Derzeit herrscht weitgehende Einigkeit beim Thema Homeoffice/mobiles Arbeiten: Im New Normal werden insbesondere aufgrund des Corona-Homeoffice-Effekts künftig mehr Mitarbeiter*innen als bisher diese Arbeitsformen nutzen. So waren vor der Pandemie ca. 12% der Beschäftigten und in der Pandemie ca. 25% der Beschäftigten im Homeoffice tätig. Nach Berechnungen von Alipour, Falck und Schüller könnten etwa 56% der abhängig Beschäftigten in Deutschland zumindest zeitweise von zu Hause arbeiten. Der Spiegel titelt „Coronakrise verhilft Homeoffice zum Durchbruch“ und bezieht sich dabei auf Aussagen des ZEW zu „digitalen Lerneffekten“ in den Unternehmen. Diese Lerneffekte sind sowohl auf den Abbau von Vorbehalten als auch darauf zurückzuführen, dass mehr Tätigkeiten für mobile Arbeit geeignet sind als bislang angenommen wurde. Damit wird der Corona-Homeoffice-Effekt sogar noch verstärkt und es ist als sicher anzunehmen, dass ortsflexible bzw. mobile Arbeit nach der Krise intensiver als vor der Krise genutzt wird.
Mit der Zunahme mobiler Arbeit stellen sich eine Reihe von Fragen. Welche Aufgaben lassen sich mobil erledigen? Welche Werkzeuge werden eingesetzt? Wie haben Mitarbeiter*innen diesen Sprung in die Homeoffice-Welt erlebt? Welche Erfahrungen wurden gesammelt? Weithin Klarheit herrscht darüber, in welchen Bereichen der Arbeit bzw. bei welchen Abläufen derzeit Veränderungen absehbar sind.
Neben positiven Aspekten sollen aber auch die negativen Wirkungen erwähnt werden. Hier ist auf aktuelle Studien und Beiträge zu verweisen, die auf Schmerzen beim Übergang zur mobilen Arbeit und auf Schwankungen bei Arbeitszufriedenheit und Engagement verwiesen haben (HBR-Artikel "The implications of working without an office"). Hinzu kommen längere Arbeitstage (10-20%) und negative Auswirkungen insbesondere auf die schwachen Netzwerke in den Organisationen. Negative Veränderungen der Arbeitsproduktivität und Verlängerungen der Arbeitstage im Zusammenhang mit Homeoffice sind auch Themen einer Sonderstudie unter Federführung der Bertelsmann-Stiftung sind aber insbesondere im Aufsatz "Collaborating During Coronavirus: The Impact of COVID-19 on the Nature of Work” von Forschern der Harvard Business School, den diese im Rahmen einer Studie für das US-National Bureau of Economic Research veröffentlicht haben, zu finden.
Bei all diesen Widersprüchen und den sich daraus ergebenden Fragen erstaunt, dass einer Reihe von Unternehmen offensichtlich klar ist, wie sie mit mobiler Arbeit bzw. Homeoffice in Zukunft umgehen werden. Nicht nur diese Widersprüche, sondern auch die zum Teil differenzierten Aussagen und Einschätzungen durch mobil tätige Mitarbeiter*innen unterstreichen, dass es sinnvoll ist, sich mit dem Umgang mit dem Thema Homeoffice/mobile Arbeit im New Normal zu beschäftigen. Hierfür ist es unverzichtbar, die eigenen und die Erfahrungen anderer zu analysieren und zu bewerten, um auf dieser Basis künftige Lösungen und neue Arbeitsweisen gestalten zu können. In diesem Post werden deshalb Erkenntnisse wiedergegeben, die auf das Lernen bzw. auf Erfahrungen beim Umgang mit mobiler Arbeit verweisen. So unterstreichen Berater von BCG in einem Beitrag, dass aus der erfolgreichen „Trial by Fire“ gelernt werden sollte. Sie empfehlen hierfür klar zu beurteilen, was funktioniert hat und was nicht, wie und warum bestimmte Werkzeuge verwendet (oder auch nicht verwendet) wurden. Sie regen an, erfolgreiche Teams, deren Verhalten, Routinen und den Einsatz von Tools zu analysieren, um Best Practices teamübergreifend zu skalieren. Es ist zu ermitteln über welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen erfolgreiche Mitarbeiter und Führungskräfte verfügen. Wie kann die Organisation diese befähigen, andere zu unterrichten? Dabei geht es nur selten um bestimmte Werkzeuge. Menschen müssen bewusst üben, um notwendige Fertigkeiten zu entwickeln und den vollen Nutzen aus Veränderungen zu ziehen. Die Berater plädieren bei mobiler Arbeit für die Nutzung von Hybrid-Modellen. Neben notwendigen Veränderungen bei der Aneignung von Fähigkeiten betonen sie die neue Rolle von Coaching und Entwicklung, um bei ortsflexibler Arbeit allen Mitarbeiter gleiche Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Sie benennen Veränderungsbedarf in den Bereichen Routinen und Werkzeuge, Datensicherheit, Produktivität und Performance Management, Senior Leadership und Kultur sowie Recruiting und Onboarding.
Interessant ist auch ein Blick auf die differenzierte Einschätzung der Produktivität der im Homeoffice Tätigen, der auf Lerneffekte schließen lässt (Studie der mhplus Krankenkasse). So schätzen knapp 60 Prozent derjenigen, die noch nie oder erst zur Coronakrise im Homeoffice saßen, dass die Arbeit im Büro produktiver ist. Im Unterschied dazu treffen diejenigen mit längeren Erfahrungen im Homeoffice diese Einschätzung nur zu 44 Prozent. Dies verweist auf Vorbehalte zur Produktivität im Homeoffice, die jedoch abgebaut werden können. Auch im bereits erwähnten HBR-Artikel wird auf das Lernen beim Übergang zum Homeoffice verwiesen. Dazu einer der Betroffenen "Es dauerte einige Zeit, bis man sich daran gewöhnt hatte und die Dinge richtig liefen. Es war ein Lernprozess". Ein anderer Mitarbeiter beschrieb dies mit "in einen Rhythmus kommen"
Viele Hinweise zu Erfahrungen und zu Lernbedarfen liefert auch die seit einigen Wochen vorliegende Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGfP) Arbeiten in der Corona-Pandemie– Auf dem Weg zum New Normal. Mit knapp 500 befragten Unternehmen und vielfältigen Aussagen und Schlussfolgerungen sind hier interessante Einblicke möglich. In der Studie wird darauf verwiesen, dass die in den letzten Monaten gesammelten Erfahrungen die Unternehmen in die Lage versetzen, umfassender Homeoffice-Lösungen zu nutzen, Dienstreisen kritisch zu hinterfragen aber auch auf Schwierigkeiten, in Zukunft den Wunsch von Mitarbeiter*innen nach Homeoffice abzulehnen.
Aus Sicht des Lernens ist in dieser Studie insbesondere der Abschnitt zum Umgang der Führungskräfte mit der Situation in den letzten Monaten interessant. Die Autoren der Studie beschreiben diese Situation mit „Führungskräfte im Bootcamp“ und betonen, dass die positiven Erfahrungen dazu beigetragen haben, Vorbehalte gegen Arbeit auf Distanz deutlich (!) abzubauen. Die betreffende Aussage findet mit 47% (häufig der Fall) und 17% (selten der Fall) eine deutlich erkennbare Zustimmung. Nur 2,4% der Befragten konstatieren aufgrund der verstärkten Nutzung von Homeoffice-Lösungen vermehrte Konflikte zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen. Bemerkenswert scheint hier jedoch mit 40% („häufig der Fall“) die Aussage zu Schulungsdefiziten, was die Führung auf Distanz angeht. Hier lohnt sich definitiv ein intensiver Blick, was damit letztlich gemeint ist! Hier sind Verbindungen zu einer einer anderen Aussage von 9% der Befragten zu erkennen, „dass es häufig vorkommt, dass Arbeitslasten aufgrund der verminderten Kontrollmöglichkeiten ungleich verteilt werden.“ Bei einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern zeigten sich gesundheitliche Probleme aufgrund von Überlastung/Entgrenzung bzw. Spannungen in der Mitarbeiterschaft aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten zur Nutzung von Homeoffice. Nach dieser Studie bleibt es jedoch nicht nur bei einer örtlichen Flexibilisierung, sondern die „alte Frage“ nach der zeitlichen Flexibilisierung scheint sich hier erneut, wenn auch in anderer Form zu stellen. Beispiel dazu ist die Angabe zur Arbeit zu unüblichen Zeiten (15% bei den meisten, 51% bei wenigen Mitarbeiter*innen.
Konkrete Lernbedarfe zeigen sich in den Aussagen zu den Komplexen Entgrenzung (Strategien, damit als Mitarbeiter und Führungskraft umzugehen), Führung über Distanz und Selbstmanagement, Medienkompetenz (Videokonferenzen und allgemeine) sowie Prozessdigitalisierung (digitale Signaturen, Nutzung von Plattformen für informellen Austausch und Informationen zur Nutzung von Homeoffice), Gremienarbeit und kulturelle Vorbilder und Raumgestaltung. Insbesondere die Fragen der Entgrenzung werden auch in anderen Studien thematisiert, so in der bereits aufgeführten DAK-Studie. Hier vermisst fast jeder Zweite eine klare Trennung von Beruf und Privatleben – insbesondere bei Jüngeren.
Viele der Lernbedarfe bzw. nötige Entwicklungsmaßnahmen lassen sich auch in einer Handreichung des Kompetenznetzes Public Health COVID-19 zur gesundheitsförderlichen Führung von virtuellen Teams erkennen. Die Autoren arbeiten hier die folgenden Bereiche heraus.
- Führungskräfte mit delegierender und beratender Rolle. Koordination von Aufgaben, Zielen und Strategien sind mit passenden Medien zu planen und zu kommunizieren.
- Besondere Bedeutung des Vertrauens. Führungskräfte sollten transparenter als bisher agieren, v.a. mittels definierter Verantwortungsbereiche, Dokumentation sowie klarem Feedback oder Terminvorgaben.
- Aufrechterhaltung und Pflege sozialer Beziehungen. Hier geht es um die Förderung eines informellen, nicht-aufgabenbezogenen Austausches.
Wo sehe ich die wichtigsten Ansatzpunkte für das Lernen in der nächsten Zeit?
Jetzt muss es vor allem muss um einen systematischen Austausch der Erfahrungen mit Homeoffice/mobiler Arbeit gehen. Eine gemeinsame kritische Bestandsaufnahme dessen, was gut und was schlecht gelaufen ist, schafft notwendiges Vertrauen und kann die logische Grundlage für das weitere Vorgehen und künftige unternehmensspezifische Lösungen bilden. Die Mitarbeiter und ihre konkreten Erfahrungen müssen dabei im Mittelpunkt stehen. Folgende Erkenntnisse und Schwerpunkte sind hier hervorzuheben, um zu langfristig tragfähigen Lösungen zu kommen.
- Mobile Arbeit funktioniert nicht nur im Krisenmodus. Es muss aktuell und auch in Zukunft darum gehen, weiterhin existierende Vorbehalte zur mobilen Arbeit dauerhaft v.a. durch eigene Erfahrungen abzubauen. Dabei darf es auch nicht zu Widersprüchen zwischen online- und offline-tätigen Mitarbeiter*innen kommen.
- Die von mobil Arbeitenden häufig thematisierte Entgrenzung verweist auf mögliche psychische Gefährdungen. Hier braucht es konkrete und handhabbare Angebote (insbesondere für jüngere Mitarbeiter), wie mit Arbeitszeit, Work-Life-Fragen konkret umgegangen werden kann. Hier könnten Angebote zum Ausbau der Fähigkeiten im Bereich Selbstmanagement helfen.
- Mobile Arbeit braucht neue Führung. Führungskräfte müssen unbedingt Fähigkeiten im Bereich digitaler Führung aufbauen. Es braucht Angebote, damit sich Führungskräfte diese neue Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien aneignen und diese dann auch gezielt einsetzen zu können. Führungskräfte müssen sich dabei ihrer zunehmend beratenden und koordinieren Rolle bewusst werden.
- Mobile Arbeit bedingt neue Formen von Zusammenarbeit und Partizipation. Die Gestaltung künftiger Lösungen sollte künftig stets partizipativ erfolgen. Die Berücksichtigung der konkreten Erfahrungen von Mitarbeiter*innen mit der Autonomie im Homeoffice dürfte dabei helfen, Lösungen zu finden, die von den Mitarbeiter*innen auch akzeptiert werden. Dazu gehören auch spezifische Angebote zur Pflege der informellen Beziehungen.
Neben diesen Bereichen gibt es auch Aufgaben mit strategischer Bedeutung. Es ist zu überlegen, welche langfristigen Wirkungen Homeoffice bzw. Lösungen zur mobilen Arbeit auf die langfristige Qualität der Zusammenarbeit und die Kultur in den Unternehmen haben werden. Auch hier braucht es einen Rückblick auf die erfolgreiche Umstellung in den letzten Monaten und gemeinsame Überlegungen und spezifische Lösungen für die Zukunft. Leider finden sich trotz der Forderung nach betriebsindividuellen Formen von Homeoffice und Präsensarbeit (DAK) bislang nur wenige konkrete Aussagen dazu, wie die Unternehmen vorgehen sollten und wie die Mitarbeiter bei der nötigen Neugestaltung der Arbeit einbezogen werden können. Die systematische Einbeziehung der Erfahrungen und die aktive Beteiligung der Mitarbeiter sind unverzichtbare Erfolgsfaktoren bei der langfristigen Etablierung und Nutzung von optimalen Lösungen zur mobilen Arbeit. Mit diesem Post sollten dafür einige Anregungen dazu gegeben werden.
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