Das geschieht in Form von Workshops, Studien – wie der aktuellen „The Tech Divide“ – oder in Form von Events. U.a. veranstalten wir Anfang Februar den Summit „The Future of Made in Europe“. Zudem betreiben wir das internationale Accelerator-Programm F-LANE, das Gründerinnen im Tech-Bereich unterstützt.
Wald: Doch nun zur Studie. Was verstehen Sie im Kontext dieser Studie unter Digitalisierung? Was war der Anlass, sich mit Fragen der Einstellung zur Digitalisierung im internationalen Vergleich näher zu beschäftigen?
Pohl: Der Begriff „Digitalisierung“ ist in aller Munde und steht synonym für die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen, die wir gerade erleben. Nun werden die Schlagzeilen seit vielen Jahren vor allem durch die großen Tech-Unternehmen aus den USA wie etwa Amazon, Apple oder Google bestimmt. Und auch aus China drängen immer mehr Erfolgsgeschichten zu uns vor – denken Sie etwa an Jack Ma mit Alibaba. Aber auch der Einstieg von Geely bei Daimler oder gar der Kauf von Kuka durch Midea stehen für eine Zeitenwende. Wir haben uns gefragt: Wo bleibt hier eigentlich Europa? Warum kommen die meisten großen disruptiven Technologien aus den anderen Regionen der Welt? Gibt es tatsächlich eine Tech-Skepsis? Dazu lagen uns kontinentübergreifend nur wenige Zahlen vor – und schon gar keine aktuellen.
Wald: Könnten Sie einige Details zur Studie nennen?
Pohl: Wir haben das Meinungsforschungsinstitut Ipsos beauftragt, insgesamt 9000 Menschen in neun Ländern zu befragen; in Indien, China, den USA, Bulgarien, Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern. Die Befragung fand online statt. Insgesamt bestand der Fragebogen aus 169 Fragen. Übergreifendes Thema war die Digitalisierung. Aufgeteilt haben wir das Ganze in drei Teile: „Menschen und Gesellschaft“, „Industrie“ und „Politik“. Teil 2 wird Ende November, Teil 3 im Februar erscheinen. Basierend auf den quantitativen Ergebnissen baten wir zudem je fünf Experten pro Land um ihre Einschätzung.
Wald: Erstaunt hat mich, dass die Deutschen der Digitalisierung deutlich weniger optimistisch gegenüberstehen als Einwohner in asiatischen Ländern. Nur 48,2 Prozent der Befragten sehen die Potenziale der Digitalisierung als positiv oder sehr positiv an. Im Vergleich dazu sehen 83,3 Prozent in China und 89,4 Prozent in Indien die Folgen der Digitalisierung als positiv an. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Pohl: Offensichtlich ist der Prozess der Digitalisierung in Indien und China ganz unmittelbar mit einem wirtschaftlichen Aufstieg verbunden. Das schafft positive Assoziationen. Neue Jobs wurden geschaffen, viele Prozesse im täglichen Leben verbessert, die Mittelschicht wächst. Bei uns dagegen sehen viele den Status Quo bedroht. Man traut dieser Entwicklung nicht so recht.
Ein Blick auf die Ergebnisse der Studie |
Wald: Wie ist diese Einstellung entstanden? In Deutschland und Europa gibt es doch sehr lange Erfahrungen mit Fragen des technischen Fortschritts.
Pohl: Sicher. Aber auch wenn viele technische Neuerungen in Europa entwickelt wurden, startete die ökonomische Umwälzung ganzer Märkte in den USA – angetrieben zunächst durch Unternehmer wie etwa Thomas Edison, John D. Rockefeller oder Henry Ford, später durch Bill Gates, Steve Jobs oder Jeff Bezos. Da fehlt vielen in Europa ein Unternehmer-Geist, aber auch Risiko-Kapital. Zudem liegt im Vorschul- und Schulbereich der Fokus nicht gerade auf MINT-Fächern – um es vorsichtig auszudrücken. Das führt dann zur Konsequenz, dass die Grundlagen für ein technisches Verständnis fehlen. Und was man nicht versteht, das macht einem im Zweifel eher Angst. Die gelegentlich negative Berichterstattung in den Medien über Tech-Themen tut da ihr übriges. Da werden negative Implikationen der Digitalisierung – die es natürlich gibt – unverhältnismäßig überbetont. Das ist übrigens nachvollziehbar und keinesfalls eine grundsätzliche Medienkritik. Es ist lediglich eine Erklärung. Wir diskutieren solche Fragen übrigens sehr gern und heftig mit Journalisten im Rahmen des „Mediensalons“, der häufig bei uns im Institut zu Gast ist. Auch darf man nicht vergessen, dass viele Geschäftsmodelle etablierter Verlage bzw. Medienhäuser durch Google und Facebook zerstört wurden.
Wald: Diese Skepsis beobachte ich zum Teil auch bei meinen Studierenden. Mich interessiert verständlicherweise vor allem die betriebliche und die Perspektive der Hochschulen. Was kann in den Unternehmen und Hochschulen getan werden, um diese Einstellung zu ändern?
Pohl: An erster Stelle steht digitale Bildung, die grundsätzliche Bereitschaft sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen und diese zu verstehen – zumindest in Grundzügen. Das beginnt bereits im Vorschulalter, hört aber weder an der Uni, während des Berufslebens noch im Rentenalter auf. Was heute an Universitäten gelehrt wird, kann teilweise morgen schon komplett überholt sein. Ich selber habe Journalismus studiert und weiß, was das heißt. Zudem müssen wir die Chancen der Digitalisierung für die Menschen greifbar machen. An ganz konkreten Fällen. Wenn etwa Krebspatienten bessere Behandlungen bekommen oder künftig hoffentlich Tausende Verkehrstote durch autonom fahrende Autos verhindert werden. Abgesehen davon nutzen schon jetzt mindestens 90 Prozent der Deutschen die Vorzüge Künstlicher Intelligenz – in Form ihres Handys bzw. der darin enthaltenen Technologie.
Wald: Wie sieht es beim Gender Gap hinsichtlich der Digitalisierung aus?
Pohl: Das war für uns eine der ganz großen Überraschungen. In China und Indien gibt es praktisch keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was die Einstellung zur Digitalisierung angeht. Anders im „Alten Westen“. Ausgerechnet in den USA ist die Kluft am größten. 64 Prozent der Männer finden dort Digitalisierung gut, aber nur 45 Prozent der Frauen. Da mag die #MeToo-Debatte einen Anteil haben, aber offensichtlich sind auch viele Unternehmensstrukturen in der Tech-Welt noch männlich geprägt.
Wald: In einem weiteren Komplex der Studie ging es um die Einschätzung der digitalen Entwicklung. Wie lassen sich hier die Ergebnisse für Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern interpretieren?
Pohl: Die Tech-Skepsis in Deutschland ist kein Mythos, sondern real. Das zieht sich durch die meisten Szenarien und kann mittelfristig für den Wirtschaftsstandort ein echtes Problem werden. Das hieße: Fachkräftemangel und mangelnde Innovationsfähigkeit bei den Unternehmen einerseits, aber auch zu wenig Qualifizierung bei vielen Menschen andererseits. Und die wenigen, die in Zukunftsbranchen top ausgebildet sind, werden immer häufiger von Firmen aus dem Ausland angeworben.
Wald: Wo sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Felder für die Erhöhung der Akzeptanz der Digitalisierung in Deutschland?
Pohl: Wir brauchen ein anderes Mindset. Lebenslanges Lernen muss Bürgerpflicht sein. Und zumindest ein wenig mehr technisches Grundverständnis sollte sich jeder aneignen können: mal nachsehen, was ein integrierter Schaltkreis ist; mal ein paar Zeilen Code schreiben. Dann wäre es auch leichter, Entwicklungen nachvollziehen, die Chancen zu sehen, ggf. auch kritisch zu hinterfragen. Nur Bildung schafft Verständlichkeit und damit die Transparenz, die nötig ist. Sonst sind wir am Ende nur noch Anwender und keine Gestalter mehr.
Wald: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen und dem Vodafone Institut weiterhin Erfolg!
Pohl: Vielen Dank.
Mein Gesprächspartner war Friedrich Pohl, seit 2015 Leiter Kommunikation am Vodafone Institut. Vor seinem Wechsel zu Vodafone war er in verschiedenen Positionen für Axel Springer bei der „Welt“ und „Welt am Sonntag“ tätig. Zuletzt als verantwortlicher Redakteur für Seite 1 und Homepage. Pohl studierte an der Universität Leipzig und besitzt einen Masterabschluss in Musikwissenschaft und Journalistik.
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