Montag, 9. August 2021

Ein Evergreen betrieblicher Personalarbeit - Der Umgang mit Arbeitszeit - Gespräch mit dem Arbeitszeitexperten Guido Zander

Guido Zander ist ein gern gesehener Gast bei Diskussionen zum Thema Arbeitszeitmanagement. Seine Ideen und Herangehensweisen finden nahezu überall offene Ohren. Im zurückliegenden Semester konnte ich ihn für einen Input im Rahmen einer Vorlesung mit Studierenden im Schwerpunkt HR gewinnen. Hier ist es ihm sehr gut gelungen, die Studierenden für aktuelle Fragen des Umgangs mit Arbeitszeit nachhaltig zu sensibilisieren. Im letzten Jahr sprach mich Guido Zander an, ob ich nicht ein Vorwort zu einem Buch über modernes Arbeitszeit- und Workforce Management schreiben möchte. Bei Anfragen dieser Art zögere ich immer etwas, habe aber dann nach einer kurzen Diskussion zu Anliegen, zur Struktur und zu den Inhalten des Buches gern zugesagt. 

Nicht zuletzt deshalb, weil das Thema Arbeitszeit für mich ein Evergreen betrieblicher Personalarbeit mit vielen ungelösten Fragen ist. Dies betrifft sowohl die mMn viel zu wenig genutzten Gestaltungsmöglichkeiten als auch die ständig wiederkehrenden Konfliktpotenziale in den Unternehmen und Organisationen. Dabei bin ich mir sicher, dass bislang - insbesondere bei gewerblichen Mitarbeitenden - nur ein kleiner Teil der Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit genutzt werden. „Altbewährte“ Handlungsmuster stehen dabei oftmals einer spürbaren Flexibilisierung der Arbeitszeit im Weg. Ich freue mich daher sehr, dass ich hier mit Guido Zander zum Buch aber auch zu den Potenzialen einer modernen Arbeitszeitgestaltung diskutieren kann.

Wald: Lieber Herr Zander, ich freue mich, dass ich mit Ihnen über die Fragen einer modernen Arbeitszeitgestaltung und Personaleinsatzplanung sprechen kann. Bereits vorab herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Zander: Sehr gerne, ich freue mich hier zu sein!

Wald: Vornweg eine Frage, die mich seit geraumer Zeit bewegt. Wie sind Sie persönlich zum Thema Arbeitszeitmanagement gekommen?
Zander: Das war eher zufällig. Ich hatte Wirtschaftsinformatik studiert und suchte nach einem Job, bei dem ich mein Know-how aus IT und BWL gleichermaßen einbringen konnte. Und dann habe ich mich auf einen Job beworben, bei dem es darum ging, ein Zeiterfassung- und Personaleinsatzplanungssystem bei Kunden zu installieren, zu customizen und zu schulen. Das war der erste Kontakt zu Arbeitszeit. Später war ich dann Bereichsleiter des Beratungsbereichs und Mitglied des Managements dieses Softwarehauses und habe gemerkt, dass sich viele Unternehmen dem Thema Flexibilisierung über den Kauf einer Software genähert haben. Bei der Einführung war dann aber nichts klar. Keiner wusste, wie man planen möchte, oft gab es noch nicht mal eine Betriebsvereinbarung, die eine flexible Planung ermöglichte. Daraufhin hatten mein Kollege Dr. Burkhard Scherf und ich uns umgesehen und gemerkt, dass es außerhalb der Softwarebranche niemanden mit diesem spezifischen Know-how gab, der das unabhängig beraten kann. Das hat dann schließlich 2004 zur Gründung der SSZ Beratung geführt.

Wald: Ist das Thema Arbeitszeit auf Dauer nicht sehr aufreibend?
Zander: Ja, in der Tat, Projekte zur Veränderung von Arbeitszeit sind aus Change Management-Sicht Champions League, weil letztendlich jeder einzelne Mitarbeitende betroffen ist und sehr individuell auf das Thema blickt. Auf der anderen Seite bietet das Thema die Möglichkeit die Lebenssituation bzw. die Work-Life-Balance der Beschäftigten nachhaltig zu verbessern und gleichzeitig Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen. Mit welchem anderen Thema kann man das sonst noch erreichen? Und in letzter Zeit nimmt auch die Offenheit zu, neue Wege zu gehen. Das macht richtig Spaß.

Wald: Woran liegt es aus Ihrer Sicht, dass sich viele Unternehmen schwer damit tun, ein modernes Arbeitszeitmanagement zu praktizieren? Liegt es daran - wie es oft kolportiert wird - dass die Mitarbeitervertretungen hier nicht „mitspielen“?
Zander: Das wäre etwas zu einfach gegriffen. Letztendlich erleben wir zuweilen Blockaden von allen Stakeholdern. Vom Top-Management, das sich schwer tut von veralteten Führungs- und Menschenbildern abzurücken, den Führungskräften, die Angst vor Kontrollverlust haben und den Mitarbeitenden, die ihr gesamtes Privatleben um das aktuell existierende Arbeitszeitmodell organisiert haben und schon allein deshalb erst einmal keine Veränderung wünschen, selbst wenn das neue Modell viele andere Vorteile hätte. Und ja, natürlich gibt es dann auch Betriebsräte, die sehr am Status Quo hängen oder sich schwertun, neue Wege zu beschreiten. Es wäre aber falsch, das nur an den Betriebsräten festzumachen. Im Gegenteil mittlerweile kommen zunehmend Betriebsräte auf uns zu, weil sie sich modernere Arbeitszeitmodelle für ihr Unternehmen wünschen.

Wald: Wie können aus Ihrer Sicht, Führungskräfte zu einer höheren Akzeptanz moderner Lösungen zur Arbeitszeit bewegt werden?
Zander: Indem man die Lösungsansätze jenseits des Status Quo klar aufzeigt. In vielen Fällen kennen die Führungskräfte nur die vorherrschenden Modelle wie Gleitzeit oder simple Schichtpläne. Die aktuell weit verbreiteten Arbeitszeitmodelle haben einen großen Vorteil: sie sind einfach zu verwalten. Einen einfachen Schichtplan kann man in ein Zeiterfassungssystem hinterlegen oder per Excel administrieren. Und alle komplexeren Modelle werden erst gar nicht in Betracht gezogen, weil man die vermeintlich nicht administrieren kann. Die meisten wissen gar nicht, dass es mittlerweile Softwaresysteme für Personaleinsatzplanung gibt, die die Verwaltung komplexerer Modelle ermöglichen. Wenn man dann die Lösungs- und Umsetzungsmöglichkeiten zeigt, dann nimmt auch die Offenheit dafür zu. Hilfreich ist auch der Start mit einem Pilotbereich, in dem man zeigen kann, dass es wirklich funktioniert. Dann kommen in der Regel die anderen Bereiche und wollen das auch haben.

Wald: Jetzt haben wir bislang nur über das Thema Arbeitszeit gesprochen. Wie steht es um die Verbindung zur Personalplanung bzw. dem sogenannten Workforce Management.
Zander: Workforce Management besteht aus den Themen Personalbedarfsermittlung, Personaleinsatzplanung, Disposition, Zeitwirtschaft und Controlling. Man muss sich das als Kreislauf vorstellen. Man ermittelt und prognostiziert einen Bedarf. Gegen diesen Bedarf werden dann die Mitarbeitenden im Rahmen ihres Arbeitszeitmodells und der Qualifikation verplant. In der Disposition wird kurzfristig auf Änderungen wie z.B. kurzfristige Bedarfsschwankungen und Krankmeldungen reagiert. Das Ist wird dann in der Zeitwirtschaft erfasst und im Controlling wertet man aus, inwieweit die Bedarfsprognose und die Personaleinsatzplanung gut oder schlecht war, um daraus zu lernen und es in der Zukunft besser zu machen.

Wald: Im Buch beschreiben Sie das sogenannte New Workforce-Management? Was ist daran neu?
Zander: Klassisches Workforce Management hatte lange Zeit nur die Wirtschaftlichkeit im Blick, letztendlich ging es darum, die Mitarbeitenden möglichst effektiv einzusetzen, um Überstunden oder Leerzeiten zu reduzieren. Die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeitenden spielten nur eine untergeordnete Rolle. Die wurden unter Wahrung bestimmter Regeln mehr oder weniger zentral verplant. NEW WORKforce Mangement ist eine Mischung aus New Work und Workforce Management. New Work allerdings nicht verstanden als Bällebad und alle können machen was sie wollen, sondern als das was Frithjof Bergmann gemeint hat: Eigenverantwortung, Selbstorganisation und Freiheit. In Bezug auf das Thema Arbeitszeit heißt das, dass Mitarbeitende mehr Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Arbeitszeit bekommen sollen. Dies allerdings eingebettet in den betrieblichen Kontext des Workforce Management, bei dem die betriebliche Bedarfsdeckung, die Erfüllung der Kundenwünsche und die Einhaltung von Liefer- und Reaktionsfristen eine Rolle spielen. Bei NEW WORKforce Management geht es nicht mehr um das eine Arbeitszeitmodell, sondern um einen Werkzeugkasten, mit dem für die individuellen Bedürfnisse eines Unternehmens ein Arbeitszeitsystem aus unterschiedlichsten Arbeitszeitmodellen entwickelt wird. Bausteine sind unterschiedliche Arbeitszeitmodelle für Voll- und Teilzeit mit unterschiedlichen Flexibilitätsgraden, die je nach Lebensphase gewählt werden können, ergänzt ggf. um ein Lebensarbeitszeitkonto. Dazu kommen unterschiedliche Prozesse zur Personaleinsatzplanung, von der flexiblen Schichtplanung über Wunschdienstpläne bis hin zur Gruppenarbeit, in dem die Planung anhand vorgegebener Bedarfe weitgehend selbstorganisiert durch die Mitarbeitenden passiert. Und letztendlich spielt natürlich auch der Arbeitsort eine Rolle, d.h. inwieweit ist zur Erfüllung der einzelnen Tätigkeiten Präsenz notwendig. Dieser Ansatz ist im Übrigen sehr detailliert in unserem Buch beschrieben, das Sie vorhin erwähnt haben.

Wald: Eine wichtige Frage zum Abschluss. Was sollte ich meinen Studierenden zum Thema Arbeitszeit mitgeben? Welche Themen werden in Zukunft bedeutsam sein? Sind hier neue Entwicklungen absehbar 
Zander: Wir werden erleben, dass auch hier die Digitalisierung in Form eines Enablers eine immer größere Rolle spielen wird. Durch BigData-Analysen wird es immer besser möglich Kundenverhalten und damit auch anfallende Bedarfe zu prognostizieren und mit steigender Prognosesicherheit kann man den Mitarbeitenden auch mehr Planungssicherheit in der Arbeitszeit geben. Über Apps und dezentrale Kommunikation wird die eigenverantwortliche Planung und damit der Einfluss auf die eigene Arbeitszeit immer besser möglich werden. D.h. zur Organisation muss man nicht in Präsenz gleichzeitig vor einem Board stehen, sondern man kann sich asynchron von zu Hause abstimmen. Und die Themen Planungssicherheit und Einfluss auf die eigene Arbeitszeit bzw. innovative Arbeitszeitmodelle werden zukünftig eine immer größere Rolle spielen, wenn es um Arbeitgeberattraktivität und das Halten bzw. Recruiting von Beschäftigten geht. Basis für attraktive Arbeitszeitsysteme ist aber auch, dass sich Unternehmenskulturen weg vom Misstrauen gegenüber den Mitarbeitenden hin zu mehr Vertrauen bewegen. Das ist in einigen Unternehmen noch ein weiter Weg.

Wald: Vielen Dank für unser Gespräch und für Ihre Geduld, meine teils sehr langen Fragen zu beantworten. Ich wünsche Ihnen weiterhin viele Erfolge und vor allem aufgeschlossene Klienten.
Zander: Vielen Dank für die guten Fragen, es war wie immer sehr angenehm.

Mein Gesprächspartner Guido Zander hat Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg studiert und ist seit 2005 geschäftsführender Partner der SSZ Beratung. Seit über zwei Jahrzehnten berät er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf Unternehmen und Organisationen verschiedener Größen und Branchen zu Fragen des Umgangs mit Arbeitszeit und der Personalplanung. Er gilt deutschlandweit als einer der führenden Experten auf dem Gebiet Arbeitszeitmanagement. Sein Buch „NewWorkforce Management – Arbeitszeit human, wirtschaftlich und kundenorientiert gestalten“, das er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf geschrieben hat, ist im April diesen Jahres erschienen und ist regelmäßig in den Top 100-Büchern des Personalmanagements zu finden. Auf Amazon wurde es in einer Rezension u.a. als „das beste Buch im deutschsprachigen Raum“ zum Thema Arbeitszeit bezeichnet.






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