Im Sommer ist für mich Wissen tanken angesagt. In diesem Jahr ging es los mit der #truDüsseldorf einer HR unconference bei Flexbase in Düsseldorf.
Bei dieser unconference handelt es sich um ein internationales Format zum Erfahrungsaustausch, das von Bill Boorman & Aki Kakko ins Leben gerufen wurde und sich in den letzten Jahren international etablieren konnte. Boorman und Kakko spielen - abgesehen von einigen zugespitzten Einwürfen Boormans - vor allem eine Rolle als Frameworker oder Facilitatoren, weniger als Inputgeber. Dieser Input wird hauptsächlich von den Teilnehmern erwartet, weil die tru-unconferences weitgehend informell gestaltet sind. Den Teilnehmern soll auf diese Weise ein direkter Austausch untereinander ermöglicht werden. Inhaltlich geht es in erster Linie um Recruiting- und allgemeine Trends im HRM. Weitere Infos dazu sind bei metaHR zu finden. Diese Art "unconference" kannte ich bisher unter dem Begriff BarCamp - ein großer Unterschied besteht darin, dass hier zu Beginn nicht gepitcht wird. Themen und Session-Leader werden bereits im Vorfeld festgelegt. Dies ist m. E. schade, weil der Wettbewerb zwischen den Input-Gebern im Pitching zu Beginn eines BarCamps immer sehr interessant ist und hier neben Konkurrenz ganz schnell auch Zusammenarbeit entsteht. Mit den folgenden Zeilen möchte ich nicht in Konkurrenz zum umfassenden LIVE-Bericht von Sven-Olaf Peeck (Leseempfehlung !) treten, in dem viele Details und Aussagen zu finden sind, die ich hier nicht verarbeitet habe.
Doch nun zu meinen Eindrücken von der HR "unconference" am 8. Juli 2013 in Düsseldorf: Interessanter Opener von Boorman: Was interessiert Bewerber am meisten? Ein Blick auf den zukünftigen Arbeitsplatz und danach der Blick aus dem Fenster (Am Rande: Dies dürfte bestimmt somewhere freuen). Auch ein neues Wort habe ich von ihm gelernt - der pactive (passive/active) candidate. Ganz cool ging es dann weiter mit der ersten Session mit dem Titel "Cool new tools in recruitment you should´t live without". Bei diesem Thema konnten sich die erfahrenen Recruiter so richtig austoben und kurz die bevorzugten Tools vorstellen (u. a. Bullhorn Reach, StackOverflow). Weiter ging es mit Aussagen zur Nutzung von Netzwerken bei der Rekrutierung. Hier gibt es Probleme, weil die Netzwerke offensichtlich in den USA und U.K von den Recruitern überrannt werden ("overpopulated"). Dies mag dort der Fall sein - hier in Deutschland wird dies für die nächste Zeit nicht erwartet. Sehr breiten Raum nahm dann die Diskussion zu rechtlichen Implikationen des Umgangs mit Bewerber-Informationen ein. Weiter ging es mit Aussagen zu Tendenzen beim Recruiting unter dem Motto "Alles Data oder was?". Bislang müssen viele Unternehmen bei Fragen nach den Sources of Hires oder zu den Costs per Hire passen. Offensichtlich werden diese Information zur Leistungsfähigkeit des Recruitings vielerorts nicht als sehr wichtig erachtet. Mit den "Big Data" soll sich dies ändern. Hier darf ich leise Zweifel anmelden, vieles wird dadurch leichter zu erklären oder zu begründen sein, aber aus Daten müssen immer Handlungen entstehen. Dies bedarf einer entsprechenden Umsetzung bzw. Führung. Interessant auch ein Statement Boormans zur Nutzung dieser Daten. Sie bewirken aus seiner Sicht, dass es in Zukunft keinen Bedarf an Recruiting-Interviews mehr geben wird, weil aufgrund der vorhandenen Daten (inkl. Empfehlungen, Checks der Bewerber) sowieso alles klar sein dürfte.
Meine Meinung zum Thema "Individual vs, digital judgement on applicants": Daten sind hilfreich, sie werden zu einer deutlichen Professionalisierung des Recruitings beitragen. Alles wird sich mit ihnen jedoch nicht erklären lassen. Beispiel: Der Cultural fit von Bewerbern ist damit nur teilweise feststellbar. Deshalb wird es auch in Zukunft Interviews geben müssen, v. a. um die jeweilige Person hinter den "vielen" Daten zu erkennen. Insbesondere bei Positionen für Festangestellte mit anspruchsvollen Fach- und Führungsaufgaben ist dies m. E. unverzichtbar.
Über die nächste Aussage von Boorman, dass “Jobs verschwinden und durch Projekte ersetzt werden … in 18 Monaten wird es Jobs sowieso nicht mehr geben" muss man sich streiten. Ich zweifle dies entschieden an (Stichwort: Projekt Liquid bei IBM).
Zum folgenden Thema "Kein Fremdschämen. Was machen gute Recruiting Videos aus?" kann wirklich jeder von negativen Beispielen berichten. Hier sollte aber darüber diskutiert werden, was und wie es besser gemacht werden kann. Bei der oft anzutreffenden Kritik an den Rap-/Tanz- und anderen Videos scheint dies jedoch leichter gesagt als getan. Das Buzz-Word ist hier Authentizität. Diese ist nicht zu erreichen mittels Nutzung von Handy-Cams und Krawatten-losen Auftritten. Etwas Misstrauen ist angesagt. Wichtig scheint die Story und eine klare Orientierung an der Zielgruppe zu sein. Hinzu kommt die Einbettung des Videos in die gesamte Kommunikation des Unternehmens, denn mit einem "gut gemachten" Recruiting-Video wird die Kommunikation oder der Dialog mit dem Interessenten eröffnet.
Was ist nun ein gutes Recruiting-Video? Payam Parniani (Danke!) - der Session Leader - hat das gut zusammengefasst: Sie sind einzigartig, anders, sympathisch, spannend, machen Lust auf mehr, erzählen Geschichten und sorgen dafür, dass man sich mit dem Arbeitgeber identifizieren kann und bleiben dabei authentisch. Wichtig ist, dass die Unternehmen wirklich wissen, wofür sie als Arbeitgeber stehen oder worin eigentlich ihre Employer Brand besteht. Die Erkenntnis, dass Videos einen Baustein im Abgleich der Erwartungen des Bewerbers an den Job darstellen, kann nicht oft genug wiederholt werden. Diskussionen zum Thema Recruting Video sind wichtig, weil hier vieles richtig und falsch gemacht werden kann. Unternehmen müssen sich fragen, was sie über sich berichten können. Hier gibt es häufig mehr Berichtenswertes als angenommen wird.
Anschließend ging es um die folgende Frage: “Wie kriege ich Bewerbungsgespräche bei meinen Wunschkandidaten”. Bei den offensichtlichen Rekrutierungs-Problemen der vielen Hidden Champions aus dem Mittelstand ein wichtiges Thema. Mit Bewerbern sollte aktiv umgegangen werden, damit Inhalte und Rahmenbedingungen der zu besetzenden Stelle deutlich werden. Interessant die Erfahrung, dass Bewerber ja oft Familien haben, die auch "rekrutiert" werden können. Im Weiteren wurde über den Nutzen von Mitarbeiterempfehlungen diskutiert. Hier scheinen nicht nur die monetären Anreize gefragt zu sein, sondern es geht hier auch um Erinnerungen und Emotionen der "Mitarbeiter-Botschafter". Als gutes Mittel haben sich Reisen als Incentive herausgestellt. Interessant!
Beim Thema "Recruitment through job ads vs. Headhunting" wurde weniger über das klassische Headhunting als über Möglichkeiten und rechtliche Grenzen des Active Sourcings gesprochen. Interessant sind die kulturellen Unterschiede. Deutsche scheinen ihre Stellenanzeigen zu lieben - auch für Führungspositionen. Dies ist z. B. in den USA ganz anders. Hier wird erwartet, dass der Personalberater anruft.
Die letzte Session an der ich teilnehmen konnte stand unter der Überschrift "Mobile Recruiting". Der Session Leader (und Gastgeber) Tim Oliver Pröhm präsentierte dieses Thema mit eigenem Input. Dabei verarbeitete er Erfahrungen aus aktuellen Projekten bei Flexbase. Diese zielen auf direkte Interaktion mit den Bewerbern, um mit ihnen möglichst rasch ins Gespräch zu kommen. Dabei finden QR-Codes und die Bewerberansprache mittels SMS Anwendung (als "first point of contact"). Interessante und nachvollziehbare Ausführungen, die die m. E. beginnenden massiven Änderungen der Rekrutierungsprozesse und die Akzeptanzdefizite in den Unternehmen thematisierten. Eine schöne Video-Zusammenfassung zu truDüsseldorf findet sich im Wollmilchsau-Blog.
Bei vielen Statements der Teilnehmer zu den "weichen"Aspekten des Recruitings wie Wertschätzung, Kultur und Umgang mit Erwartungen von Mitarbeitern und Führungskräften fühlte ich mich an Diskussionen aus meiner Zeit als Personalleiter erinnert. Damit will ich nicht in Erinnerungen schwelgen, sondern stelle fest, dass sich bei den Herausforderungen an Personaler nicht allzu viel geändert hat. Was auch auffällt und von den Teilnehmern beklagt wurde, ist die Ignoranz vieler Personaler, was die Nutzung der Social Media angeht. Da braucht sich m. E. niemand zu wundern, wenn es bei der Akzeptanz von Social Media in den Unternehmen noch beträchtlichen Nachholbedarf gibt.
Mein Fazit: Alles in allem eine interessante Veranstaltung mit einigen Impulsen, jedoch ohne das ganz große AHA-Erlebnis. Ein herzlicher Dank an Bill Boorman & Aki Kakko und den freundlichen Gastgeber Pröhm von Flexbase. Schließen will ich mit einem Zitat von Boorman (Tweet von Stefankai Spoerlein - Danke!) "It's never been easier to find people and never been harder to recruit them." Recht hat er!
Interessante Links zu #truDusseldorf
Flexbase-Blog - Der Gastgeber bloggt
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