Mein Gesprächspartner - "Jo" Diercks |
Jo: Hallo Peter, ich denke einiger deiner Leser werden mich wahrscheinlich kennen. Aber der Vollständigkeit halber: Mein Name ist Joachim („Jo“) Diercks, ich bin Gründer und Geschäftsführer von CYQUEST. Wir entwickeln Online-Assessments, also Auswahltests, die über das Web durchgeführt werden, SelfAssessment- und Matching-Verfahren sowie Berufsorientierungsspiele. Nebenbei bin ich Gastdozent für Personalthemen an verschiedenen Hochschulen, häufig als Vortragsredner unterwegs und betreibe mit dem Recrutainment Blog einen der meistgelesenen HR-Blogs im deutschsprachigen Raum.
Peter: Vielen Dank für die kurze Vorstellung. Wie ist Deine Position im Personalmanagement bzw. worin bestehen Deine konkreten Schnittstellen zum Personalmanagement?
Jo: Im „engeren Sinne“ habe ich die meisten Berührungspunkte mit allen Themen, die sich um die Personalgewinnung drehen, schlichtweg weil wir mit CYQUEST dort unseren Tätigkeitsschwerpunkt haben. Mit Personalgewinnung meine ich zum einen kommunikative Themen wie Employer Branding und Personalmarketing, etwa weil unsere Self-Assessment- bzw. Matching-Lösungen dafür sorgen, dass potentielle Bewerber passendere Berufe, Stellen und Arbeitgeber identifizieren können. Zum anderen meine ich damit aber natürlich auch konkret das Recruiting. Denn: Wenn wir Tests bei unseren Kunden implemtieren, dann handelt es sich dabei natürlich um Elemente des Auswahlprozesses. Speziell aber das bloggen sorgt bei mir dafür, dass ich meinen Blick auch oft sehr weit über den Tellerrand der Personalgewinnung werfe. Da geht es dann oft auch um Themen wie Vereinbarkeit, Demografischer Wandel, Integration, Big Data, Weiterbildung oder natürlich Unternehmenskultur und Cultural Fit. Und ich habe ein ausgeprägtes Interesse an technischen Entwicklungen, weshalb man von mir auch oft was zu Themen wie Virtual-/Augmented Reality, Bots, Algorithmen & Ontologien oder neuen Apps liest.
Peter: Wie schätzt Du den gegenwärtigen Status bzw. das Standing der Personaler insgesamt ein?
Jo: Ich glaube das Standing von HR insgesamt ist (NOCH) okay. Aber es ist nicht zu übersehen, dass das Personalwesen insgesamt unter zunehmenden Rechtfertigungsdruck gerät und seinen Leistungsbeitrag, der für mich (potentiell) unzweifelhaft vorhanden ist, stärker beziffern muss.
Peter: Was meinst Du, warum wird das Personalmanagement heute (trotzdem) so oft und teilweise heftig kritisiert?
Jo: Die mit großem Abstand größte Herausforderung für HR liegt in der rasanten technischen Entwicklung. Es passiert so viel – von automatisierten (“digitalisierten“) oder zumindest automatisierbaren Prozessen bis hin zu einer erheblich größeren Transparenz und potentiellen Messbarkeit -, dass jeder neue Tag mittlerweile neues bringt oder zumindest erfordert, sich mit Neuem zu beschäftigen. Das Problem dabei ist – ich sage das mal etwas kokett… -, dass viele Personaler deshalb Personaler geworden sind, weil sie eben nichts mit Maschinen machen wollten, sondern „mit Menschen“… Deshalb empfinden viele Personaler technische Veränderungen oft erst einmal als Bedrohung. Noch schlimmer – und auch diese Haltung gibt es hier tatsächlich mehr als in anderen Disziplinen – ist eine gewisse „Vogel-Strauß-Haltung“ nach dem Motto: „Was nicht sein darf, gibt es auch nicht!“
Ich schreibe bspw. viel zu der Frage, ob Algorithmen Teile der Personalauswahl übernehmen können. Das kann man sehr wohl ambivalent beurteilen, klar. Aber viele Personaler reagieren oft mit dem Argument: Nein, eine Maschine kann kein Bauchgefühl, also kann sie auch kein Recruiting. Punkt. Ende der Diskussion, Ende des Gedanken. Dass es diese Algorithmen aber gibt und sich Entwicklungen durch Vogel-Strauß-Haltung auch nicht aufhalten lassen, wird ausgeblendet. Dabei läuft HR dann Gefahr, dass die Entwicklung sich eben ohne HR vollzieht.
Leider beschränkt sich diese Haltung aber nicht nur auf technische Entwicklungen. Ich bin immer wieder erschüttert erstaunt, wenn ich sehe, dass Personaler keine Ahnung haben, welche Dinge sich gerade in anderen Disziplinen wie Marketing oder Recht abspielen, die aber direkt etwas mit dem eigenen Job zu tun haben. So haben bspw. viele Personalmarketing-Verantwortliche keine Ahnung was „Programmatic Advertising“ ist oder Recruiter, die noch nie etwas von der EU-DSGVO gehört haben…
Peter: Wo siehst Du in der nächsten Zeit konkreten Änderungsbedarf bei Leistungen und Angeboten des Personalmanagements?
Jo: Die meiner Ansicht nach wichtigste Änderung muss sich im Mindset vollziehen. Ich verlange gar nicht, dass technische Entwicklungen zwingend von HR ausgehen müssen, aber das Personalmanagement muss technischen Entwicklungen gegenüber ein offenes Visier zeigen. Da gehört die Offenheit dazu, dass es überhaupt technische Entwicklung gibt, die sich auf den eigenen Bereich auswirken könnte und auch eine gewisse Lust darauf, sich mit diesen Entwicklungen zu befassen. Ich erhoffe mir, dass Personaler diese Entwicklungen, die sich eh nicht aufhalten lassen, proaktiver mitgestalten. Denn es handelt sich keineswegs nur um eine Frage der Technik, der Informatik. Im Gegenteil: Wie uns die „Echokammer/Filterblasen“-Problematik nachdrücklich vor Augen führt, dürfen Algorithmen eben nicht alleinig in den Händen der Techies liegen. Es bedarf immer einer inhaltlich beurteilenden Instanz. Sonst droht die Gefahr, dass Algorithmen basierend auf reinen Scheinkorrelationen unsinnige Ergebnisse produzieren oder falsche Matchingresultate sich wie in einer Echokammer immer mehr verstärken. Das wäre dann nicht nur inhaltlich schlecht, sondern auch ethisch bedenklich. Bezüglich dieser dringend nötigen „proaktiven Mitgestaltung“ von HR-Tech bin ich allerdings eher nicht so optimistisch für 2017… Leider.
Peter: Was werden die Schwerpunkte des Personalmanagements in 10 Jahren sein?
Jo: Operativ: Die Beherrschung und Verwaltung sehr viel stärker als heute automatisierter Prozesse. Strategisch: Der Überblick und die Steuerung, dass diese technischen Prozesse auch das richtige tun, in die richtige Richtung gehen. Wenn Personaler heute nicht stärker ihr Visier in Richtung technischer Neuerungen öffnen, dann werden sie einer nach dem anderen vom Zug fallen. Dann werden in 10 Jahren nur noch hochspezialisierte technikaffine HR´ler die operativen Prozesse überwachen und dafür wird man erheblich weniger Personen brauchen. Gerade weil das aber eine doch recht kalte Welt wäre, muss HR sich viel stärker einbringen und mit der Frage beschäftigen, wie diese technischen Entwicklungen so ausgestaltet werden können, dass diese sowohl dem Wohl des Unternehmens als auch der Menschen, die dort arbeiten, dienen. Wenn HR sich hier keinen Ruck gibt, dann wird „Personalmanagement“ ob nun in 10 Jahren oder später irgendwann nur noch sehr wenig mit „Personal“ zu tun haben…
Peter: Jetzt zur Frage 5+1 (für meine Alumni und Studierenden) Was empfiehlst Du jungen Personalern bzw. Studierenden, die eine Laufbahn im Bereich HR anstreben? Worauf sollten diese achten? Was ist und was wird wichtig?
Jo: Nun, ich glaube ich wiederhole mich: HR ist „was mit Menschen“ klar. Aber HR ist eben heute schon und zukünftig noch viel viel mehr auch „was mit Technik“. Von daher wäre dringend zu raten, sich auch viel mehr mit Technik, technischen Entwicklungen und der Informatik zu beschäftigen, um diese sinnvoll mit Anforderungen des Personalwesens zu verbinden. Das wäre Punkt 1. Punkt 2 wäre für mich, HR nicht als losgelöste Disziplin zu betrachten, sondern den Blick auch angrenzende Disziplinen wie Marketing, Recht oder Produktion zu werfen.
Peter: Lieber Jo, ganz herzlichen Dank für die Antworten. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg, viele freundliche Partner und immer neue Ideen.
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