Peter: Lieber Jo, bereits an dieser Stelle herzlichen Dank, dass ich Dir einige Fragen zum Event stellen kann.
Jo: Danke dir, lieber Peter! Es ist wirklich sehr schade, dass du nicht bei der #HREdge24 dabei sein konntest. Das Event hatte trotz, oder vielleicht sogar auch ein bisschen WEGEN der erschwerten Bedingungen irgendwie einen ganz besonderen Spirit.
Peter: Hat sich Dein besonderes Format “HR-Afterwork-Unconference” bewährt? Ich kann mir vorstellen, dass es viele als angenehm empfunden haben, nicht bei langen Vorträgen zuhören zu müssen.
Jo: Ja, das Format ist ja in der Tat besonders und für manche wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig. Der gesamte Rahmen ist nicht wie eine Konferenz mit Stuhlreihen und artigem Zuhören und so, sondern alles findet mehr oder weniger im Stehen statt - mit Drink in der Hand. Also wie bei einem Afterwork. Das ist auch gewollt so, es soll sich alles ständig durchmischen, neue Leute, andere Gespräche, Impulse usw. Die sechs Vorträge, wir nennen sie ja wg. der Kürze von max. 20 Min. "Spotlights", sollen daher auch gar keine abschließenden Antworten liefern, sondern eher Denkanstöße und Impulse geben, die dann wieder im Raum zu Diskussionen und Austausch führen. Das, so mein Eindruck, gelingt ganz hervorragend, was man an dem von Beginn an recht hohen Geräuschpegel und den angeregten Gesprächen festmachen kann. Übrigens: Diese Unterhaltungen laufen auch während der Spotlights - das ist Teil des Formats. Darum haben wir diesmal auch sog. "Silent Disco"-Kopfhörer dagehabt. D.h. wenn man sich auf den Speaker und das Gesagte konzentrieren wollte, dann hat man sich eines dieser Headsets geschnappt. Wenn man mit der Nebenperson sprechen wollte, dann hat man das getan – es ging beides, durchaus auch gleichzeitig…
Mir ist es aber trotzdem dabei sehr wichtig, auch einen thematischen roten Faden durch den Tag zu legen. Die sechs Spotlight-Vorträge standen alle unter der Leitfrage „Mehr Menschlichkeit durch mehr Tech (?)“, weil sie sich alle um Fragen der KI, der algorithmisch- oder tech-unterstützten HR-Arbeit drehten und dabei Denkanstöße zu der Frage lieferten, ob und wie Tech am Ende dem Menschen, dem „H“ in HR dienen kann. Das heißt, auch wenn das Format durchaus etwas Anarchisches hat, hat man am Ende doch irgendwie eine stringente Geschichte erzählt bekommen…
Peter: Gibt es Dinge, die Du vielleicht hervorheben möchtest? Du hattest ja handfeste Dinge zum Ausprobieren angekündigt.
Jo: Ja, das stimmt. Ein weiterer Teil des Eventkonzeptes ist es, dass wir immer auch Dinge zum Anfassen und Ausprobieren da haben. Man konnte z.B. verschiedene Matching-Tools und Recruiting Games an iPad-Stationen durchlaufen und sich dazu bei Bedarf das eine oder andere erklären lassen. Es gab die Möglichkeit, verschiedene Metaverse-Applikationen auszuprobieren und dabei z.B. die Fertigung eines Quarzglas-Herstellers virtuell zu begehen – Stichwort: Berufsorientierung im Metaverse – und man konnte eine Reihe von Escape Games spielen, die dem Zweck des spielerischen Onboardings dienen. Das wurde ich tatsächlich fast von allen Teilnehmenden genutzt, d.h. diese sind dann z.B. in dem Break nach einem Spotlight eine Etage nach oben gegangen, haben gespielt und standen zum nächsten Spotlight wieder mit Kopfhörer vor der Bühne…
Was ich aber ganz besonders faszinierend an dem Event finde, ist die Tatsache, dass man dort einfach auf unheimlich viele interessante und intelligente Menschen trifft. Egal mit wem man ins Gespräch kommt, man hat immer das Gefühl, „dieser Mensch gibt mir was“…
Peter: Interessant sind ja immer diese Diskussionen. Was waren hier wichtige Learnings?
Jo: Wahrscheinlich – so ja auch die Idee der HREdge – ist das für jeden Teilnehmenden ein bisschen was anderes gewesen. Ich fand z.B. den Deepdive von Nina in die kommende KI-Verordnung sehr spannend, weil sie vollkommen zurecht die Frage aufwarf, „was denn KI überhaupt ist“, also im rechtlich definitorischen Sinne. Das ist nämlich gar nicht so eindeutig, wie uns das das Marketing vieler HR Tech-Anbieter versucht vorzugaukeln… Auch der im wahrsten Sinne „Blick in die Blackbox“ von Olena und Ingolf war sehr spannend, die uns nämlich gezeigt haben, wie Algorithmen (KI?) z.B. Passung zwischen Bewerbung und Stellenprofil innerhalb des ATS berechnen. Die „Open Application“ der Telekom: Toller Case, weil hier Recruiting und Berufsorientierung miteinander verschmolzen wurden – viel algorithmische Unterstützung und viel Mensch. Richtig cool fand ich auch, wie die DB geschildert hat, dass sie explizit die Zielgruppe 63+ zur Linderung des Arbeitskräftemangels adressieren. Claus Vormann, der uns erzählte, warum Entgelttransparenz uns wirklich alle angeht und wie hier Tech helfen kann… Es waren so viele Impulse in dem Tag, das muss sich alles glaube ich auch erstmal etwas im Kopf setzen…
Peter: Jetzt die entscheidende Frage: Kann es in HR durch mehr HR Tech zu mehr Menschlichkeit kommen?
Jo: Ich habe die Hoffnung, ja. Es gibt viele spannende technologische Entwicklungen, die etwa Routinetätigkeiten im Recruiting übernehmen können, wodurch dann wieder Zeit frei würde, die man – ganz verrückt – in Gespräche und zwischenmenschlichen Austausch mit KandidatInnen stecken könnte. Auch gibt es sicherlich HR Tech, die beiden Seiten – Unternehmen und Bewerbenden hilft, die Frage der gegenseitigen Passung zu verbessern mit dem Resultat, dass mehr Menschen auch in Jobs und bei Firmen landen, die sie auch gut können und gut finden. Aber dass das so kommt, ist alles andere als ausgemachte Sache. Es gibt halt auch viel Mist-Tech, die die Situation eher verschlimmert, es nur hinter allerlei Algo-Brimborium verstecken. Und es ist natürlich auch nicht auszuschließen, dass etwaige Effizienzgewinne durch HR Tech nicht dazu genutzt werden, dass die menschlichen Recruiter wieder mehr Zeit für ihre Bewerbenden haben, sondern dass sie schlichtweg abgebaut werden. Dann müssen die Gespräche mit dem Chatbot geführt werden, weil es gar keinen Menschen mehr auf der anderen Seite gibt. Das wäre die dystopische Variante von „mehr Tech“… Ich habe daher bei der Leitfrage der #HREdge24 auch ganz bewusst ein Fragezeichen ans Ende gesetzt, weil niemand sagen kann, welche Entwicklung es am Ende nehmen wird. Die in der KI-Verordnung formulierte Vorgabe der „menschlichen Aufsicht“ halte ich vor diesem Hintergrund aber auf jeden Fall für eine sehr gute Sache… Das stimmt mich optimistisch.
Peter: Ganz herzlichen Dank für dieses Interview und viele herzliche Grüße nach Hamburg.
Jo: Ich danke dir Peter!
Mein Gesprächspartner und Organisator des HR Edge24 ist Joachim („Jo“) Diercks. Er ist Gründer und Geschäftsführer von CYQUEST, einem der führenden Entwickler und Anbieter von Auswahltests bzw. „Online-Assessments“. Daneben entwickelt CYQUEST auch SelfAssessment- und Matching-Verfahren sowie Berufsorientierungsangebote. Daneben betreibt er mit dem Recrutainment Blog einen der meistgelesenen HR-Blogs im deutschsprachigen Raum und ist Mitautor in aktuellen HR-Veröffentlichungen. Jo ist oft als Keynotespeaker auf Konferenzen und als Gastdozent an verschiedenen Hochschulen tätig.
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