Dienstag, 6. Oktober 2020

Das Rauschen im Blätterwald - Erste Gesamteinschätzungen zum Thema "Homeoffice"

Nicht nur der virtuelle, sondern auch der Print-Blätterwald rauscht derzeit stark zum Thema „Homeoffice“. Bevor die nächste Diskussionswelle zum Rechtsanspruch auf Arbeit im Homeoffice alles andere überdeckt, hier ein Blick auf erste Gesamtbeurteilungen zum Thema Homeoffice. Dabei fällt auf, dass zunehmend auch kritische Stimmen zu vernehmen sind, die die bislang nahezu vorbehaltlose Zustimmung zum Homeoffice relativieren. So weisen Scherm und Ganser mit Nachdruck auf die Gefahren virtuell-hybrider Zusammenarbeit für altersgemischte Teams hin und Zacher gibt im Spiegel unter der Überschrift „Einige macht es krank, andere glücklich“ Hinweise zu den Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren mobiler Arbeit. Zu diesen Faktoren zählt er die jeweilige Persönlichkeit, Art der Tätigkeit, Unterstützung durch den Arbeitgeber aber auch die Fähigkeit zur Selbstorganisation und der persönliche Bedarf an „sozialen Taktgebern“. Insbesondere zum letzten Punkt werde ich weiter recherchieren.

Mittlerweile ist das Thema „Homeoffice“ auch in den großen Printmedien angekommen. So in einem umfangreichen Beitrag im Handelsblatt unter der schönen Überschrift „Revolution der Arbeitswelt“, der gleich mit den durchaus beeindruckenden Zahlen zum Homeoffice glänzt (34% der Mitarbeiter waren ganz oder teilweise im Homeoffice tätig). Auch die Aussage von Stefan Rief (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation), dass die „Coronakrise ... die Digitalisierung unserer Zusammenarbeit um mindestens 15 Jahre nach vorn gebracht“ hat, wird zitiert. Es folgt in diesem Beitrag eine interessante Abrechnung mit dem Homeoffice in vier Kapiteln. Zwei mMn wichtige und durchaus ernst zu nehmende Argumente wurden dieser Abrechnung vorangestellt. Erstens: Die Erfahrungen mit Homeoffice sind so (überwiegend) positiv, weil sie in einer Ausnahmesituation entstanden sind. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser „Homeoffice-Honeymoon“ nicht so einfach fortschreiben lässt. Zweitens: Die Tatsache, dass die im Homeoffice offensichtlich genutzten Arbeitsbeziehungen (häufig) auf stabilen Strukturen basieren, die sich zuvor im klassischen Büro, d.h. nicht-virtuell, entwickelt haben.  

Kapitel 1 - Die neue (Zusammen-)Arbeit: Homeoffice wird widersprüchlich gesehen. Einerseits zeigen sich hier die ersten Züge neuer Arbeit. Mitarbeiter sind häufig produktiver und fokussierter tätig und agieren autonomer. Andererseits vermissen sie aber Feedback, Wertschätzung und den zwischenmenschlichen Kontakt, wobei in erster Linie eine neue Führung im Homeoffice adressiert wird. Deutlich wird, dass künftig hybride Lösungen mit einem Arbeits-Mix zwischen Office und Zuhause angesagt sind. Mitarbeiter können zu Hause konzentriert arbeiten. Für Innovationen und Kreativität jedoch geht es ins Büro – auch mit zufälligen Treffen in Kantine und Kaffeeküche. 
 
Kapitel 2 – Wirtschaftliche Effekte des Homeoffice für die Unternehmen: Die Arbeit zu Hause birgt beträchtliche Sparpotenziale für die Unternehmen. Es sind weit weniger Büroflächen als bisher nötig. Erwähnt wird ein Unternehmen, das rund 40 Prozent der immobilienkosten sparen könnte. Hinzu kommen Wachstumspotenziale, die sich aufgrund der Vergrößerung des regionalen Bewerberpools ergeben. Unternehmen dürfte es mit Homeoffice-Lösungen leichter fallen, Talente in den Regionen außerhalb der Großstädte zu erreichen. Wichtig ist es aber, die Bindung der Mitarbeitenden bei virtueller Zusammenarbeit im Auge zu behalten. 

Kapitel 3 – Volkswirtschaftliche Effekte: Für den zitierten Experten Weber (IAB) ist ein zusätzliches Homeoffice-bedingtes Wachstum des Bruttoinlandprodukts möglich. Er verweist in diesem Zusammenhang auf vier Faktoren. Erstens: Mitarbeiter könnten produktiver sein. Zweitens: Funktioniert mobile Arbeit gut und sind die Beschäftigten zufrieden, werden viele länger arbeiten. Drittens: Möglichkeiten zu mobiler Arbeit wirken positiv auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Viertens: Weitere Wachstumspotenziale ergeben sich aus dem besseren Matching auf dem Arbeitsmarkt, weil die Suche nach Fachkräften nicht mehr lokal begrenzt ist. 

Kapitel 4 – Konflikte zwischen Mitarbeitenden, bei denen Homeoffice möglich ist und denjenigen, wo dies nicht möglich ist. In den Unternehmen zeigt sich dies in Konflikten zwischen den Ortsgebundenen und den räumlich flexiblen Mitarbeitenden. Es liegt auf der Hand, dass Millionen von Beschäftigten auch künftig in die Firmen kommen müssen. Dabei handelt es sich in erster Linie um diejenigen mit höheren Bildungsabschlüssen und höheren Entgelten. Den Unternehmen sollten überlegen, wie sie hier für einen Ausgleich insbesondere im Rahmen einer durchaus möglichen zeitlichen Flexibilisierung schaffen können. Ansonsten droht eine Spaltung innerhalb der Belegschaften. 

Zum Teil die gleichen aber auch andere Facetten der Thematik „Homeoffice“ beleuchtet Ted Bauer in seinem Blogpost „The work-from-home hybrid model ye seek“ ein. Er geht davon aus, dass sich viele gar nicht vorstellen können, dass alle Mitarbeiter wieder voll ins Büro zurückkehren. Dies ist aus seiner Sicht auch ein Grund dafür, dass in den letzten Monaten so häufig über bereits oben genannten Hybrid-Modelle diskutiert wurde. Für Bauer stehen derzeit vor allem folgende Themen im Mittelpunkt. 

Das Büro
Hier stehen laufende Mietverträge, Bürostandorte, die Auswirkungen auf den Immobilienmarkt aber auch das Thema, wie sie mittels Büros, Teams zusammenhalten können, im Blickpunkt.

Die Mittleren Führungskräfte
Diese haben sich offensichtlich „mit acht Stunden Zoom- und Skype-Anrufen pro Tag“ arrangiert, aber sie können nichts für das Coaching, Mentoring, Anleitung, Entwicklung ihrer Mitarbeiter ausrichten. Sie tun vieles "um den Laden am Laufen zu halten“, kümmern sich jedoch weniger um die Ängste und Sorgen ihrer Mitarbeiter. 

Die Mitarbeiter
Mitarbeiter wollen zur Zeit einfach nur wissen, was die Zukunft bringt, wie es mit ihrer Arbeit weiter geht.

Die „anderen“ Mitarbeiter (oder die Nicht-Homeoffice-Mitarbeiter)
Die meisten Arbeiter können aus Sicht von Bauer sowieso nicht mobil oder von zu Hause aus arbeiten, weil sie im Handel oder im Dienstleistungssektor tätig sind oder etwas Körperliches tun.

Der zentrale Punkt für all diejenigen, die von zu Hause aus arbeiten können
Hier geht es um die Wirkungen der spontanen Interaktionen, die Büros nun einmal bieten, und die Möglichkeit, Freunde bei der Arbeit physisch zu treffen. 

Bauer zählt die vorliegenden Forschungsergebnisse auf: Zur Produktivität mobiler Arbeit (gut), weniger Pendelei (gut), Sie sehen Ihren Hund/Ihr Kind mehr (gut/schlecht), Sie tragen gerne den ganzen Tag Jogginghosen (gut/schlecht), und Sie gewöhnen sich langsam an die Arbeit von Zuhause - abzüglich der sogenannten "Zoom-Müdigkeit" ein. Viele wollen außerdem nicht gern zurück ins Büro, weil sie aufgrund der Infektionsmöglichkeit nicht wirklich krank werden wollen. 

Was Mitarbeiter aus seiner Sicht offensichtlich brauchen, sind Schübe unstrukturierter Interaktion, gefolgt von Stunden ruhiger Zeit zum Erledigen der Aufgaben - Zeit, die oft produktiver ist, wenn sie außerhalb des Büros verbracht werden. Die optimale Kombination von mobiler Arbeit und der Arbeit vor Ort zu finden, wird von Unternehmen zu Unternehmen, von Job zu Job und von Person zu Person unterschiedlich sein. Dabei geht es um die  sogenannten Hybridmodelle: Menschen sicher und auf Distanz zu halten, sie aber auch zusammenzubringen, um Interaktionen und "Brainstorming" zu ermöglichen. 

Bauer schlägt hierzu vor, jeden Freitag bei Zoom eine Lotterie durchzuführen, bei der die Leute Zahlen oder Buchstaben ziehen ... und dann werden diese Buchstaben an die Tage gebunden, an denen Sie nächste Woche kommen. Dies gibt den Menschen eine Mischung aus zu Hause und im Büro, und die Teams und Leute, die zusammenkommen, sind vielleicht zufällig genug, dass Innovationsschübe siloübergreifend entstehen könnten.

Dabei gibt es bestimmt Führungskräfte, die wollen, dass ihr gesamtes Team an einem Tag physisch anwesend ist. Verständlich auch vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse, dass die Mitarbeiter im Büro deutlich mehr befördert werden. Bauer würde eine 1/2/3- oder A/B/C-Teams in Bezug auf die Rotation der Mitarbeiter wieder einführen, wobei Distanz und zufällige Verbindungen hergestellt und Erfahrungen ausgetauscht werden können. Weiterhin ist zu versuchen, Zoom-Anrufe auf 3, maximal 4 pro Tag zu begrenzen. 

Die Nutzung von Third Places/Co-Working Spaces stellen aus seiner Sicht eine gute Option für Unternehmen dar, die kein großes Gebäude in der Innenstadt kaufen wollen. Hier können interagieren, aber auch auf Distanz. Es ist sinnvoll und löst einige Probleme des "Hybridmodells" mit viel geringeren Kosten.

Andere Aspekte mit Bezug zum Homeoffice werden in einem aktuellen Beitrag in BrandEins unter der Überschrift "Bin ich gut genug?" beleuchtet. Hier geht es um die Bewertung von Leistungen der Mitarbeitenden, die mobil bzw. im Home-Office tätig sind. Eine Frage, die derzeit, gerade von Führungskräften häufig angesprochen wird. Wie gehen insbesondere die Kontrollfreaks unter den Führungskräften mit der gegenwärtigen Situation um? Wie stark ist das Vertrauen zwischen den Mitarbeitenden und Führungskräften ausgeprägt? Wird ggf. der Einsatz von Überwachungsprogrammen erwogen? Im Beitrag wird von Panikkäufen dieser Lösungen zu Beginn der Pandemie berichtet. Offensichtlich wollen Mitarbeiter Leistungseinschätzungen. Die Frage ist hier, inwieweit der Einsatz technischer Hilfsmittel zur gegenseitigen Beurteilung von Mitarbeitenden sinnvoll ist. Aber auch welche Rolle die Möglichkeiten zum informellen Austausch bei dieser gegenseitigen Beurteilung spielen kann. Derzeit werden hier auch bereits Algorithmen bzw. entsprechender Lösungen zur Überwachung und zur Verhaltens- und Leistungsanalyse eingesetzt. Es ist anzunehmen, dass die Verantwortlichen der Versuchung diese einzusetzen nicht widerstehen können.

Alles in allem. Es bleibt weiterhin spannend.





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