Wald: Zunächst herzlichen Dank, dass Sie mir - wieder einmal - für ein Interview zur Verfügung stehen.
Josef: Vielen herzlichen Dank auch von meiner Seite – ich finde es sehr schön, dass die „Future Work Community“ miteinander im Austausch ist und bleibt. Zudem war unser Kennenlernen 2016 ganz am Anfang meiner Selbständigkeit und deshalb war der Anlass auch für mich prägend und hat mir Mut gemacht, meinen Weg zu gehen.
Wald: Wie ist es Ihnen in den letzten Jahren ergangen? Wie haben Sie die Corona-Zeit überstanden?
Josef: Zeitgleich mit dem Einstieg in die Selbständigkeit hatte ich mir noch einen grossen Wunsch erfüllt und ein Doktorandenstudium im Bereich Business Innovation in Angriff genommen. Meine Promotionsfeier hat kurz vor dem ersten Lockdown, Mitte Februar 2020, stattgefunden. Ehrlich gesagt tat mir die Zwangsentschleunigung – ich hatte keine richtige Pause geplant und plötzlich waren alle Anlässe in der Agenda weg – enorm gut, auch wenn ich natürlich wie viele Selbständigen Zukunftsängste hatte. Dass mein Thema durch die Pandemie und den Digitalisierungsschub enorm an Bedeutung gewinnen würde, habe ich ganz zu Beginn noch gar nicht realisiert. Rückwirkend betrachtet hat diese Zäsur meine Arbeit enorm beflügelt. Das Thema hat sich enorm verändert. Von Homeoffice, neuen Bürokonzepten und flexiblen Arbeitsformen hin zur Frage, wie Organisationen gezielt in ihre Zukunftsfähigkeit investieren können. Diese Entwicklung ist nicht nur der Pandemie geschuldet, sondern gleichermassen dem Fachkräftemangel, der fortschreitenden digitalen Transformation und insbesondere der schnellen Verbreitung der künstlichen Intelligenz in Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders gefällt mir, dass ich nicht mehr diejenige bin, die dazu aufruft „Arbeit neu zu denken“, sondern dass es heute viel mehr ums „wie“ statt „warum“ geht.
Wald: Ich hoffe sehr, dass ich mit meinem Einstiegstext nicht zu viel vorweggenommen habe.
Josef: Er hat mich positiv überrascht. Ich bin nicht ein Mensch, der zurückblickt und ich finde, dass in meinem Themenfeld Dinge sehr schnell veralten, weil sich aktuell enorm viel bewegt. Umso schöner ist es, eine gewisse Beständigkeit zu erkennen.
Wald: In Vorbereitung auf dieses Interview habe ich mir Ihre Keynote und die Informationen, wie dem Schweizer Homeoffice Day oder die Work Smart Initiative noch einmal angeschaut. War die Schweiz ggf. besser auf die Corona Pandemie vorbereitet als Deutschland?
Josef: Ich habe die Entwicklungen in Deutschland zu wenig direkt mitbekommen und kann keinen seriösen Vergleich ziehen. Ich glaube aber schon, dass die kulturellen Gegebenheiten in der Schweiz geholfen haben, besonnen durch die Krise zu kommen. In der Schweizer Arbeitskultur sind Eigen- bzw. Mitverantwortung, Augenhöhe, flache Hierarchien etc. etablierte und gelebte Werte. Der Schweizer HR Barometer 2024 zeigt zudem, dass für rund drei Viertel der Erwerbstätigen die Arbeit einen hohen Stellenwert einnimmt und sie sie für bedeutsam halten. Diese Kombination – eine menschenzentrierte Kultur und motivierte Mitarbeitende – hilft natürlich dabei, in einer Krisensituation gemeinsam einen Weg zu finden und auszuhalten, dass sich das Leben nicht immer an unsere Pläne hält. Ich glaube auch, dass die Schweiz, was die Verbreitung von neuen Arbeitsformen und den Digitalisierungsgrad betraf zum Zeitpunkt der Pandemie schon etwas weiter war als Deutschland.
Wald: Sie hatten in unserem Interview auch über die einmaligen Chancen der Unternehmen gesprochen, die sich den Unternehmen durch die neuen Formen der Zusammenarbeit ergeben. Inwieweit haben die Unternehmen diese Chancen wirklich genutzt?
Josef: Diese Frage müsste man ergänzen um einen Aspekt, den ich unbedingt zur Sprache bringen möchte. Haben denn auch die Mitarbeitenden die Chance genutzt? In der Schweiz ist das „return to the office“ Phänomen – also Firmen, die die Mitarbeitenden vollständig zurück ins Büro beordern - zum Glück nicht weit verbreitet, wohl aus den oben genannten Gründen. Wenn man der Frage nachgeht, warum Unternehmen zu dieser drastischen Massnahme greifen, stösst man immer wieder auf das Argument, dass einzelne Mitarbeitenden primär ihren eigenen Nutzen maximiert bzw. ihren Beitrag minimiert haben und es am Schluss fast nicht mehr möglich war, gut an gemeinsamen Zielen zu arbeiten. Auch im Arbeitsleben braucht es beide Seiten: Unternehmen und Führungskräfte, die Vertrauen schenken und Mitarbeitende, die Verantwortung übernehmen und sich verlässlich zeigen. Nur dann funktioniert dieser Deal.
Wald: Können Sie das konkretisieren?
Josef: Neue Arbeitsformen funktionieren und bleiben dann, wenn Mehrwerte für beide Seiten – Unternehmen und Mitarbeitende – entstehen. In einer globalen Wirtschaftswelt, die sich weder an Bürozeiten noch die 40-Stundenwoche hält, ist es von unschätzbarem Wert, wenn sich beide Seiten flexibel zeigen und einander wohlgesinnt sind. Ich nenne das „Goodwill-Kapital“ – nicht der juristische Vertrag ist ausschlaggebend, sondern das Bestreben, die bestmögliche Lösung zu finden. Wie der „World Uncertainty Index“ eindrücklich aufzeigt, leben wir in einer Welt, die von einer hohen Veränderungsdynamik und Ungewissheit geprägt ist. Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass alle ihren Teil zur Lösung beitragen. Vor allem aber geht es darum, die gemeinsamen Ziele über die eigenen Interessen zu stellen. Die Schweizer Firma Liip hat dies in ihren Prinzipien mit „we over me“ prägnant festgehalten. Wir leben im Zeitalter der Individualisierung. Die grosse Herausforderung besteht darin, aus den erstarkten „Ichs“ ein noch stärkeres Kollektiv zu schaffen. Das ist auch der Punkt, wo ich von Frithjof Bergmanns Vision von „new work“ abweiche. In entwickelten Volkswirtschaften wie der Schweiz oder Deutschland geht es nicht mehr vordringlichst um die Stärkung des Individuums sondern viel mehr darum, einen starken Verbund zu schaffen, der gemeinsam Komplexes lösen kann.
Wald: Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit dem Thema „Third Place“ aus. Ich denke, dass dieses Thema aktuell viel zu selten diskutiert bzw. betrachtet wird.
Josef: Das Thema ist immer noch hochaktuell und die Konzepte haben sich stark weiterentwickelt. Seit der Pandemie haben viele Firmen aufgrund der zunehmend mobilen Arbeitsweise der Mitarbeitenden ihre Büroflächen reduziert, bzw. teilweise sogar aufgegeben. Zum einen entsteht so Raum für Neues, zum anderen sind auch Budgets freigeworden, die früher gebunden waren. Ich persönlich wünsche mir, dass Coworking nicht einfach ein neues Geschäftsmodell ist, sondern dass Dörfer und Städte gezielt in diese Begegnungsorte investieren. Eine Bibliothek hat sich auch noch nie rentiert, ist aber eine wichtige Errungenschaft unserer Gesellschaft. Ähnlich sollten wir Coworking als Orte sehen, wo Menschen zusammenkommen, sich austauschen, sich unterstützen und gemeinsam Neues schaffen können – unabhängig von ihrem sozialen Status oder anderen Persönlichkeitsmerkmalen.
Wald: Was halten Sie in diesem Zusammenhang von den derzeitigen Aktionen vieler großer Unternehmen, ihre Mitarbeitenden mit mehr oder wenigen „sanftem“ Druck in die Büros zurückzuholen?
Josef: Das Thema muss man differenziert anschauen. Ich habe meine Gedanken in einem Blogpost für hrtoday.ch zusammengefasst.
Wald: Oft habe ich auch an Ihr Geheimrezept für gute Führung unter virtuellen Bedingungen gedacht: „Führen über klare Ziele und eine Kultur des Vertrauens“. Ich denke, dass es vielen Führungskräften nach wie vor schwerfällt, ihren Mitarbeitern zu vertrauen. Haben Sie hier vielleicht Tipps, wie Führungskräfte Vertrauen „üben“ können?
Josef: Wenn ein Kind lernt, Fahrrad zu fahren, helfen „Stützräder“ zu Beginn enorm. Genau so ist es beim Thema Führung. Es geht nicht darum, von einem Extrem ins andere zu fallen – also quasi von Hierarchie zu Selbstorganisation - sondern vielmehr darum, im Kleinen Mitverantwortung zu erproben. Ich arbeite mit Organisationen oft mit Formaten wie „Unconferences“ oder „Hackathons“ oder gestalte Fragestellungen partizipativ mit der Methodik des „Double Diamonds“. Sobald die Führungkräfte merken, wie stark sich die Mitarbeitenden bei solchen Erfahrungen einbringen und engagieren, gewinnen sie an Vertrauen und werden mutiger. Und irgendwann braucht es dann auch die Stützräder nicht mehr. In dieser Transformation kommt der Kommunikation eine enorm grosse Bedeutung zu. Mich hat das Netflix-Prinzip „Führung über Kontext“ sehr inspiriert. Die Führungskraft versucht durch gute Kommunikation die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, ihren Beitrag zu den gemeinsamen Zielen zu leisten. Am Anfang ist es aufwändiger, nicht einfach selber zu entscheiden, sondern optimale Voraussetzungen zu schaffen, dass die Mitarbeitenden Eigenverantwortung wahrnehmen können. Auf lange Sicht profitieren aber Mitarbeitende und Führungskräfte von diesem Wandel. Die Führungskraft verliert weniger Zeit mit Mikromanagement und die Mitarbeitenden wachsen an ihren Aufgaben.
Wald: Verständlicherweise haben mich Ihre damaligen Äußerungen zu den Personalern gefreut, weil Sie diese als Förderer des „Miteinander“ und „Caretaker“ beschrieben haben. Weiterhin haben Sie diese als Innovations-Enabler anerkannt. Im Moment mehren sich die Stimmen, die Personaler als durch entsprechender KI-Lösungen als ersetzbar ansehen. Was meinen Sie dazu?
Josef: Der aktuelle Work Trend Index von Microsoft zeigt auf, dass es nicht um das Ersetzen sondern Ergänzen und Erweitern der menschlichen Fähigkeiten geht. Schon heute wird KI häufig für Dinge genutzt, die Menschen nicht übernehmen können (siehe folgendes Bild).
Ich schreibe zum Beispiel fürs Leben gerne und habe mit KI plötzlich eine Literaturkritikerin zur Seite, die mir wertvolle Tipps gibt, wie ich meinen Schreibstil weiterentwickeln kann. Oder KI kann mich als persönlicher Gesundheits-Coach dabei unterstützen, achtsamer mit meinen Ressourcen umzugehen. Personalfachleute, die ihre Rolle darin sehen, Menschen und Organisationen langfristig gezielt weiterzuentwickeln, braucht es in Zukunft noch mehr als heute – die hohe Veränderungsdynamik spielt ihnen klar in die Hände. Trotz dieser rosigen Aussicht mache ich mir aber schon auch Sorgen. In vielen Organisationen ist die Personalleitung beispielsweise nicht Teil der Geschäftsleitung. Wenn man nachfragt heisst es, «die sind halt eher administrativ tätig». Und dieser Aspekt ist tatsächlich leicht ersetzbar durch KI. Damit Personaler auch in Zukunft relevant sind und bleiben, müssen sie ihre Rolle als GestalterInnen der Transformation noch stärker wahrnehmen, neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen sein und Allianzen pflegen in der Organisation.
Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Unternehmen weiterhin viel Erfolg.
Josef: Vielen herzlichen Dank, das wünsche ich Ihnen auch. Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung.
Meine Gesprächspartnerin Barbara Josef begleitet Organisationen in Transformationsprozessen. Sie hat im Januar 2016 gemeinsam mit einer Partnerin die Firma „5to9 AG“ gegründet. Zuvor war Barbara Josef Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Schweiz und verantwortete die Kommunikation sowie das gesellschaftliche Engagement. In dieser Rolle hat sie 2009 gemeinsam mit Partnern den „Nationalen Home Office Day“ (später „Work Smart Initiative“) ins Leben gerufen. Barbara Josef hat als Erstausbildung das Primarlehrerpatent der Pädagogischen Hochschule Kreuzlingen erworben. Es folgten Studium und Promotion an der Universität St.Gallen (HSG) im Bereich Business Innovation.
Josef: Vielen herzlichen Dank, das wünsche ich Ihnen auch. Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.