Freitag, 6. August 2021

Wie viel NewWork steckt in Homeoffice und mobilem Arbeiten? Gespräch mit Persoblogger Stefan Scheller

Meinen heutigen Gesprächspartner Stefan Scheller brauche ich nicht vorzustellen. Er ist der PERSOBLOGGER, der den Lesern:innen seines Angebots breite und aktuelle Informationen zu HR-Fragen in den verschiedensten Formaten anbietet. Oft greifen auch meine Studierenden auf diese Angebote zurück, so dass dies eine sehr gute Gelegenheit ist, für die stetige Bereitstellung dieser Informationen zu danken. Angesichts der Corona-Situation ist Stefan erneut zum Autor eines klassischen „Printwerks“ geworden, denn er hat gemeinsam mit Rechtsanwalt Christian Beck einen „Praxisleitfaden Homeoffice und mobiles Arbeiten“ vorgelegt. Diesen Leitfaden habe ich gelesen und auch das empfehlenswerte Gespräch verfolgt, das Stefan mit dem Gunnar Sohn geführt hat. Ich freue mich deshalb sehr, dass ich im Rahmen eines Interviews dazu und auch zu weiteren Themen Fragen an Stefan richten kann.

Peter: Vornweg ganz herzlichen Dank für die Möglichkeit mit Dir über den Leitfaden und natürlich auch über andere HR-Themen zu sprechen.
Stefan: Sehr gerne, lieber Peter. Ich freue mich immer total, wenn vertieftes Interesse an den von mir publizierten Themen besteht. Insofern gilt mein Dank Dir für diese Einladung auf Deinen Blog.
 
Peter: Gab es neben der Corona-Pandemie ggf. auch weitere Gründe, dass Du Dich mit dem Thema Homeoffice/mobiles Arbeiten in Form eines umfangreichen Leitfadens beschäftigt hast?
Stefan: Seit Anfang 2020 habe ich die Corona-Pandemie weitgehend konstant für über 75 Wochen im Homeoffice verbracht. Tag für Tag, zu Lockdown-Zeiten mit nur 45 Minuten pro Woche Einkaufszeit unter Menschen in 3D. Ansonsten in virtueller Isolation. Oder eben auch nicht. Je nach Sichtweise. Das hat mich doch sehr geprägt. Es war also nur ein kleiner Schritt zur Zusage, darüber ein Fachbuch zu schreiben. Unabhängig davon war mir aber klar, dass dieses Thema unter der Flagge New Work weiter medial an Gewicht erhalten wird

Peter: Es ist hervorzuheben, dass im Leitfaden eine Klarstellung der Begriffe Telearbeit, Mobile Arbeit, Mobile Office und FlexWork erfolgt. Hier gibt es erfahrungsgemäß in vielen Unternehmen nach wie vor Unklarheiten. Woran liegt aus Deiner Sicht die Unsicherheit beim Umgang mit diesen Begriffen?
Stefan: Hier kann ich nur Vermutungen anstellen. Tendenziell leben wir in Deutschland in einer starken Präsenzkultur mit einer Zuspitzung bis hin zum „Präsenzfetisch“. Es gab in den meisten Unternehmen vergleichsweise wenige Menschen, die vor der Pandemie schon remote ans Unternehmen angebunden arbeiten konnten. Wenn man dann noch sieht, dass diese Möglichkeit vielfach als eine Art Benefit oder gar als Incentive betrachtet wurde und die Hürden bei der Verargumentation zur Notwendigkeit von mobiler Arbeit entsprechend hoch waren, wundert es mich nicht, wenn sich Personalverantwortliche vor Corona wenig mit den Begrifflichkeiten auseinandergesetzt haben.

Peter: Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen und Rechtsgrundlagen für das mobile Arbeiten im Leitfaden recht breiten Raum einnehmen. Auch die Ausführungen zu den kollektivrechtlichen Aspekten im letzten Kapitel sind wichtig und durchweg gelungen. Ich bewerte dies als sehr gut, weil erfahrungsgemäß oft die damit zusammenhängenden Details für anhaltende Diskussionen in den Unternehmen sorgen.
Stefan: Wir haben die rechtlichen Aspekte u.a. deswegen so betont, weil wir uns mit dem Praxisleitfaden auch an Steuerkanzleien, Rechtsanwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfungskanzleien wenden wollten. Zudem sind überdurchschnittlich häufig Jurist:innen in der Rolle als Personalleiter:in tätig. Dort wird tendentiell stark in Leitplanken und rechtlichen Rahmenbedingungen gedacht. Das merke ich an mir selbst auch. „Wünsch-Dir-was“-Szenarien im Rahmen von „New Work Romantik“ aufzubauen, die dann an den rechtlichen Rahmenbedingungen scheitern, kann sich heute aber kein Unternehmen leisten. Rechtliche Rahmenbedingungen lassen sich allenfalls wohlwollend auslegen und interpretieren, aber bei der professionellen Ausgestaltung von mobiler Arbeit keinesfalls ignorieren. Das Schöne: Auch wenn es anfänglich nicht so schien, ist professionelles mobiles Arbeiten auch unter den heutigen rechtlichen Gegebenheiten möglich.

Peter: Neben den rechtlichen Aspekten geht es im Leitfaden auch um die vielfältigen organisatorischen Themen wie Fragen der Arbeitszeit bei mobiler Arbeit. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die sehr erfrischende Diskussion mit Gunnar Sohn zum Thema Arbeitszeit im Homeoffice. Was empfiehlst Du Unternehmen, um hier rechtlich korrekt zu agieren?
Stefan: Da ich meine Rechtsanwaltszulassung vor einigen Jahren zurückgegeben habe, muss ich mich mit juristischen Empfehlungen etwas zurückhalten. Aber aus meiner Sicht hilft es, auf den jeweiligen Schutzzweck der einzelnen Rechtsvorschriften zu fokussieren. Arbeitszeitregelungen dienen in erster Linie dem Schutz der Beschäftigten vor Überarbeitung. Eine auch heute noch mehr als legitime und sinnvolle Zielsetzung. Allerdings lässt es sich vermutlich nicht an einer starren Zeitgrenze festmachen, ob eine solche „Überarbeitung“ nach 7:45 Stunden oder 8:12 Stunden eintritt. Ebenfalls dürfte eine dem Biorhythmus angepasste nachmittägliche Pause und ein kurzes abendliches Weiterarbeiten (innerhalb des rechtlichen Gesamtarbeitszeit-Rahmens) eher förderlich sein, bezogen auf den eben genannten Schutzzweck. Was ich damit sagen will: Ein überwachungsartiges minutengenaues, möglicherweise sogar digitales Tracking, das zusätzlich massiven Druck auf die Beschäftigten ausüben würde, kann nicht die Lösung sein. Selbstredend muss aber auch klar sein, dass diese Flexibilisierung nicht zu einer 24/7-Verfügbarkeit ausarten darf.
Im Übrigen sollten wir uns bewusstwerden, dass auch bei einer Arbeit im Unternehmen keine dauerhafte Produktivität möglich ist. Stichwort: Kaffeeautomat, Austausch auf dem Flur usw. Die Lösung liegt also in einem Einhalten gesetzlich unabdingbarer Rahmenbedingungen einerseits und dem, was man „gesunder Menschenverstand“ oder auch Verständnis für „New Work“ andererseits nennen würde.

Peter: Interessant ist auch das vierte Kapitel des Leitfadens mit Aussagen zu Führung und Kommunikation, den psychosozialen und physiologischen Implikationen sowie Informationen zu spezifischen Remote-Führungs-Situationen. Ich vermute, dass in diesem Kapitel viele persönliche Erfahrungen eingeflossen sind. Könntest Du hier vielleicht einige Aspekte hervorheben, die aus Deiner Sicht besonders wichtig sind?
Stefan: Definitiv! Das hat mir gefühlt beim Schreiben am meisten Spaß gemacht. Denn schon alleine mal im Recruiting die Blickrichtung zu wechseln und sich zu fragen, wie denn „die Neuen“ mit einem rein virtuellen Auswahlverfahren und Onboarding zurechtkommen, hat viel bewirkt. Denn es geht letztlich um deutlich mehr als um fachliche Einarbeitungspläne und Prozesskenntnis. Und beim Thema Konflikt wird remote Führung erst so richtig spannend. Denn aufgrund der rein virtuellen Situation ist es deutlich herausfordernder für Führungskräfte überhaupt zu erkennen, dass sich ein Konflikt anbahnt oder schon besteht. Es ist eben sehr leicht bei einer Videokonferenz zu schweigen, vielleicht sogar mit ausgeschalteter Kamera, und sich anschließend abseits des unmittelbaren Einflussbereichs von Kolleginnen und Kollegen so eigene Gedanken zu machen – bis hin zum parallelen Bewerben bei einem anderen Unternehmen. Hierfür brauchen Führungskräfte bisher vielleicht weniger gut eingespielte oder geschulte Kompetenzen, die viel mit Empathie zu tun haben.

Peter: Gelungen sind auch die Ausführungen zur „Abwesenheit von der Tastatur“. Hier empfiehlst Du bei virtuellen Konferenzen Chat-Nachrichten mit dem Kürzel „afk“ für „away from keybord“ oder auch Status-Infos im gemeinsamen Kalender „abwesend“ bzw. mittels Ampel-Systemen. Wird dies in Deinem Umfeld so praktiziert?
Stefan: Ja. Wir haben schon seit einigen Jahren ein solches System auf Basis von Skype for Business. Das System gibt in Form einer Ampel einen Status aus, ob wir beispielsweise in einem Termin sind oder „nicht stören“ eingestellt haben (rot), gerade inaktiv sind (gelb) oder verfügbar/frei (grün). Das System habe ich als sehr hilfreich erlebt, wenn man damit professionell umgeht. Will heißen: Ist eine Unternehmenskultur in Punkto Remote Arbeit noch ungeübt, mag insbesondere der Status gelb „inaktiv“ zu allerlei Vermutungen Anlass geben. Dabei kann es zum Beispiel sein, dass einfach ein ungeplanter Anruf eines HR-Dienstleisters reinkommt und ich via Smartphone geschäftlich telefoniere und somit natürlich nicht „inaktiv“ bin. Da helfen nur saubere Vereinbarungen (auch unter Einbezug der Betriebspartner) und ein entsprechendes Mindset der Führungskräfte, um nicht die Aussagen der Tools als Maß aller Dinge zu sehen. Es mag banal klingen, aber viel miteinander zu sprechen, hilft enorm beim gegenseitigen Verständnis. Insbesondere in Remote-Situationen.

Peter: Im Moment ziemlich en vogue sind die sogenannten hybriden Arbeitsformen, auf die Du kurz im Abschnitt 4.5 eingegangen bist. Was ist hier wichtig?
Stefan: Aus meiner Sicht ist es leicht gesagt, dass hybrides Arbeiten die Zukunft ist. Das funktioniert dann gut, wenn es bedeutet, dass mal alle nur virtuell kommunizieren und zu einer anderen Zeit alle Vor-Ort arbeiten. In der Mehrzahl der Fälle wird hybrid aber bedeuten, dass zusätzlich zu einer Vor-Ort-Kommunikation Menschen remote angebunden werden und somit lediglich digital teilnehmen. In der Praxis bedeutet das die nicht zu unterschätzende Herausforderung, diese virtuell angebundenen Kolleginnen und Kollegen genauso sichtbar und sprechfähig zu machen, wie die Teilnehmenden vor Ort. Das geht aber nur, wenn sich vor Ort jemand dieser Personen (und dem Device, auf dem das Bild dieser Personen ausgegeben wird) annimmt und beispielsweise Kameras stetig neu ausrichtet, überprüft, dass die Verbindung noch steht und gegebenenfalls Wortbeiträge, die aufgrund der Internetverbindung nur sehr leise ankommen, entsprechend aufnimmt und verstärkt. Ich glaube, dass es hierfür noch ganz schön viel Übung braucht. Und Durchhaltevermögen, weil pauschale Ansagen wie „alle kommen rein“ natürlich deutlich leichter und vor allem schneller umzusetzen sind. Und da haben wir vom Thema „Karriere im Homeoffice?“ noch gar nicht gesprochen.

Peter: In vielen der aktuellen Diskussionen werden neue Arbeitsformen wie Homeoffice und mobile Arbeit mit New Work gleichgesetzt. Wie ist Deine Einschätzung dazu?
Stefan: Hier wiederhole ich mich bewusst immer wieder: Corona-bedingt am heimischen Küchentisch mobil ans Unternehmen angebunden zu arbeiten, hat nichts mit New Work zu tun. Ich überspitze hier bewusst, weil sich aufgrund dieser Gleichsetzung der letztlich deutlich höhere Anspruch an New Work buzzwordartig abnutzt. In Wahrheit muss man New Work natürlich deutlich ganzheitlicher denken und umsetzen. Dazu gehören neben Arbeitszeit und Ort beispielsweise auch das Mindset, Führungsmethoden (Stichwort: Enabling oder transformationale Führung hinzu), die Arbeitsausstattung, eine Anpassung der Unternehmenskultur, der Karrieremodelle, New Pay, persönliche Freiheiten und Spaß und vieles mehr. Insofern ist professionelles Arbeiten von unterwegs oder von Zuhause allenfalls ein Baustein. Vielleicht an dieser Stelle auch nochmal: Wir sollten diesen hohen Anspruch und die radikal andere Denkweise des New Work Ansatzes ebenfalls nicht für aller Arten von Jobs gleichermaßen als „must have“ postulieren. Mitarbeitende in Akkordarbeit an Fließbändern werden mit einer Vielzahl der oben genannten Themen nur schwerlich Anknüpfungspunkte finden. Ich plädiere also auch hier für einen stimmigen und sorgsameren Umgang mit dem Begriff und der Haltung zu New Work.

Peter: In den letzten Jahren ist das Angebot unter dem Label „Persoblogger“ ständig ausgebaut worden. Was hast Du in der Zukunft vor? Gibt es Dinge, die Du bereits heute ankündigen willst oder kannst?Stefan: Das siehst Du richtig Peter. Seit 2020 ist PERSOBLOGGER.DE mit dem Anspruch eines HR-Portals unterwegs. Einerseits bringt das viele Vorteile für die Nutzerinnen und Nutzer meiner Seite, weil sie dort umfassend informiert werden, dazu Studien und Infografiken herunterladen können, Weiterbildungen und HR-Events finden oder auch mal ihren neuen Job. Andererseits ist der Aufwand, den ich ja neben meinen fachlichen Führungsaufgaben bei der DATEV betreibe, damit auch größer oder zumindest komplexer. Vor allem was die zeitliche Koordination angeht. Manchmal bin ich schon geneigt, mich auf meine Kernleistungen, das Schreiben hochwertiger Artikel in einem Rhythmus von 1-3 Wochen, zu beschränken. Aber dann erreicht mich wieder so wunderbar motivierendes Feedback, dass ich weitermache und angespornt werde. Um es kurz zu machen: Ideen habe ich viele. Aber wie in meinem Buch beschrieben, gehört Selbstmanagement und Selbstfürsorge in der heutigen Zeit als wichtige Kompetenz ins Portfolio der Führungskräfte. Insofern lasst Euch gerne überraschen, was da noch alles kommen mag.

Peter: Dies klingt spannend! Ganz herzlichen Dank für das tolle Gespräch. Ich wünsche Dir bzw. damit dem Persoblogger weiterhin so viele Erfolge und eine anhaltend positive Resonanz in der HR-Community.
Stefan: Herzlichen Dank für Dein Interesse und danke auch an alle, die bis hierhin gelesen haben!

Zu meinem Gesprächspartner: Stefan ist Gründer von PERSOBLOGGER.DE, einem der bekanntesten deutschsprachigen Online-Portale für HR-Praktiker. Die Plattform bietet aktuelle Fachinformationen, Studien und Infografiken zum Download, einen Eventkalender sowie eine Jobbörse. Hinzu kommen Übersichten rund um die HR-Szene (Blogs, Podcasts) sowie die Präsentation spannende HR-Startups. Im Hauptberuf ist Stefan Scheller verantwortlich für die Arbeitgeberkommunikation der DATEV eG in Nürnberg und gestaltet dadurch die Unternehmenskultur aktiv mit. Er ist mehrfacher Buchautor, HR-Influencer und Keynote Speaker.

1 Kommentar:

  1. Ganz herzlichen Dank lieber Peter für das Interview und Dein Interesse an meinen Aktivitäten!

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