Freitag, 5. Februar 2016

Brand Eins zum Thema Karriere - Lesebefehl für eine inhaltsreiche Februarausgabe


Vor mir liegt erneut eine hochinteressante Ausgabe von Brand Eins, die vor allem mit dem klassischen Verständnis von Karriere aufräumt. Was mir angenehm auffällt: Viele Beiträge, die eindrucksvoll vermitteln, wie moderne Personalarbeit heute (auch ohne Digitalisierung) aussehen kann. Einige dieser Beiträge will ich kurz vorstellen und kommentieren.

Was bedeutet Karriere heute? Im Prolog „Aufwärts, abwärts, seitwärts“ wird mit den Missverständnissen im Zusammenhang mit Karriere (Es geht immer aufwärts!) aufgeräumt, die weit verbreitete Aufstiegsmüdigkeit erwähnt und die wichtige Rolle monetärer Anreize für die „Sinnsucher" der Generation Y bleibt nicht unerwähnt. Auch die Interviews passen: Mit Themen wie der sinnvollen Verteilung der Arbeit oder dem bemerkenswerten Unterschied zwischen Karriere entlang der Hierarchien und der persönlichen Entwicklung (Lesenswert: Das Gespräch mit Ralf Biele von Mercuri Urval). Und viele Tatsachen werden benannt! Dass sich die klassischen Organisationen gegen Sidesteps wehren. Es allerorten eine verordnete Verhaltenskultur gibt, an die sich zu halten ist! Aber auch: Mitarbeiter lassen sich nicht nur mit Geld ködern - die Aufgabe macht dies genauso. Und: Es sollte nicht immer darum gehen, Posten anzusteuern, sondern den Überzeugungen und dem Können zu folgen. Somit war es nur folgerichtig, in diesem Kontext auch das Peter Prinzip (nach Laurence J. Peter) zu erwähnen. Um nicht die Stufe nicht die Stufe der eigenen Unfähigkeit zu erreichen, empfiehlt Peter konsequenten Karriereverzicht. Im Gespräch mit Fabian Kienbaum werden moderne Lösungen für untypische Karrieren aufgezeigt, so sind bei Kienbaum Karrieredowngrades möglich und es existieren Karriereparkplätze für Mitarbeiter, die zeitweise andere Ziele verfolgen. Klassische Karrieren gibt es auch weiterhin bei Kienbaum. Offensichtlich ist auch bei den Karrieremodellen Vielfalt angesagt! Ach ja: Auch die Bedeutung der Karriere Casting Shows = Assessment Center wird bewertet. Das Learning aus dem Prolog: Karrieren werden nur noch im Ausnahmefall linear nach oben verlaufen ... 

Watchado: Das Handbuch der Lebensgeschichten: Ein tolles und lebendiges Angebot für Unternehmen, das ich schon lange kenne und schätze. Die bewegte Lebensgeschichte von Ali Mahlodji war mir so bislang nicht bekannt. Die Entwicklung vom Jugendtraum zum erfolgreichen Geschäft mit der Berufsorientierung wird hier nachvollziehbar erzählt. Die Bewegtbild-Angebote von Watchado sprechen in ihrer Authentizität eine eigene Sprache und dürften damit auch Menschen erreichen, die nicht nur die typische Karriere im Auge haben. 

Fähigkeiten nicht Qualifikationen: Im Gespräch mit Wilfried Porth wird eine interessante Idee - Brückenpraktika für Flüchtlinge - präsentiert. Wie können Flüchtlinge zukünftig in die Unternehmen integriert werden? Neben positiven ersten Erfahrungen werden hier auch nicht die Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Idee ausgespart. Die Frage, die sich mir dabei immer stellt: Wer von den Lern- und Bildungsspezialisten unter den Personalern nimmt endlich die spannende Herausforderung an, Kompetenzen zu messen und zu beschreiben und nicht weiter auf die Qualifikationsnachweise zu warten. Wie das praktisch funktionieren kann zeigt der Beitrag "Alles im grünen Bereich". Bei Trumpf scheinen die Schul-Zeugnisse nicht mehr viel zu bedeuten, denn "nicht die Schlauen braucht ein Unternehmen, sondern diejenigen die passen". Und die Zeugnisse beantworten die Frage nach der Passung von Bewerbern gerade nicht (Hallo Henrik!)  Wie es gelingt, Fähigkeiten bei Flüchtlingen und Migranten zu entwickeln, zeigt der Beitrag "Auf die Plätze, fertig, los!" In Hamburg gibt es dafür ein Mentoring-Programms für ausländische Fachkräfte. In diesem Beitrag wird nachvollziehbar dargestellt, wie besagte Kompetenzen konkret über ein Mentoring vermittelt werden können. 

„Liken oder forschen“ Ein Problem mit dem ich auch kämpfe: Was ist wichtiger? Forschen oder (hier) mit Researchgate netzwerken? Erfolg verspricht mir hier eine kluge Kombination. Denn das eine schließt das andere nicht aus, die Netzwerke liefern mir persönlich eine Vielzahl von Impulsen für die wissenschaftliche Betrachtung von Sachverhalten, die ich ansonsten oft nicht im Blickfeld hätte. 

Motivation ohne Aufstieg im Beitrag: „Auf der Durchreise“ mit Eindrücken aus einem IT-Unternehmen ohne Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten. Was motiviert die Mitarbeiter/-innen bei Adjust? Offensichtlich sind es die Aufgaben, die besondere Kultur des Miteinanders ("Freundschafts- und Leistungskultur") und die Möglichkeiten sich weitgehend selbst zu organisieren. Jedoch scheinen die meisten Mitarbeiter bei Adjust nur eine temporäre Aufgabe gesucht zu haben. Vielleicht sinkt aber auch der Wunsch Führungsverantwortung zu übernehmen oder Karriere zu machen insgesamt. In Schweden scheint es zumindest so zu sein: "Junge Schweden wollen kaum noch Chefs werden". Im Interview ("Beweis es mir!") mit Jörgen Kihlgren werden die Unterschiede zwischen der Führung in Schweden und Deutschland deutlich herausarbeitet. Erfreulich, welche Rolle hier die Autonomie der Mitarbeiter und flache Hierarchien in Schweden spielen. Da gibt es viele Verbindungen zu den derzeit laufenden Diskussionen (New Work ...). Jürgen Kihlgren könnte ich durchaus zustimmen: "Vielleicht wird Deutschland immer schwedischer?" oder sollte es zumindest werden.

„Es gibt keine aussichtslosen Fälle“ sagt Josef Blatt. Ein aufschlussreicher Beitrag über einen Personalberater der zeigt, wie Unternehmen auch Situationen mit schwierigen Mitarbeitern anständig bewältigen können. Denn diese Mitarbeiter sind Menschen, denen mit klassischen Personal-Instrumenten und Vorgehensweisen allein nicht geholfen werden kann. Die hier beschriebene „anständige Weise“ ist für mich nicht zuletzt auch ein Zeichen von Wertschätzung gegenüber diesen Mitarbeitern, denn sie erhalten nicht nur komfortable Notausgänge, sondern ein Outplacement, das diese Bezeichnung wirklich verdient, weil mit nachvollziehbarem Win-Win. Pflichtlektüre zum Themenbereich "Modernes Outplacement".

Zeitweise Chef: Interimsmanager sind nicht die "unsteten Söldner ohne Bindung", die es nicht geschafft haben, in ihren Unternehmen Karriere zu machen. Ihre Aufgabe kann es auch nicht sein, "mit der Stahlharfe durch den Betrieb zu gehen", sondern durch fachliche Expertise und ohne Rücksicht auf bestehende Netzwerke auf Augenhöhe mit den Chefs zu reden und direktes Feedback zu geben. Anhand von Beispielen wird gezeigt, dass das Ziel darin bestehen kann, Nutzen zu stiften. Dies kann Interimsmanagern durchaus gelingen, weil für diese das Wohlergehen der gesamten Firma im Vordergrund steht und nicht partikulare Interessen zu berücksichtigen sind. Diesem Thema werde ich mich auch in einem Post in den nächsten Wochen erneut widmen.

Zweimal Stefan zum Demokratischen Unternehmen: Ein genialer Beitrag mit Pro & Contra zum derzeit oft und heiß diskutierten Thema "Demokratisches Unternehmen". Stefan Kühl (Organisationssoziologe und Professor in Bielefeld) und Stefan Truthän (einer der beiden geschäftsführenden Gesellschafter von HHP - einem Unternehmen mit derzeit 144 Mitarbeitern, das eine Reihe von Ansätzen zur Selbstorganisation praktiziert, diskutieren über die Vor- und Nachteile von Eigenverantwortung, Selbststeuerung und flachen Hierarchien. Dabei ist Stefan Kühl für seine Skepsis hinsichtlicher neuer Organisationsmodelle und Stefan Truthän für die Vehemenz bei der Herausstellung der Vorteile neuer Organisationen bekannt. Truthän sieht die Vorteile neuer Organisationen und praktiziert dies bewusst, indem er auf weitgehende Transparenz, Fairness und Selbststeuerung durch die Mitarbeiter setzt. Kühl wiederum streicht die Risiken der Selbststeuerung vor allem hinsichtlich einer niedrigeren Innovations- und Veränderungsfähigkeit aber auch aufgrund der Auswahl von Aufgaben durch die Mitarbeiter heraus. Auch bei der Gestaltung von Karrieren und der Bezahlung sieht er Probleme. Demokratische Unternehmen - insofern scheinen sich beide einig zu sein - bringen neue Herausforderungen mit sich. Diese scheinen mir derzeit zu wenig diskutiert zu werden. Eine Herausforderung halte ich für bemerkenswert. Wie gelingt es den neuen Unternehmen, sozial schwierige Mitarbeiter zu integrieren? Wie können diese ggf. geschützt werden? Sowohl bei HHP als auch bei Adjust (s.o.) gab es offensichtlich Trennungen von diesen Mitarbeitern ("Wir können den Leuten nicht zumuten, menschlich schwierige Kollegen zu ertragen, nur weil sie fachlich gut sind." und  "Wer sich abkapselt, muss gehen."). Die neuen Organisationen scheinen also nicht gleichermaßen bei allen Mitarbeitern zu funktionieren. Offensichtlich - so mein Eindruck - ist auch bei diesen Organisationen und bei der Führung von Mitarbeitern mehr Vielfalt und weniger "Es wird schon ..." angesagt. 

Eine tolle Ausgabe. Pflichtlektüre für meine Studierenden. Den Lesebefehl kann ich nur wiederholen.

Weiter so, brand eins.

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