Warum dieses Gespräch mit Cyquest? Auch bei den Werkzeugen, die zur Auswahl vom Mitarbeitenden im Bereich Deskless Work eingesetzt werden, liegt der Schwerpunkt bisher deutlich auf den Office Tätigkeiten. Cyquest hat hier mittlerweile mit CRAFT ein Online-Instrument entwickelt, dass für die Diagnostik der Eignung von Deskless Worker eingesetzt werden kann. Ich freue mich dazu ein Gespräch führen zu können, um nähere Details und ggf. auch erste Einblicke in Anwendungserfahrungen zu erhalten.
Peter: Zunächst herzlichen Dank, lieber Jo, dass ich Dich wieder einmal für ein Gespräch gewinnen konnte.
Jo: Lieber Peter, ich danke dir! Ich finde es wichtig, dass dem Thema „Gewinnung von Deskless Workern“ eine größere Bühne eingeräumt wird, eine Bühne, die dem Thema auch gerecht wird. Dein Buch ist meiner Meinung nach ein wichtiger Beitrag, diesem Thema die gebührende Beachtung zu verschaffen. Wir versuchen, mit unserem Online-Assessment „CRAFT“ einen ganz praktischen Beitrag zu leisten, indem wir einen eignungsdiagnostischen Test speziell für den Bereich „Blue Collar“ bereitstellen.
Peter: Wofür steht eigentlich das Akronym CRAFT?
Jo: Das ist tatsächlich gar kein Akronym, sondern soll verdeutlichen, dass es um ein Online-Assessment vor allem für Berufsbilder handelt, die im weiteren Sinne „mit den Händen“ bzw. handwerklich, fertigend oder gewerblich-technisch tätig sind. Vollständig heißt das Produkt daher auch: „CRAFT das Blue-Collar-Assessment“.
Peter: Nach eigener Aussage geht es bei CRAFT um berufsrelevante Fähigkeiten und Interessen. Wie wurden diese identifiziert und festgelegt? Oder erfolgt dies mit den jeweiligen Nutzern?
Jo: CRAFT ist tatsächlich ein standardisiertes Verfahren, d.h. es erfolgt bis auf optische Anpassungen kein kundenindividuelles Customizing. Die Idee ist schon, dass mit Hilfe von CRAFT wichtige Merkmale erfasst werden können, die generell für handwerkliche, fertigende oder gewerblich-technische Tätigkeiten und berufserfolgskritisch sind. Um diese zu identifizieren, sind wir erstens tief in die einschlägige diagnostische Forschung eingestiegen und haben zweitens etliche unserer Kunden befragt, was sie wichtig halten. Drittens haben wir ja einen unheimlich wichtigen empirischen Erfahrungsschatz. Wir führen ja im Jahr mehrere Hunderttausend Tests für die unterschiedlichsten Unternehmen durch. Da geht es auch oft um Berufe, die eher dem Deskless Work-Bereich zuzuordnen sind. Hier konnten wir ebenfalls sehr viele Erkenntnis draus ziehen, worauf es bei diesen Berufen eigentlich ankommt.
Peter: Ich habe gelesen, dass sich CRAFT aus mehreren Modulen zusammensetzt. Könntest du diese Module bitte schlagwortartig vorstellen?
Jo: Na klar! CRAFT umfasst insgesamt drei Module, wobei eines davon, das dritte optional zum Einsatz gebracht oder auch weggelassen werden kann. Der Reihe nach:
Das erste Modul erfasst die Fähigkeit zum "Multitasking", denn oft muss man bspw. in der Fertigung mehrere Dinge gleichzeitig im Blick behalten können. Im „Multitaskingtest Blue-Collar“ sollen Messwerte verglichen und gleichzeitig Anfragen weitergegeben werden. In dem Verfahren wird sowohl die Multitaskingfähigkeit als auch die Konzentrationsfähigkeit und Bearbeitungsgeschwindigkeit im praktisch-technischen Berufskontext erfasst.

Das zweite Modul misst verschiedene für diese Zielgruppen wichtige Persönlichkeits- und Interessenmerkmale: Teamfähigkeit, Organisationsfähigkeit und Gewissenhaftigkeit sowie praktisch-technische Interessen.

Beim dritten Modul handelt es sich um ein simulatives Verfahren, konkret eine Planungsaufgabe. Bei der „Planungsaufgabe Blue-Collar-Leitung“ soll unter Zeitdruck und Störeinflüssen (Telefonanrufe) eine Dienstplanung für einen Handwerksbetrieb erstellt werden. Auf diese Weise wird ein hoher Grad an Realitätsnähe und Anforderungsbezug hergestellt. In dieser berufsbezogenen Simulation werden Fähigkeiten im Planen, komplexen Problemlösen sowie im flexiblen Umgang mit Störungen erfasst.

Dieses dritte Modul ist wie gesagt optional, d.h. man kann dieses z.B. selektiv nur für Besetzungen zum Einsatz bringen, bei denen im Job dann auch koordinierende oder planende Aufgaben Teil der Tätigkeit sind. Das gilt dann z.B. für Vorarbeiter, Teamleiter, Schichtführer etc., die etwa Maschinenbelegungs- oder Personaleinsatzpläne erstellen müssen. Alle drei Module zusammen können meist in nur 15 bis 20 Minuten absolviert werden, d.h. man kommt sehr schnell zu einem Messbefund.
Peter: Es handelt sich um ein Online-gestütztes verfahren. Braucht es dafür einen „PC“ oder kann diese auch mobil absolviert werden?
Jo: Grundsätzlich gilt für alle unsere Tools, dass diese auf allen gängigen Endgerätetypen, also Desktoprechner, Tablets und Smartphones gleichwertig durchgeführt werden können. Für die Zielgruppe der Deskless Worker spielen mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets natürlich nochmal eine sehr viel größere Rolle, weil diese Menschen naturgemäß meist eben nicht an einem Schreibtisch sitzen, auf dem ein PC stehen kann… Also: Alles was man braucht, ist ein digitales Endgerät mit Browser und eine möglichst stabile Internetverbindung. Das geht natürlich auch remote.
Peter: Gibt es Blue Collar Berufe für die dieses Verfahren ggf. nicht geeignet ist?
Jo: Der Anspruch von „CRAFT“ ist, dass es sich tatsächlich für alle Formen von Blue Collar Berufen eignet. Denn: Es wird im Tool kein erforderliches Fachwissen überprüft – das unterscheidet sich ja schon sehr von Beruf zu Beruf oder Unternehmen zu Unternehmen -, sondern es werden wichtige grundlegende Merkmale gemessen, die quasi immer mit einer mehr oder eben weniger erfolgreichen Ausübung von Tätigkeiten im Blue Collar Bereich zusammenhängen.
Peter: Ihr betont, dass mit CRAFT, Talente sichtbar gemacht machen können, die bei klassischer Personalauswahl übersehen werden. Wie ist dies zu verstehen?
Jo: Oftmals beruht die Personalauswahl auf der reinen Betrachtung „fachlicher Kenntnisse“ und/oder dem subjektiven Eindruck, den jemand z.B. mit seinen Bewerbungsunterlagen oder im Interview hinterlässt. Und bei beidem ist die Gefahr groß, dass man hierbei Personen „aussortiert“, die aber eigentlich gut gepasst hätten. Man spricht hierbei in der Selektionsdiagnostik vom Auswahlfehler zweiter Art, der sog. „Falsch-Negativ-Selektion“. Das Problem: Bei jemandem, den ich schon aussortiert habe, kann ich ja anschließend nicht mehr feststellen, dass er aber eigentlich doch geeignet gewesen wäre. Das ist das gemeine an dieser Art Auswahlfehler. Schickt man jedoch alle Bewerbenden in ein Verfahren wie CRAFT, dann bekommt man auch von allen einen vergleichbaren Messbefund hinsichtlich der in CRAFT gemessenen Merkmale und kann diese zusätzlich in die Betrachtung einbeziehen. Dabei zeigt sich, dass eine beträchtliche Anzahl an Bewerbenden auf einmal doch sehr geeignet zu sein scheinen, die man ohne diesen Befund als ungeeignet aussortiert hätte. Das resultiert also wenn man so will in „mehr Auswahl“, weil man auf einmal Potenzial erkennt in den Ecken, in denen man sonst gar nicht nachgesehen hätte…
Peter: Wie steht es um die Erfahrungen der ersten Anwender mit CRAFT? Gibt es vielleicht Kunden, die hier bereits genannt werden können?
Jo: CRAFT ist ganz neu. Wir starten jetzt gerade mit den ersten Kunden. Aber allein schon die Range der Branchen, aus denen diese kommen zeigt die breite Verwendbarkeit des Tools: Ein Unternehmen kommt z.B. aus der Chemie und stellt Schmierstoffe her, ein anderes Süßigkeiten, vor allem Schokolade. Dann gibt es etwa einen Baukonzern, einen Heizungsbauer oder ein Unternehmen aus dem ICT-Bereich, wo bspw. Menschen arbeiten, die Glasfaserkabel verlegen.
Peter: Herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Euch anhaltenden Erfolg mit CRAFT!
Jo: Vielen Dank lieber Peter! Wir sind auch sehr gespannt, wie sich CRAFT sowie insg. die Personalgewinnung im Deskless Worker Bereich entwickelt!
Mein Gesprächspartner Joachim Diercks ist Geschäftsführer und Co-Founder der CYQUEST GmbH. Nach BWL-Studium in Hamburg und Berkeley und Berufseinstieg bei Bertelsmann in London gründete er 2000 CYQUEST, heute einer der führenden Anbieter von Assessment-Lösungen für Personalauswahl und Berufsorientierung im deutschsprachigen Raum mit Kunden wie BARMER, Deutsche Telekom oder EON. Er ist Hochschuldozent für Eignungsdiagnostik, Autor des Buchs „Recrutainment“ (2023) sowie zahlreicher Fachartikel zu verschiedenen E-Recruiting- und Employer-Branding Themen und regelmäßig als Speaker bei HR-Fachkongressen, u.a. bei der von ihm selbst organisierten jährlich stattfindenden „#HREdge“. Sein Recrutainment Blog ist einer der meistgelesenen deutschsprachigen HR-Blogs. Diercks gilt als einer der Vordenker wie sich die Personalgewinnung zukünftig entwickeln wird. Joachim Diercks ist mit einem Kapitel zum Thema „Wie können Berufsorientierungsspiele zur Gewinnung von Mitarbeitenden eingesetzt werden - speziell in gewerblich-technischen Berufen?“ im Buch „Deskless Work und Personalmanagement“ vertreten.