Donnerstag, 9. Oktober 2025

Auftakt der Interviewreihe zum Thema "Deskless Work" - Im Gespräch: Joachim Diercks von Cyquest

Vor einigen Wochen ist endlich mein Herausgeberwerk zum Thema „Deskless Work und Personalmanagement“ erschienen. An den bislang vorliegenden Reaktionen lässt sich ablesen, dass meine Mitautoren und ich mit diesem Thema richtig liegen. Trotz des derzeit laufenden oder noch bevorstehenden Personalabbaus ist die Nachfrage nach Deskless Workern in vielen Bereichen nach wie vor ungebrochen hoch. Mit einer Interviewreihe zum Buch möchte ich das Spektrum an Meinungen zum Bereich „Deskless Work“ erweitern und habe bereits eine Reihe von möglichen Interviewpartnern angesprochen. Den Start der Interviewreihe bildet heute eine Gespräch mit Joachim Diercks, dem Gründer von Cyquest, ein Unternehmen, mit dem ich seit Jahren im Kontakt bin.

Warum dieses Gespräch mit Cyquest? Auch bei den Werkzeugen, die zur Auswahl vom Mitarbeitenden im Bereich Deskless Work eingesetzt werden, liegt der Schwerpunkt bisher deutlich auf den Office Tätigkeiten. Cyquest hat hier mittlerweile mit CRAFT ein Online-Instrument entwickelt, dass für die Diagnostik der Eignung von Deskless Worker eingesetzt werden kann. Ich freue mich dazu ein Gespräch führen zu können, um nähere Details und ggf. auch erste Einblicke in Anwendungserfahrungen zu erhalten.

Peter: Zunächst herzlichen Dank, lieber Jo, dass ich Dich wieder einmal für ein Gespräch gewinnen konnte.
Jo: Lieber Peter, ich danke dir! Ich finde es wichtig, dass dem Thema „Gewinnung von Deskless Workern“ eine größere Bühne eingeräumt wird, eine Bühne, die dem Thema auch gerecht wird. Dein Buch ist meiner Meinung nach ein wichtiger Beitrag, diesem Thema die gebührende Beachtung zu verschaffen. Wir versuchen, mit unserem Online-Assessment „CRAFT“ einen ganz praktischen Beitrag zu leisten, indem wir einen eignungsdiagnostischen Test speziell für den Bereich „Blue Collar“ bereitstellen.

Peter: Wofür steht eigentlich das Akronym CRAFT?
Jo: Das ist tatsächlich gar kein Akronym, sondern soll verdeutlichen, dass es um ein Online-Assessment vor allem für Berufsbilder handelt, die im weiteren Sinne „mit den Händen“ bzw. handwerklich, fertigend oder gewerblich-technisch tätig sind. Vollständig heißt das Produkt daher auch: „CRAFT das Blue-Collar-Assessment“.

Peter: Nach eigener Aussage geht es bei CRAFT um berufsrelevante Fähigkeiten und Interessen. Wie wurden diese identifiziert und festgelegt? Oder erfolgt dies mit den jeweiligen Nutzern?
Jo: CRAFT ist tatsächlich ein standardisiertes Verfahren, d.h. es erfolgt bis auf optische Anpassungen kein kundenindividuelles Customizing. Die Idee ist schon, dass mit Hilfe von CRAFT wichtige Merkmale erfasst werden können, die generell für handwerkliche, fertigende oder gewerblich-technische Tätigkeiten und berufserfolgskritisch sind. Um diese zu identifizieren, sind wir erstens tief in die einschlägige diagnostische Forschung eingestiegen und haben zweitens etliche unserer Kunden befragt, was sie wichtig halten. Drittens haben wir ja einen unheimlich wichtigen empirischen Erfahrungsschatz. Wir führen ja im Jahr mehrere Hunderttausend Tests für die unterschiedlichsten Unternehmen durch. Da geht es auch oft um Berufe, die eher dem Deskless Work-Bereich zuzuordnen sind. Hier konnten wir ebenfalls sehr viele Erkenntnis draus ziehen, worauf es bei diesen Berufen eigentlich ankommt.

Peter: Ich habe gelesen, dass sich CRAFT aus mehreren Modulen zusammensetzt. Könntest du diese Module bitte schlagwortartig vorstellen?
Jo: Na klar! CRAFT umfasst insgesamt drei Module, wobei eines davon, das dritte optional zum Einsatz gebracht oder auch weggelassen werden kann. Der Reihe nach:

Das erste Modul erfasst die Fähigkeit zum "Multitasking", denn oft muss man bspw. in der Fertigung mehrere Dinge gleichzeitig im Blick behalten können. Im „Multitaskingtest Blue-Collar“ sollen Messwerte verglichen und gleichzeitig Anfragen weitergegeben werden. In dem Verfahren wird sowohl die Multitaskingfähigkeit als auch die Konzentrationsfähigkeit und Bearbeitungsgeschwindigkeit im praktisch-technischen Berufskontext erfasst.



Das zweite Modul misst verschiedene für diese Zielgruppen wichtige Persönlichkeits- und Interessenmerkmale: Teamfähigkeit, Organisationsfähigkeit und Gewissenhaftigkeit sowie praktisch-technische Interessen.



Beim dritten Modul handelt es sich um ein simulatives Verfahren, konkret eine Planungsaufgabe. Bei der „Planungsaufgabe Blue-Collar-Leitung“ soll unter Zeitdruck und Störeinflüssen (Telefonanrufe) eine Dienstplanung für einen Handwerksbetrieb erstellt werden. Auf diese Weise wird ein hoher Grad an Realitätsnähe und Anforderungsbezug hergestellt. In dieser berufsbezogenen Simulation werden Fähigkeiten im Planen, komplexen Problemlösen sowie im flexiblen Umgang mit Störungen erfasst.



Dieses dritte Modul ist wie gesagt optional, d.h. man kann dieses z.B. selektiv nur für Besetzungen zum Einsatz bringen, bei denen im Job dann auch koordinierende oder planende Aufgaben Teil der Tätigkeit sind. Das gilt dann z.B. für Vorarbeiter, Teamleiter, Schichtführer etc., die etwa Maschinenbelegungs- oder Personaleinsatzpläne erstellen müssen. Alle drei Module zusammen können meist in nur 15 bis 20 Minuten absolviert werden, d.h. man kommt sehr schnell zu einem Messbefund.

Peter: Es handelt sich um ein Online-gestütztes verfahren. Braucht es dafür einen „PC“ oder kann diese auch mobil absolviert werden?
Jo: Grundsätzlich gilt für alle unsere Tools, dass diese auf allen gängigen Endgerätetypen, also Desktoprechner, Tablets und Smartphones gleichwertig durchgeführt werden können. Für die Zielgruppe der Deskless Worker spielen mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets natürlich nochmal eine sehr viel größere Rolle, weil diese Menschen naturgemäß meist eben nicht an einem Schreibtisch sitzen, auf dem ein PC stehen kann… Also: Alles was man braucht, ist ein digitales Endgerät mit Browser und eine möglichst stabile Internetverbindung. Das geht natürlich auch remote.

Peter: Gibt es Blue Collar Berufe für die dieses Verfahren ggf. nicht geeignet ist?
Jo: Der Anspruch von „CRAFT“ ist, dass es sich tatsächlich für alle Formen von Blue Collar Berufen eignet. Denn: Es wird im Tool kein erforderliches Fachwissen überprüft – das unterscheidet sich ja schon sehr von Beruf zu Beruf oder Unternehmen zu Unternehmen -, sondern es werden wichtige grundlegende Merkmale gemessen, die quasi immer mit einer mehr oder eben weniger erfolgreichen Ausübung von Tätigkeiten im Blue Collar Bereich zusammenhängen.

Peter: Ihr betont, dass mit CRAFT, Talente sichtbar gemacht machen können, die bei klassischer Personalauswahl übersehen werden. Wie ist dies zu verstehen?
Jo: Oftmals beruht die Personalauswahl auf der reinen Betrachtung „fachlicher Kenntnisse“ und/oder dem subjektiven Eindruck, den jemand z.B. mit seinen Bewerbungsunterlagen oder im Interview hinterlässt. Und bei beidem ist die Gefahr groß, dass man hierbei Personen „aussortiert“, die aber eigentlich gut gepasst hätten. Man spricht hierbei in der Selektionsdiagnostik vom Auswahlfehler zweiter Art, der sog. „Falsch-Negativ-Selektion“. Das Problem: Bei jemandem, den ich schon aussortiert habe, kann ich ja anschließend nicht mehr feststellen, dass er aber eigentlich doch geeignet gewesen wäre. Das ist das gemeine an dieser Art Auswahlfehler. Schickt man jedoch alle Bewerbenden in ein Verfahren wie CRAFT, dann bekommt man auch von allen einen vergleichbaren Messbefund hinsichtlich der in CRAFT gemessenen Merkmale und kann diese zusätzlich in die Betrachtung einbeziehen. Dabei zeigt sich, dass eine beträchtliche Anzahl an Bewerbenden auf einmal doch sehr geeignet zu sein scheinen, die man ohne diesen Befund als ungeeignet aussortiert hätte. Das resultiert also wenn man so will in „mehr Auswahl“, weil man auf einmal Potenzial erkennt in den Ecken, in denen man sonst gar nicht nachgesehen hätte…

Peter: Wie steht es um die Erfahrungen der ersten Anwender mit CRAFT? Gibt es vielleicht Kunden, die hier bereits genannt werden können?
Jo: CRAFT ist ganz neu. Wir starten jetzt gerade mit den ersten Kunden. Aber allein schon die Range der Branchen, aus denen diese kommen zeigt die breite Verwendbarkeit des Tools: Ein Unternehmen kommt z.B. aus der Chemie und stellt Schmierstoffe her, ein anderes Süßigkeiten, vor allem Schokolade. Dann gibt es etwa einen Baukonzern, einen Heizungsbauer oder ein Unternehmen aus dem ICT-Bereich, wo bspw. Menschen arbeiten, die Glasfaserkabel verlegen.

Peter: Herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Euch anhaltenden Erfolg mit CRAFT!
Jo: Vielen Dank lieber Peter! Wir sind auch sehr gespannt, wie sich CRAFT sowie insg. die Personalgewinnung im Deskless Worker Bereich entwickelt!

Mein Gesprächspartner Joachim Diercks ist Geschäftsführer und Co-Founder der CYQUEST GmbH. Nach BWL-Studium in Hamburg und Berkeley und Berufseinstieg bei Bertelsmann in London gründete er 2000 CYQUEST, heute einer der führenden Anbieter von Assessment-Lösungen für Personalauswahl und Berufsorientierung im deutschsprachigen Raum mit Kunden wie BARMER, Deutsche Telekom oder EON. Er ist Hochschuldozent für Eignungsdiagnostik, Autor des Buchs „Recrutainment“ (2023) sowie zahlreicher Fachartikel zu verschiedenen E-Recruiting- und Employer-Branding Themen und regelmäßig als Speaker bei HR-Fachkongressen, u.a. bei der von ihm selbst organisierten jährlich stattfindenden „#HREdge“. Sein Recrutainment Blog ist einer der meistgelesenen deutschsprachigen HR-Blogs. Diercks gilt als einer der Vordenker wie sich die Personalgewinnung zukünftig entwickeln wird. Joachim Diercks ist mit einem Kapitel zum Thema „Wie können Berufsorientierungsspiele zur Gewinnung von Mitarbeitenden eingesetzt werden - speziell in gewerblich-technischen Berufen?“ im Buch „Deskless Work und Personalmanagement“ vertreten.

Mittwoch, 1. Oktober 2025

Video-Recap zum HR Innovation Day 2025 - 2026 kommt ein neues Format - HR Innovation Campfire

Endlich fertig: Der Video-Rückblick auf den HR Innovation Day 2025. Es war wieder ein tolles Event mit vielen neuen Einblicken in das Thema „HR und KI“. 

Auch an dieser Stelle herzlichen Dank an die Keynote-Speaker Kathi Enderes, Gabriele Riedmann de Trinidad (hier im Bild links), Guido Zander, Wolfgang Brickwedde und Babette Sonntag sowie die Workshop-Hosts Uwe Thuss, Tobias Hegner, Dan Blinstein, Angelika Geißler, Thorsten Richter und Sarah Brauns. Auch Saskia Kuhnert und den vielen helfenden Studierenden danke ich ganz herzlich für die tatkräftige und gelungene Unterstützung beim diesjährigen HR Innovation Day. Videos der Keynotes finden sich auf YouTube im Channel "HR Innovation Day".


Zum Recap-Video geht es hier entlang 

Ganz wichtig. Es wird wahrscheinlich auch in diesem Jahr ein Christmas Special des HR Innovation Days geben. Hier werden wir erneut aktuelle Entwicklungen im Personalmanagement diskutieren und uns auch zum Thema Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie in 2026 austauschen.

Sicher ist, dass wir im nächsten Jahr zu (massiven) Änderungen beim Format des HR Innovation Days kommen wird. Freuen Sie sich/freut Euch auf das „neue“ HR Innovation Campfire am 8./9. Mai 2025 im Bereich von Saale/Unstrut. Derzeit laufen die Vorbereitungen für dieses Event auf Hochtouren. Wir haben dafür eine einzigartige Location vorgesehen - bei der auch reale Campfire im Outdoor-Bereich möglich sind. Dies alles dürfte doch Grund genug sein, dieses Wochenende bereits jetzt zu blocken, oder?

Freitag, 15. August 2025

HR: Mit Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen stärker als Gestalter der Transformation agieren

Auch wenn es mit ihrer Teilnahme am diesjährigen HR Innovation Day nicht geklappt hat, freue ich mich, dass mir Barbara Josef für ein Interview zur Verfügung steht. Barbara Josef zählt zu den geschätzten Unterstützern meines „Events“, weil sie hier bereits im Jahr 2016 eine viel beachtete Keynote gehalten hat. Mit dieser Keynote unter der Überschrift „Plädoyer für ein neues Miteinander - Vom Home Office zu Co-Working und Co-Creation“ hat sie bereits 2016 viele der derzeit vehement diskutierten Fragen nicht nur vorweggenommen, sondern zum Teil auch beantwortet. Die beiden Interviews (Interview 1 und Interview 2) die ich im Vorfeld des Events mit ihr führen konnte, bieten viele aktuelle Anknüpfungspunkte. (Hier würde ich die beiden Interviews verlinken.) Beim Lesen dieser Interviews werden bestimmt viele erstaunt sein, wie aktuell doch die Themen waren, über die wir 2016 diskutiert haben. So hat Barbara Josef recht nachdrücklich auf die die vielfältigen Vorteile des Co-Workings unter virtuellen Bedingungen und auch auf das Konzept des Third Place hingewiesen. Ihre Aussagen zu hybriden Lösungen, „dass diese angepasst an die konkreten Bedingungen (Aufgaben, Mitarbeiter*innen, technische und organisatorische Voraussetzungen) - eine außerordentliche Bedeutung für künftige Arbeitsweisen und -modelle besitzen“ sind brandaktuell.

Wald: Zunächst herzlichen Dank, dass Sie mir - wieder einmal - für ein Interview zur Verfügung stehen.
Josef: Vielen herzlichen Dank auch von meiner Seite – ich finde es sehr schön, dass die „Future Work Community“ miteinander im Austausch ist und bleibt. Zudem war unser Kennenlernen 2016 ganz am Anfang meiner Selbständigkeit und deshalb war der Anlass auch für mich prägend und hat mir Mut gemacht, meinen Weg zu gehen.

Wald: Wie ist es Ihnen in den letzten Jahren ergangen? Wie haben Sie die Corona-Zeit überstanden?
Josef: Zeitgleich mit dem Einstieg in die Selbständigkeit hatte ich mir noch einen grossen Wunsch erfüllt und ein Doktorandenstudium im Bereich Business Innovation in Angriff genommen. Meine Promotionsfeier hat kurz vor dem ersten Lockdown, Mitte Februar 2020, stattgefunden. Ehrlich gesagt tat mir die Zwangsentschleunigung – ich hatte keine richtige Pause geplant und plötzlich waren alle Anlässe in der Agenda weg – enorm gut, auch wenn ich natürlich wie viele Selbständigen Zukunftsängste hatte. Dass mein Thema durch die Pandemie und den Digitalisierungsschub enorm an Bedeutung gewinnen würde, habe ich ganz zu Beginn noch gar nicht realisiert. Rückwirkend betrachtet hat diese Zäsur meine Arbeit enorm beflügelt. Das Thema hat sich enorm verändert. Von Homeoffice, neuen Bürokonzepten und flexiblen Arbeitsformen hin zur Frage, wie Organisationen gezielt in ihre Zukunftsfähigkeit investieren können. Diese Entwicklung ist nicht nur der Pandemie geschuldet, sondern gleichermassen dem Fachkräftemangel, der fortschreitenden digitalen Transformation und insbesondere der schnellen Verbreitung der künstlichen Intelligenz in Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders gefällt mir, dass ich nicht mehr diejenige bin, die dazu aufruft „Arbeit neu zu denken“, sondern dass es heute viel mehr ums „wie“ statt „warum“ geht.

Wald: Ich hoffe sehr, dass ich mit meinem Einstiegstext nicht zu viel vorweggenommen habe.
Josef: Er hat mich positiv überrascht. Ich bin nicht ein Mensch, der zurückblickt und ich finde, dass in meinem Themenfeld Dinge sehr schnell veralten, weil sich aktuell enorm viel bewegt. Umso schöner ist es, eine gewisse Beständigkeit zu erkennen.

Wald: In Vorbereitung auf dieses Interview habe ich mir Ihre Keynote und die Informationen, wie dem Schweizer Homeoffice Day oder die Work Smart Initiative noch einmal angeschaut. War die Schweiz ggf. besser auf die Corona Pandemie vorbereitet als Deutschland?
Josef: Ich habe die Entwicklungen in Deutschland zu wenig direkt mitbekommen und kann keinen seriösen Vergleich ziehen. Ich glaube aber schon, dass die kulturellen Gegebenheiten in der Schweiz geholfen haben, besonnen durch die Krise zu kommen. In der Schweizer Arbeitskultur sind Eigen- bzw. Mitverantwortung, Augenhöhe, flache Hierarchien etc. etablierte und gelebte Werte. Der Schweizer HR Barometer 2024 zeigt zudem, dass für rund drei Viertel der Erwerbstätigen die Arbeit einen hohen Stellenwert einnimmt und sie sie für bedeutsam halten. Diese Kombination – eine menschenzentrierte Kultur und motivierte Mitarbeitende – hilft natürlich dabei, in einer Krisensituation gemeinsam einen Weg zu finden und auszuhalten, dass sich das Leben nicht immer an unsere Pläne hält. Ich glaube auch, dass die Schweiz, was die Verbreitung von neuen Arbeitsformen und den Digitalisierungsgrad betraf zum Zeitpunkt der Pandemie schon etwas weiter war als Deutschland.

Wald: Sie hatten in unserem Interview auch über die einmaligen Chancen der Unternehmen gesprochen, die sich den Unternehmen durch die neuen Formen der Zusammenarbeit ergeben. Inwieweit haben die Unternehmen diese Chancen wirklich genutzt?
Josef: Diese Frage müsste man ergänzen um einen Aspekt, den ich unbedingt zur Sprache bringen möchte. Haben denn auch die Mitarbeitenden die Chance genutzt? In der Schweiz ist das „return to the office“ Phänomen – also Firmen, die die Mitarbeitenden vollständig zurück ins Büro beordern - zum Glück nicht weit verbreitet, wohl aus den oben genannten Gründen. Wenn man der Frage nachgeht, warum Unternehmen zu dieser drastischen Massnahme greifen, stösst man immer wieder auf das Argument, dass einzelne Mitarbeitenden primär ihren eigenen Nutzen maximiert bzw. ihren Beitrag minimiert haben und es am Schluss fast nicht mehr möglich war, gut an gemeinsamen Zielen zu arbeiten. Auch im Arbeitsleben braucht es beide Seiten: Unternehmen und Führungskräfte, die Vertrauen schenken und Mitarbeitende, die Verantwortung übernehmen und sich verlässlich zeigen. Nur dann funktioniert dieser Deal.

Wald: Können Sie das konkretisieren?
Josef: Neue Arbeitsformen funktionieren und bleiben dann, wenn Mehrwerte für beide Seiten – Unternehmen und Mitarbeitende – entstehen. In einer globalen Wirtschaftswelt, die sich weder an Bürozeiten noch die 40-Stundenwoche hält, ist es von unschätzbarem Wert, wenn sich beide Seiten flexibel zeigen und einander wohlgesinnt sind. Ich nenne das „Goodwill-Kapital“ – nicht der juristische Vertrag ist ausschlaggebend, sondern das Bestreben, die bestmögliche Lösung zu finden. Wie der „World Uncertainty Index“ eindrücklich aufzeigt, leben wir in einer Welt, die von einer hohen Veränderungsdynamik und Ungewissheit geprägt ist. Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass alle ihren Teil zur Lösung beitragen. Vor allem aber geht es darum, die gemeinsamen Ziele über die eigenen Interessen zu stellen. Die Schweizer Firma Liip hat dies in ihren Prinzipien mit „we over me“ prägnant festgehalten. Wir leben im Zeitalter der Individualisierung. Die grosse Herausforderung besteht darin, aus den erstarkten „Ichs“ ein noch stärkeres Kollektiv zu schaffen. Das ist auch der Punkt, wo ich von Frithjof Bergmanns Vision von „new work“ abweiche. In entwickelten Volkswirtschaften wie der Schweiz oder Deutschland geht es nicht mehr vordringlichst um die Stärkung des Individuums sondern viel mehr darum, einen starken Verbund zu schaffen, der gemeinsam Komplexes lösen kann.

Wald: Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit dem Thema „Third Place“ aus. Ich denke, dass dieses Thema aktuell viel zu selten diskutiert bzw. betrachtet wird.
Josef: Das Thema ist immer noch hochaktuell und die Konzepte haben sich stark weiterentwickelt. Seit der Pandemie haben viele Firmen aufgrund der zunehmend mobilen Arbeitsweise der Mitarbeitenden ihre Büroflächen reduziert, bzw. teilweise sogar aufgegeben. Zum einen entsteht so Raum für Neues, zum anderen sind auch Budgets freigeworden, die früher gebunden waren. Ich persönlich wünsche mir, dass Coworking nicht einfach ein neues Geschäftsmodell ist, sondern dass Dörfer und Städte gezielt in diese Begegnungsorte investieren. Eine Bibliothek hat sich auch noch nie rentiert, ist aber eine wichtige Errungenschaft unserer Gesellschaft. Ähnlich sollten wir Coworking als Orte sehen, wo Menschen zusammenkommen, sich austauschen, sich unterstützen und gemeinsam Neues schaffen können – unabhängig von ihrem sozialen Status oder anderen Persönlichkeitsmerkmalen.

Wald: Was halten Sie in diesem Zusammenhang von den derzeitigen Aktionen vieler großer Unternehmen, ihre Mitarbeitenden mit mehr oder wenigen „sanftem“ Druck in die Büros zurückzuholen?
Josef: Das Thema muss man differenziert anschauen. Ich habe meine Gedanken in einem Blogpost für hrtoday.ch zusammengefasst.

Wald: Oft habe ich auch an Ihr Geheimrezept für gute Führung unter virtuellen Bedingungen gedacht: „Führen über klare Ziele und eine Kultur des Vertrauens“. Ich denke, dass es vielen Führungskräften nach wie vor schwerfällt, ihren Mitarbeitern zu vertrauen. Haben Sie hier vielleicht Tipps, wie Führungskräfte Vertrauen „üben“ können?
Josef: Wenn ein Kind lernt, Fahrrad zu fahren, helfen „Stützräder“ zu Beginn enorm. Genau so ist es beim Thema Führung. Es geht nicht darum, von einem Extrem ins andere zu fallen – also quasi von Hierarchie zu Selbstorganisation - sondern vielmehr darum, im Kleinen Mitverantwortung zu erproben. Ich arbeite mit Organisationen oft mit Formaten wie „Unconferences“ oder „Hackathons“ oder gestalte Fragestellungen partizipativ mit der Methodik des „Double Diamonds“. Sobald die Führungkräfte merken, wie stark sich die Mitarbeitenden bei solchen Erfahrungen einbringen und engagieren, gewinnen sie an Vertrauen und werden mutiger. Und irgendwann braucht es dann auch die Stützräder nicht mehr. In dieser Transformation kommt der Kommunikation eine enorm grosse Bedeutung zu. Mich hat das Netflix-Prinzip „Führung über Kontext“ sehr inspiriert. Die Führungskraft versucht durch gute Kommunikation die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, ihren Beitrag zu den gemeinsamen Zielen zu leisten. Am Anfang ist es aufwändiger, nicht einfach selber zu entscheiden, sondern optimale Voraussetzungen zu schaffen, dass die Mitarbeitenden Eigenverantwortung wahrnehmen können. Auf lange Sicht profitieren aber Mitarbeitende und Führungskräfte von diesem Wandel. Die Führungskraft verliert weniger Zeit mit Mikromanagement und die Mitarbeitenden wachsen an ihren Aufgaben.

Wald: Verständlicherweise haben mich Ihre damaligen Äußerungen zu den Personalern gefreut, weil Sie diese als Förderer des „Miteinander“ und „Caretaker“ beschrieben haben. Weiterhin haben Sie diese als Innovations-Enabler anerkannt. Im Moment mehren sich die Stimmen, die Personaler als durch entsprechender KI-Lösungen als ersetzbar ansehen. Was meinen Sie dazu?
Josef: Der aktuelle Work Trend Index von Microsoft zeigt auf, dass es nicht um das Ersetzen sondern Ergänzen und Erweitern der menschlichen Fähigkeiten geht. Schon heute wird KI häufig für Dinge genutzt, die Menschen nicht übernehmen können (siehe folgendes Bild). 

Ich schreibe zum Beispiel fürs Leben gerne und habe mit KI plötzlich eine Literaturkritikerin zur Seite, die mir wertvolle Tipps gibt, wie ich meinen Schreibstil weiterentwickeln kann. Oder KI kann mich als persönlicher Gesundheits-Coach dabei unterstützen, achtsamer mit meinen Ressourcen umzugehen. Personalfachleute, die ihre Rolle darin sehen, Menschen und Organisationen langfristig gezielt weiterzuentwickeln, braucht es in Zukunft noch mehr als heute – die hohe Veränderungsdynamik spielt ihnen klar in die Hände. Trotz dieser rosigen Aussicht mache ich mir aber schon auch Sorgen. In vielen Organisationen ist die Personalleitung beispielsweise nicht Teil der Geschäftsleitung. Wenn man nachfragt heisst es, «die sind halt eher administrativ tätig». Und dieser Aspekt ist tatsächlich leicht ersetzbar durch KI. Damit Personaler auch in Zukunft relevant sind und bleiben, müssen sie ihre Rolle als GestalterInnen der Transformation noch stärker wahrnehmen, neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen sein und Allianzen pflegen in der Organisation.

Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Unternehmen weiterhin viel Erfolg.
Josef: Vielen herzlichen Dank, das wünsche ich Ihnen auch. Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung.

Meine Gesprächspartnerin Barbara Josef begleitet Organisationen in Transformationsprozessen. Sie hat im Januar 2016 gemeinsam mit einer Partnerin die Firma „5to9 AG“ gegründet. Zuvor war Barbara Josef Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Schweiz und verantwortete die Kommunikation sowie das gesellschaftliche Engagement. In dieser Rolle hat sie 2009 gemeinsam mit Partnern den „Nationalen Home Office Day“ (später „Work Smart Initiative“) ins Leben gerufen. Barbara Josef hat als Erstausbildung das Primarlehrerpatent der Pädagogischen Hochschule Kreuzlingen erworben. Es folgten Studium und Promotion an der Universität St.Gallen (HSG) im Bereich Business Innovation.

Freitag, 25. Juli 2025

Wie steht es um den Stellenmarkt im ersten Halbjahr 2025? - Update mit Index-CEO Jürgen Grenz


Das erste Halbjahr 2025 liegt hinter uns. Nach den Gesprächen mit Jürgen Grenz, dem CEO der Index Gruppe, über die Entwicklung des Stellenmarktes im Jahr 2024 dürfte es die Leserinnen und Leser meines Blogs interessieren, wie sich der Stellenmarkt im ersten Halbjahr dieses Jahres entwickelt hat. 

Haben sich die Entwicklungen aus dem Jahr 2024 fortgesetzt? Entlassen Unternehmen also weiterhin Mitarbeitende und stellen gleichzeitig neue ein? Oder dominiert inzwischen der Personalabbau?

 Über diese und weitere Fragen habe ich mit Index-CEO Jürgen Grenz gesprochen. Seine Einschätzungen sind regelmäßig Thema in meinen Lehrveranstaltungen und helfen mir auch dabei, Führungskräfte und HR-Verantwortliche für aktuelle Entwicklungen auf dem Stellenmarkt zu sensibilisieren.

Wald: Lieber Herr Grenz, vornweg herzlichen Dank, dass Sie mir erneut als kompetenter Gesprächspartner zur Verfügung stehen.
Grenz: Sehr gerne, Herr Prof. Wald.

Wald: In unserem letzten Interview haben Sie geäußert, dass Sie die Entwicklung des Stellenmarktes im vierten Quartal 2024 vorsichtig optimistisch stimmt. Hat sich dieser Optimismus bewahrheitet?
Grenz: Leider nicht. Viele Unternehmen halten sich mit Neueinstellungen spürbar zurück. Die schwache Weltwirtschaft trifft die exportorientierte deutsche Industrie besonders empfindlich. Unsicherheiten, etwa durch Trumps Zollpolitik, verschärfen die Lage zusätzlich. Auch die hohen Energiepreise bremsen vor allem das verarbeitende Gewerbe weiter aus. Die geplante Senkung der Stromsteuer für Unternehmen ist daher ein Schritt in die richtige Richtung, aber kein Befreiungsschlag.



Wald: Heute richtet sich der Blick auf das erste Halbjahr 2025. Angesichts der m. E. sehr differenzierten und schwankenden wirtschaftlichen Bedingungen bin ich gespannt zu hören, wie sich der Stellenmarkt insgesamt entwickelt hat. 

Grenz: Der Stellenmarkt hat sich deutlich eingetrübt. Im ersten Halbjahr 2025 wurden bundesweit rund 5,6 Millionen Stellen ausgeschrieben. Das sind zehn Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Damals lag das Jobangebot noch bei fast 6,3 Millionen Stellen. Der Rückgang zeigt: Die Zurückhaltung der Arbeitgeber nimmt zu. Eine Trendwende ist bislang nicht in Sicht.




Wald: Waren alle Regionen Deutschlands gleichermaßen vom Rückgang der Stellenangebote betroffen?
Grenz: Das Stellenangebot ist in nahezu allen Regionen zurückgegangen. Am stärksten betroffen waren Baden-Württemberg mit minus 9 Prozent und Bayern mit minus 8 Prozent. Hauptursache ist die angespannte Lage bei den Automobilherstellern und ihren Zulieferern, die im Süden der Republik stark vertreten sind. Gegen den Trend legten Thüringen mit plus 3 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern mit plus 1 Prozent beim Stellenangebot leicht zu. Positiv ist immerhin, dass es in keinem Bundesland prozentual zweistellig zurückging.





Wald: In unserem letzten Gespräch haben Sie auch die Entwicklung des Stellenmarktes in den großen Städten verglichen.

Grenz: Die Konjunkturflaute trifft viele Großstädte besonders hart. In Stuttgart und Köln sank das Stellenangebot um 12 bzw. 10 Prozent. Beide Städte sind stark von der Automobilindustrie geprägt, in der derzeit Neueinstellungen häufig auf Eis gelegt werden. Mit minus 3 Prozent fiel der Rückgang in Hannover und Bremen deutlich moderater aus. Frankfurt am Main sticht mit einem Plus von 3 Prozent beim Stellenangebot positiv heraus, vor allem dank der steigenden Personalnachfrage im Bankensektor.



Wald: Lassen sich im ersten Halbjahr 2025 auch bei verschiedenen Berufsgruppen Veränderungen erkennen?



Grenz: In fast allen Berufsgruppen wurden weniger Stellen ausgeschrieben. Am stärksten schrumpfte das Stellenangebot im Personalwesen, und zwar um 16 Prozent. Ich sehe diesen Rückgang besonders kritisch, weil unterbesetzten HR-Abteilungen Ressourcen für notwendige Maßnahmen im Bereich der Personalentwicklung, -bindung und dem Recruiting fehlen. Für strategische Projekte bleibt dann kaum Zeit. Auch im Bereich Forschung und Entwicklung gab es 14 Prozent weniger Stellenausschreibungen. Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland, das sich nur durch permanente Innovationen im internationalen Wettbewerb behaupten kann, ist das ein alarmierendes Signal.


 
Wald: Gibt es auch Berufsgruppen, in denen der Personalbedarf gestiegen ist?
Grenz: Trotz der schwachen Konjunktur ist der Fachkräftemangel nach wie vor ein großes Thema. Viele Unternehmen suchen daher nach wie vor neue Mitarbeitende. So ist das Stellenangebot für Fachkräfte in Wissenschaft, Aus- und Weiterbildung im ersten Halbjahr um 3 Prozent gestiegen. Das Jobangebot für Gesundheits- und Pflegepersonal sowie für Rechts- und Steuerexperten hat sogar um 4 Prozent zugelegt. 



Wald: Mit Blick auf die verschiedenen Berufsgruppen interessieren mich natürlich die Entwicklungen der Stellenangebote für klassische Blue-Collar-Jobs im Vergleich zu den Office-Jobs.
Grenz: Blue-Collar-Berufe waren weniger stark vom Stellenrückgang betroffen als Bürojobs. Am gefragtesten blieben Bauarbeiter und Handwerker: Mit über 1,4 Millionen Ausschreibungen gab es für sie das größte Jobangebot, trotz eines leichten Rückgangs um 2 Prozent. Für Beschäftigte in Transport, Verkehr und Logistik sank die Anzahl der veröffentlichten Stellen dagegen um 6 Prozent.



Wald: Was meinen Sie? Lassen sich hier mittel- und langfristige Trends der Stellenmarkt-Entwicklung erkennen?
Grenz: Kurzfristig ist kaum eine Besserung in Sicht. Deutschland befindet sich im dritten Rezessionsjahr. Mittel- und langfristig bleibt der Fachkräftemangel bestehen, vor allem durch den Renteneintritt der Babyboomer. Es werden viele Blue-Collar-Stellen frei – vom Handwerk bis zur Pflege. Im Office-Bereich könnte hingegen der Einsatz von KI zu weiteren Stellenstreichungen führen.



Wald: Da ich bei meinem Event - dem HR Innovation Day 2025 - auch einen Vertreter Ihres KI-gestützten Outplacement-Services Talent-Placement begrüßen durfte, drängt sich die Frage auf, wie sich die Nachfrage nach Talent-Placement entwickelt hat.
Grenz: Unser KI-gestützter Outplacement-Service Talent-Placement ist aktuell stark gefragt. Immer mehr Unternehmen befinden sich in Change-Prozessen und möchten Trennungsprozesse professionell und fair gestalten. Klassische Outplacement-Mandate sind jedoch teuer und deshalb meistens Führungskräften vorbehalten. Unser digitales Modell ist deutlich günstiger und ermöglicht es Unternehmen, Fachkräften aller Hierarchiestufen ein Outplacement zu finanzieren und damit den Trennungsprozess für beide Seiten deutlich konfliktfreier zu gestalten.



Wald: Wie hat sich die wirtschaftliche Entwicklung der Index-Gruppe im ersten Halbjahr 2025 insgesamt dargestellt? Konnte sie die erfolgreiche Entwicklung aus dem Jahr 2024 fortsetzen?


Grenz: Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen entwickelt sich die Index-Gruppe stabil weiter. Wir stellen nach wie vor neue Mitarbeitende ein. Besonders stark gefragt sind derzeit drei Bereiche: unser KI-basierter Outplacement-Service Talent-Placement, unser Vertriebssystem Index Anzeigendaten und unsere Employer-Branding-Agentur.


Wald: Wie immer interessieren mich auch die Veränderungen in der Index-Gruppe. Im letzten Gespräch hatten Sie hier die Unternehmensberatung Index Business Innovation Consulting erwähnt. Was gibt es dazu zu sagen?
Grenz: Die Index Business Innovation Consulting ist nach wie vor die einzige Unternehmensberatung in Deutschland, die sich ausschließlich auf Personaldienstleister spezialisiert hat. Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten steigt der Bedarf an praxisnaher Beratung, etwa bei der Lead-Generierung und bei der Optimierung von Vertriebsprozessen. Unser Beratungsansatz unterscheidet sich deutlich von dem klassischer Strategieberatungen: Wir liefern nicht nur Strategien, sondern setzen sie gemeinsam mit den Kunden um.




Wald: Wird es ggf. weitere Änderungen beim Leistungsangebot geben? Können Sie etwas zu Ihren konkreten Plänen sagen?
Grenz: Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage vieler Personaldienstleister liegt der Schwerpunkt aktuell in der Restrukturierung von Vertriebsprozessen und insbesondere in der Einführung bzw. der Intensivierung des Profilvertriebes. Hinzu kommt die Beratung hinsichtlich der strategischen Ausrichtung des Leistungsportfolios in Hinblick auf wachsende Branchen und Berufsgruppen.

Wald: Ganz herzlichen Dank für das erneute, sehr informative Gespräch. Ich wünsche Ihnen und der Index-Gruppe ein weiterhin erfolgreiches Jahr 2025.
Grenz: Sehr gerne, Herr Prof. Wald.

Mein Gesprächspartner
 Jürgen Grenz ist CEO der 1994 gegründeten Index-Gruppe, die heute rund 200 Mitarbeitende beschäftigt. Die Unternehmensgruppe ist Spezialist für Vertriebsoptimierung, Employer Branding, Personalmarketing, HR-Consulting, Personalmarktforschung und Outplacement. Zu diesen Themenfeldern berät Index Unternehmen, Personaldienstleister, Verlage, Jobbörsen, Agenturen, öffentliche Einrichtungen und Verbände. Mit ihrer Stellenanzeigen-Datenbank Index Anzeigendaten ist die Gruppe europäischer Marktführer in der Analyse des Stellenmarkts.




Montag, 30. Juni 2025

Der HR Innovation Day is back - Mit KI HR besser machen? Ja - aber …

Der HR Innovation Day ist zurück.

Nach 2022 konnten wir 2025 endlich eine Neuauflage „meines“ „Offline-Events“ realisieren. Heute komme ich zu einem persönlichen Recap des diesjährigen HR Innovation Days. Zugegebenermaßen recht spät - dies hat aber auch Vorteile. Erst einmal der Blick auf das sehr positive Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, was mich wirklich sehr gefreut hat („Ein echtes Highlight-Format🎉“; „spannend“; „echtes Lern- und Denkabenteuer“.
Zu einem Rückblick gehören selbstverständlich auch Gedanken was das Event letztlich gebracht hat. In diesem Fall weniger aufregende Animationen und auf Fotos jubelnde Jung-Personaler als eine beachtliche Reihe nachvollziehbarer Einblicke in das derzeitige KI-Geschehen im HR-Kontext. Dies macht es einfacher zu beurteilen, was KI für HR und die HRler bedeutet. Neben vielen Chancen existieren hier auch zahlreiche Risiken. Ich bin deshalb rückblickend sehr froh, den Event-Titel mit einem Fragezeichen (!) versehen zu haben ("Mit KI HR besser machen?“). Ein Blick auf die Beiträge verdeutlicht die aktuelle Situation und, was bei weitem wichtiger ist, lässt die künftigen Anforderungen an das Personalmanagement beim zunehmenden Einsatz von KI erkennen.

  • KI bietet ungeahnte Leistungssteigerungen bei HR-Tätigkeiten an. Das Zeitalter eines „Super-Workers“ bricht an. Dieser weithin optimistische Blick auf KI als Enabler von HR durch Kathi Enderes (SVP bei Josh Bersin) dürfte nicht überall auf Zustimmung stoßen, war aber ein sehr guter Aufschlag für das Event. Der Blick auf die breiten Erfahrungen mit KI in den USA lässt die auch bei uns bevorstehenden Entwicklungen von KI im Bereich HR erkennen. Erwähnenswert, dass dieser Input aus Palo Alto in Richtung Leipzig erfolgt ist. Ganz herzlichen Dank an Kathi Enderes dafür! 
  • Es wurde deutlich, dass die HR-Innovationen nach wie vor nicht aus den HR-Bereichen, sondern zumeist aus anderen Bereichen, wie der IT, kommen. Ein hervorragendes Beispiel für EdTech-Lösungen waren Workshop und Keynote von Gabriele Riedmann de Trinidad. Sie hat verdeutlicht, welche Potenziale im Erfassen und der Weitergabe von Wissen in Form personalisierter Lernangebote sprich Micro-Learnings liegen. Mit der Übertragung des Begriffs digitaler Zwilling in den Bereich Lernen konnte sie klar machen, wie adaptives Lernen praktisch umgesetzt werden kann. Hier galt zuzusehen, zu staunen und dabei an die Implementierung dieser faszinierenden Lösungen im HR Bereich zu denken. 
  • Arbeitszeitfragen sind ein Evergreen betrieblicher Personalarbeit. Der deutschlandweit bekannte Arbeitszeit-Experte Guido Zander - den wir erneut beim HR Innovation Day begrüßen konnten - hat auch diesmal den Blick auf neue Herangehensweisen bei der Arbeitszeit- und Einsatzplanung eröffnet. Hier eröffnen sich durch die Einbeziehung von KI neue Möglichkeiten für die Gestaltung des Einsatzes von Mitarbeitenden. Guido Zander hat sich in seiner Keynote auch wieder einmal für flexible Arbeitszeitmodelle bei Dekless Workern stark gemacht. 
  • Das Recruiting eilt - was den Grad der Nutzung von KI-Lösungen angeht - den anderen HR-Bereichen oftmals davon. Wolfgang Brickwedde konnte dies bei einer Beschreibung der aktuellen Situation im Recruiting aber insbesondere auch durch den Blick auf die künftige Aufgabenteilung zwischen Recruitern und KI nachvollziehbar skizzieren. Der Workshop von Uwe Thuß hat hier deutlich gezeigt, welche breiten Möglichkeiten eine KI-gestützte und an konkreten Anforderungen orientierte Personalauswahl gerade für die aktuellen Nachfolgefragen bietet. Eine wichtig Notiz: Auch viele Bewerberinnen und Bewerber rüsten auf - denn sie greifen zunehmend - selbst bei virtuellen Vorstellungsgesprächen auf KI-Unterstützung zurück. 
  • Die Vorteile von KI-Lösungen für ausgewählte HR-Aufgaben sind bislang vielen Personalern offensichtlich nicht genügend bekannt. Beispielhaft sind hier KI-gestützte Online-Coachings in natürlicher Sprache zu nennen (ein exzellenter Workshop mit Dan Blinstein und Angelika Geißler von koviko). Ich denke, dass hier eine hohe Akzeptanz bei den Coachees zu erwarten ist. Hinzu kommt die mögliche Unterstützung beim Personalabbau. Ein Thema, dass die viele Personaler zunehmend bewegen dürfte. Welche beträchtlichen Potenziale hier von einem KI-gestützten Outplacement zu erwarten sind, konnte Paul Kanzler von Talent Placement eindrucksvoll in seinem Workshop anhand konkreter Beispiele und Erfahrungen verdeutlichen. 
  • Bei der Einführung und Anwendung von KI-Lösungen in den Personalbereichen braucht es erfahrungsgemäß auch mutige und vorwärts drängende Einzelkämpfer, die mit Enthusiasmus und Einfallsreichtum in Bereiche gehen, die auf den ersten Blick nicht als Präzedenzfälle des Einsatzes von KI gelten. Dafür steht mein Professorenkollege Thorsten Richter der sich bereits seit langer Zeit und mit nachhaltigem Erfolg dem Einsatz von KI im Kontext von Recht und zunehmend auch im Arbeitrecht verschrieben hat. In seinem Workshop hat er für viele Aha-Effekte gesorgt und gezeigt, was KI gerade im rechtlichen Kontext bewirken kann. 
  • Für den künftigen Erfolg braucht HR viel stärker als bisher die Fähigkeit eigene Geschichten zu erzählen. In seinem Workshop hat Tobias Hegner von VerVieVas die Grundlagen, die hierfür nötigen Fähigkeiten und deren Anwendung anhand konkreter Beispiele sehr nachvollziehbar beschrieben. 
  • Das Thema Unternehmenskultur und Werte bewegt viele Personaler. Hier fehlt es jedoch häufig an Optionen hier auf der Basis konkreter Informationen aktiv zu werden. Beim Schließen dieser Lücke kann das Start-up Heart & job helfen. Beim Workshop mit der Gründerin Sarah Brauns war zum Umgang mit den Werten der Unternehmen oder der (potenziellen) Mitarbeiter war dazu viel zu erfahren. Mit Hilfe einer KI-gestützten Analyse der Unternehmenskultur kann hier fundierter als bisher agiert werden. 
  • Und: HR braucht für die nötigen Veränderungen unbedingt langen Atem. Deshalb war es richtig mit der Keynote von Babette Sonntag gerade nicht auf KI zu setzen. Sie setzte mit ihrer Keynote durchweg eigene Akzente. Mit ihrem umfassenden Blick auf japanische Führungsmodelle konnte sie dem gegenwärtigen „Kurzfrist-Hype“ bewusst die auf der Langzeitorientierung basierende Innovativität japanischer Führung entgegensetzen. 
Interessant: HR Innovationen sind auch außerhalb der klassischen Unternehmen gefragt. Es freut mich sehr, dass mit dem Paritätischen Sachsen auch eine Institution aus dem Bereich der Sozialwirtschaft die Nützlichkeit neuer Herangehensweisen bei Führung und Personalmanagement erkannt hat und hier eigene Wege zur Implementierung neuer Lösungen gehen wird.

Was bleibt? Der HR Innovation Day ist das solide und unaufgeregte Event für junge und jung gebliebene Personaler, die sich in der Atmosphäre einer Hochschule über hochaktuelle Entwicklungen informieren und dabei auch netzwerken wollen. Dabei steht die offline-Wissensvermittlung und auch das gemeinsame Lernen im Vordergrund. Künftig dürfte es darauf ankommen, wie es Personalern gelingt, sich das notwendige Wissen für den gezielten Einsatz von KI-Lösungen anzueignen. Der Wissensaustausch mit Vertretern anderer Domänen wird zunehmend unverzichtbar. Dazu gehört mMn neben Offenheit und Aufgeschlossenheit auch die Bereitschaft, sich an einem sonnigen Samstag mit Wissens- und Erfahrungsträgern auszutauschen. 

Eine kleine Notiz am Rande. Es gibt Zufälle und ZUFÄLLE. Am 14. Juni 2025, dem Tag des HR Innovation Days, erschien endlich mein Herausgeberwerk „Deskless Work und Personalmanagement“ an dem ich fast zwei Jahre gearbeitet habe. 

Auf ein Wiedersehen in Leipzig freut sich.

Peter M. Wald


Freitag, 6. Juni 2025

The Age of the Superworker - What does AI adoption mean for HR? - Interview with Kathi Enderes

This year's HR Innovation Day is approaching. It is a good tradition to present the keynote speakers and workshop hosts in interviews. My interviewee for today is Kathi Enderes, Senior Vice President Research at Josh Bersin. She is a well-known consultant in the field of HR management and a frequently requested keynote speaker. In her statements, she often provides unique insights into the possibilities of innovative HR management, particularly with regard to the increasing use of AI. That's why I'm very happy that she will keynoting at this year HR Innovation Day. The title of her keynote is “The Age of the Superworker”.

Peter: First of all, thank you for enriching this year's HR Innovation Day with a keynote. May I ask you to introduce yourself? 
Kathi: I’m Kathi Enderes, SVP of Research and Global Industry Analyst at The Josh Bersin Company. We are a research and advisory company for HR. Together with our team, I provide insights on all aspects of HR, leadership, learning, talent, and HR technology. My background is from management consulting at EY, PwC, IBM, and Deloitte, as an HR executive at McKesson and Kaiser Permanente, and for the last five years, I’ve been working with Josh Bersin and our team to build our company to enable the HR profession. Originally from Austria, I’ve worked in Vienna, London, Malaga, and San Francisco, and I now live in Palo Alto, California.

Peter: The title of your keynote is „The Age of the Superworker“. What do you mean by the term „Superworker“?
Kathi: A superworker is an employee who uses AI to dramatically increase their contribution, performance, and productivity while also doing more meaningful and interesting work. Anybody can be a superworker, and it’s up to us in HR to enable the workforce to become superworkers and to build superworker organizations.

Peter: May I ask you to explain briefly the link between AI and HR?
Kathi: For the last 2.5 years (since ChatGPT became publicly available in November 2022), AI has been part of every conversation we are having with HR leaders and their teams. Indeed HR plays a massive role in AI adoption in two areas: 1) supporting enterprise AI transformation through redesign of roles and work, reskilling and development, organizational design, creating a culture of learning and growth, and enabling what we call “change agility”, and 2) embedding AI into HR and talent processes to create a better employee experience, increase performance and productivity of the workforce, and accomplish better people results. So AI transformation is not really about technology (because that is becoming commoditized quickly) but about the organizational and workforce adoption of these technologies into business practices to create value.

Peter: The motto of this year HR Innovation Day is „Making „HR better with AI?“. So here is my important question for HR Professionals: How can HR be better by means of AI?
Kathi: AI in HR plays a significant role for all areas of HR. It’s rapidly changing how we recruit, hire, onboard, develop, reward, manage, and deploy people. There are so many use cases in HR, from simple HR policy support through generative AI to AI-based skills insights for better candidate quality, from AI coaches to using AI for increased pay equity, and from AI-powered learning content development to AI-enabled succession management insights or performance reviews. All of these don’t just make HR more efficient and help save HR time, but they also create a much better, more personalized candidate and employee experience, increase the effectiveness of HR processes to hire better candidates or create more effective development plans, and eventually increase the performance and contribution for every employee. We’ve actually quantified these in one of our reports “Maximizing the Impact of AI in the Superworker Age” that we made publicly available: https://joshbersin.com/maximizing-the-impact-of-ai-in-the-age-of-the-superworker/

Peter: What needs to change therefore at HR?
Kathi: For HR to capture these benefits and significantly increase value and business impact, the HR function needs a new operating system. We call this Systemic HR® - it’s a much more integrated, less siloed, more business-oriented, data driven approach that requires new, “full-stack” HR capabilities. The legacy tiered service delivery model from 30 years ago just doesn’t work anymore. This is the next generation of HR transformation, reinventing the function towards this new model – because AI bridges gaps between HR domains and breaks down siloes.

Peter: Are there perhaps areas of personnel management that do not need to change? Or to put it another way, what things or activities should not be left to AI?
Kathi: AI will impact all areas of HR but it won’t take “over” most areas. Sure, it will support tasks and activities in any area but there are things that it can’t do (yet). For example, an HR business partner may use AI for data analysis, developing alternative scenarios for workforce plans, supporting organizational design and development, and maybe most importantly offloading administrative activities they currently perform on behalf of their business partners, but it will not replace the role of the HR business partner. On the contrary, it holds the promise to finally deliver on a much more value-added HRBP role. The same holds true for all other domains – roles will change, some of them significantly, but new roles and functions will be created. For example – who will maintain the corpus that powers the AI? Who controls and tunes the AI? Who oversees that the right AI agents are deployed and work together well? It’s a new world, and I’m excited for the potential.

Peter: Users of AI - especially in HR departments - report employees' fears. How can these be effectively countered?
Kathi: Fear of change is a big hurdle, and it’s nothing new. We’ve seen these fears in previous automations – when the ATMs were invented, bank tellers were afraid all their jobs would go away. The reason why AI seems scarier is because it’s moving so fast, and because we tend to personify it. But of course it’s not a person, it’s not sentient, it doesn’t have a will. The best way to overcome fear of AI is to start using it. Many people use it in their personal lives already – in fact, whenever we talk with HR teams about this, we hear that 90-95% of them already embed ChatGPT, Copilot, Claude, Perplexity, or Gemini (or other AI assistants) in their everyday lives, for vacation planning, finding recipes, writing better emails, improving their communication skills, and much more. Yet when it comes to work, there is a huge discrepancy between the 5-10% of AI superusers and the rest who are barely using these tools at all. Most companies provide secure AI tools to their employees and many foster hackathons, AI discussion groups, mentoring (or reverse mentoring where younger employees mentor more experienced ones in AI use), communication and celebration of AI successes, and more. We’ve studied these practices and what works in detail and collaborated with Microsoft on a whitepaper.

Peter: Without telling too much, what can the listeners expect from your Keynote in general?
Kathi: It’s a very optimistic, positive story that explains how we got to this place of supporting superworkers, what organizational requirements need to be in place to create superworker companies (we call this dynamic organizations), and what role we in HR can play. We’ll touch on creating talent density, fostering systemic HR, the new role of the CHRO, and provide a four-stage model for work redesign in the age of AI. For a teaser, watch this 3-minute video our team created to explain the concept of the superworker. 

Peter: Finally, a question I'd like to ask all the speakers and workshop hosts. Why are you keynoting at the HR Innovation Day 2025?
Kathi: I’m thrilled about the opportunity! Because I am originally from Austria, it felt like a great fit to talk with a group in Germany and with such a forward-thinking leader like you, Peter. I wish I could do the keynote in German (I speak it at home), but my material and talk track are all in English. The topic of the HR Innovation Day 2025 fits perfectly with our focus for 2025 and for what’s on the mind of all business leaders. Thanks for inviting me!

Peter: Thank you very much today for your support of the HR Innovation Day. I look forward to listen to your keynote.

My interviewee, Kathi Enderes, is the Senior Vice President of Research and Global Industry Analyst at the The Josh Bersin Company; she leads research for all areas of HR, learning, talent and HR technology. Kathi has more than 20 years of experience in management consulting with IBM, PwC, and EY and as a talent leader at McKesson and Kaiser Permanente. Most recently, Kathi led talent and workforce research at Deloitte, where she led many research studies on various topics of HR and talent and frequently spoke at industry conferences. Originally from Austria, Kathi has worked in Vienna, London and Spain and now lives in Palo Alto/California. Kathi holds a doctoral degree and a masters degree in mathematics from the University of Vienna.

Sonntag, 1. Juni 2025

KI und (Arbeits-)Recht - Mit klarem Fokus auf Menschlichkeit, rechtlicher Sicherheit und praktischer Anwendbarkeit - Thorsten Richter im Gespräch

Der HR Innovation Day 2025 wird ein Highlight bei der Vermittlung aktueller Erfahrungen beim Umgang mit KI-Lösungen im modernen Personalmanagement. Ich bin mir sicher, dass der Input meines geschätzten Kollegen Thorsten Richter in einem Workshop mit dem Titel „Wie kann KI bei rechtlichen Fragestellungen helfen?“ auf große Aufmerksamkeit stoßen wird. Dr. iur. Thorsten S. Richter ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden und ist vielen mittlerweile als der KI-Rechts-Professor bekannt. Mit seinen virtuellen Diskussionsrunden, zahlreichen Videos u.a. bei LinkedIn, dem KI-Labor Recht und mittlerweile zwei Bestseller-Büchern zum Thema KI ist er einer der Vorreiter bei der Anwendung von KI im rechtlichen Kontext. Ich freue mich außerordentlich, ihn als Host eines Workshops gewonnen zu haben und danke ihm ganz herzlich für seine Unterstützung. 

Peter: Lieber Thorsten kannst Du Dich und Deinen Werdegang kurz vorstellen?
Thorsten:  Sehr gern, Peter! Ich bin Thorsten Richter – viele nennen mich einfach Toschi. Ursprünglich aus Hamburg mit familiären Wurzeln in Sachsen, bin ich Jurist und Professor mit langjähriger Praxiserfahrung, insbesondere im Arbeitsrecht. Aktuell bin ich Gründer von INMEVIA AI. Wir unterstützen Unternehmen dabei, KI verantwortungsvoll und sicher zu nutzen – stets mit klarem Fokus auf Menschlichkeit, rechtlicher Sicherheit und praktischer Anwendbarkeit.

Peter: Wo siehst Du die wichtigsten Einsatzfelder von KI-Lösungen im rechtlichen Bereich?
Thorsten: Die zentralen Einsatzfelder von KI im rechtlichen Bereich liegen klar in der Unterstützung von Jurist/innen und Anwält/innen bei der Lösung von Rechtsfällen. KI ermöglicht insbesondere eine deutliche Zeitersparnis und eine höhere Präzision, etwa bei der automatischen Erstellung und Prüfung von Dokumenten, Verträgen oder Klageschriften.  Zudem unterstützt KI bei der Kommunikation mit Streitparteien und bei der Mediation im innerbetrieblichen Streitausgleich. Mit spezialisierten KI-Tools lassen sich systematisch und effizient komplexe juristische Sachverhalte erfassen, relevante Vorschriften identifizieren und strukturierte juristische Prüfungsschemata erstellen. Ein besonderer Mehrwert liegt dabei in der Möglichkeit, KI gezielt für die Erkennung typischer Fehlerquellen oder Haftungsrisiken einzusetzen, um proaktiv Streitfälle zu vermeiden und rechtliche Qualität zu sichern. Letztlich geht es darum, die juristische Arbeit nicht zu ersetzen, sondern wirkungsvoll zu ergänzen und Anwält/innen dabei zu begleiten, bessere und effizientere Entscheidungen zu treffen

Peter: Ich habe Dich ja für einen Einsatz als Host auf einem Event mit dem Schwerpunkt HR gewinnen können. Wo lassen sich Einsatzmöglichkeiten von KI mit Bezug zum Arbeitsrecht finden?
Thorsten: Künstliche Intelligenz (KI) wird sich im arbeitsrechtlichen Bereich als vielseitiges Werkzeug etablieren, da bin ich mir sicher. KI wird sowohl von Arbeitsrechtsanwälten als auch von nicht-juristschen Mitarbeitern von HR-Abteilungen genutzt werden.
Für Arbeitsrechtsanwälte: 
  • Vertragsanalyse und -prüfung: KI-gestützte Tools ermöglichen die automatisierte Analyse von Arbeitsverträgen, um potenzielle Risiken und Unstimmigkeiten frühzeitig zu erkennen.
  • Rechtsrecherche: Durch den Einsatz von KI können relevante Gesetzestexte, Urteile und Literatur effizienter durchsucht und ausgewertet werden.
  • Vorbereitung auf Gerichtsverfahren: KI kann bei der Analyse von Fallakten helfen, indem sie Muster erkennt und relevante Präzedenzfälle identifiziert.
Für HR-Abteilungen:
  • Recruiting-Prozesse: KI wird eingesetzt, um arbeitsrechtskonform Bewerbungen zu sichten, Kandidatenprofile zu analysieren und passende Bewerber vorzuschlagen.
  • Einige Unternehmen nutzen KI zur Analyse von Mitarbeiterleistungen, um Schulungsbedarfe zu identifizieren - hier sind arbeitsrechtliche Grenzen zu berücksichtigen.
  • Vertragsmanagement: KI unterstützt bei der Erstellung und Verwaltung von Arbeitsverträgen, indem sie Standardklauseln vorschlägt, auf rechtliche Änderungen hinweist und an innerbetriebliche Anforderungen anpasst.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Einsatz von KI im arbeitsrechtlichen Kontext sorgfältig geplant und umgesetzt werden muss, um Datenschutzbestimmungen einzuhalten und Diskriminierungen zu vermeiden.

Peter: Kannst Du dies vielleicht anhand kleinen Beispiels erläutern?
Thorsten: Sehr gern. Ein klassisches Beispiel ist der Einsatz eines KI-gestützten Vertragsgenerators in einem mittelständischen Unternehmen. Die Personalabteilung erstellt damit automatisch rechtskonforme Arbeitsverträge für neue Mitarbeitende, angepasst an interne Standards und aktuelle gesetzliche Regelungen. Zusätzlich bietet das System Erklärhilfen und Schulungsfunktionen, um auch weniger erfahrene HR-Mitarbeitende sicher durch den Vertragsprozess zu führen. Bei jeder Eingabe prüft das System die Vertragsinhalte auf typische Fehler, wie z. B. fehlende Befristungsbegründungen oder problematische Klauseln zur Arbeitszeiterfassung. Zusätzlich wird ein Hinweis auf relevante Fristen oder Mitbestimmungsrechte eingeblendet. Die Personalabteilung spart so Zeit, erhöht die Rechtssicherheit und kann sich stärker auf den menschlichen Aspekt des Onboardings konzentrieren.

Peter: Was kommt auf die Personaler im Kontext von KI und Arbeitsrecht zu?
Thorsten: Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in den HR-Bereich bringt für Personalverantwortliche sowohl Chancen als auch erhebliche Herausforderungen mit sich.
  1. Neue gesetzliche Anforderungen: Mit dem Inkrafttreten der EU-KI-Verordnung (AI Act) am 1. August 2024 wurden klare rechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI geschaffen. Insbesondere Anwendungen im HR-Bereich, wie KI-gestützte Bewerberauswahl oder Leistungsbeurteilungen, gelten oft als Hochrisiko-Systeme und unterliegen daher strengen Anforderungen hinsichtlich Transparenz, Nachvollziehbarkeit und menschlicher Kontrolle.
  2. Datenschutz und Mitbestimmung: Der Einsatz von KI-Systemen muss stets im Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) stehen. Automatisierte Entscheidungen, die rechtliche Wirkung entfalten oder Mitarbeitende erheblich beeinträchtigen, sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Zudem sind Betriebsräte frühzeitig einzubeziehen, insbesondere wenn KI-Systeme zur Leistungsüberwachung oder Verhaltensanalyse eingesetzt werden.
  3. Fachliche und ethische Kompetenzen: Personaler müssen sich nicht nur mit den technischen Aspekten von KI auseinandersetzen, sondern auch ethische Fragestellungen berücksichtigen. Dies umfasst die Sicherstellung von Fairness, Vermeidung von Diskriminierung und Gewährleistung der Transparenz von KI-gestützten Entscheidungen. Eine kontinuierliche Weiterbildung und Sensibilisierung für diese Themen ist unerlässlich.
  4. Strategische Integration von KI: KI sollte nicht isoliert, sondern als integraler Bestandteil der HR-Strategie betrachtet werden. Dies beinhaltet die Entwicklung klarer Richtlinien für den KI-Einsatz, die Definition von Verantwortlichkeiten und die Schaffung von Mechanismen zur Überwachung und Bewertung der KI-Systeme. Eine enge Zusammenarbeit mit IT, Rechtsabteilung und Betriebsrat ist hierbei entscheidend.
Insgesamt erfordert der verantwortungsvolle Einsatz von KI im Personalwesen ein ausgewogenes Zusammenspiel von Technologie, Recht und Ethik. Personaler stehen vor der Aufgabe, diese Balance zu finden und KI so zu nutzen, dass sie sowohl den Unternehmenszielen dient als auch die Rechte und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden wahrt.

Peter: Und jetzt kommt meine Abschlussfrage, die ich allen Unterstützern des Events stelle. Warum kommst Du zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Thorsten: Ich freue mich auf den HR Innovation Day, weil er eine einmalige Gelegenheit bietet, von anderen Referenten, ihren KI-Anwendungsbeispielen und ihrer Praxiserfahrung zu lernen. Gleichzeitig bietet der HR Innovation Day für mich die passende Gelegenheit, eine Idee zu teilen, die mich aktuell sehr beschäftigt: ein gemeinsames Forschungsprojekt mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht unter dem Arbeitstitel „KI-Arbeitsrechtsexperte werden in 14 Tagen“. Ich möchte ausloten, inwiefern dieses Projekt Personalverantwortliche dabei unterstützen kann, KI sinnvoll mit arbeitsrechtlichem Know-how und einer menschenzentrierten Perspektive zu verbinden.

Peter: Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich freue mich auf Deinen Workshop.
Thorsten: Ich danke Dir, Peter – für die Einladung, die inspirierende Idee hinter dem HR Innovation Day und die Möglichkeit, diesen Austausch mitzugestalten. Ich freue mich sehr auf Leipzig, die Teilnehmenden und spannende Impulse rund um HR und KI!

Prof. Dr. iur. Thorsten S. Richter ist führender Experte für die Verbindung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Unternehmertum. Mit seiner langjährigen Erfahrung in Wirtschaft, Recht und Unternehmensberatung zeigt er, wie KI nicht nur Prozesse automatisiert, sondern strategische Unternehmensentscheidungen auf ein neues Niveau heben kann. Als Gründer des Praxisinstituts für Wirtschaft, Recht und KI und INMEVIA.AI vermittelt er praxisnah, wie KI-Tools in Unternehmen integriert werden können – von Start-ups bis zu etablierten Konzernen. Sein Ziel besteht darin, Unternehmern, Entscheidern und Beratern das Wissen und die Werkzeuge an die Hand zu geben, um KI effektiv und gewinnbringend einzusetzen. Mit seiner umfassenden Erfahrung als Wirtschaftsrechtsprofessor, Unternehmensberater und KI-Stratege bringt Prof. Richter Theorie und Praxis zusammen – stets mit dem Fokus auf umsetzbare, sofort anwendbare Lösungen für den modernen Geschäftsalltag. In den aktuellen Büchern „KI-Jurist/in werden in 14 Tagen“ und „KI-Unternehmer/in werden in 14 Tagen“ hat er seine Erfahrungen praxisorientiert aufbereitet und hilft damit Hürden bei der KI-Nutzung abzubauen und anwendungsorientiertes Wissen zu vermitteln.