Dienstag, 20. Oktober 2020

Warum überhaupt Agilität im Personalmanagement? - Gespräch mit Andé Häusling von HR Pioneers

Vom 30. September bis zum 1. Oktober 2020 habe ich auf Anregung eines guten Bekannten und langjährigen Unterstützers meiner HR-Events, Jess Koch, an der Agile HR Conference 2020 teilgenommen. Ein durchweg beeindruckendes Event aus dem ich eine Menge Impulse für meine Arbeit mitgenommen habe. Offen gesagt habe ich bislang zwar das Thema agiles Personalmanagement bei Vorlesungen für Masterstudierende berücksichtigt, aber in meinem Blog finden sich dazu recht wenige Informationen. Dies will ich gerade nach dieser Konferenz ändern und freue mich deshalb heute ein Gespräch mit André Häusling von HR Pioneers führen zu können. André Häusling ist ein ausgewiesener Pionier auf dem Gebiet agiles Personalmanagement und Veranstalter der erwähnten Konferenz, die mittlerweile seit 2012 stattfindet. Aber genug der einleitenden Worte, hier folgt das Interview. 

Wald: Bereits an dieser Stelle herzlichen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. 

Häusling: Sehr gerne. Vielen Dank für die Möglichkeit.

 

Wald: Bislang finden sich nur wenige Informationen zum agilen Personalmanagement in meinem Blog. Warum sollte oder muss sich dies aus Ihrer Sicht ändern?

Häusling: Ich denke, da gibt es einige gute Gründe für J. HR steht vor vielen großen Herausforderungen. Die Anforderungen der Fachbereiche steigen, werden komplexer und müssen nutzerorientierter werden. Zudem sind viele HR-Bereiche aus der Business-Sicht zu langsam, schwerfällig und zu weit weg vom Business. Auf der anderen Seite wird die interne Komplexität von HR immer größer. Viele Personalerinnen und Personaler sind völlig „Land unter“, sodass neue und agile Formen von Zusammenarbeit innerhalb des HR-Bereichs und auch in der Zusammenarbeit mit den Kunden immer relevanter werden. Bisherige HR-Organisationsmodelle kommen bei steigender Komplexität zunehmend an seine Grenzen.

 

Wald: Die zurückliegenden Corona-Monate werden von vielen als Boost für moderne Arbeitsformen, wie Homeoffice und mobile Arbeit, betrachtet. Trifft dies gleichermaßen auch auf das agile Personalmanagement zu?

Häusling: Ja, absolut. Die HR-Bereiche stehen vor der Herausforderung, sich an die neuen Rahmenbedingungen noch schneller anpassen zu müssen als vorher. Dafür benötigen sie neue Lösungen, bei denen Agilität ein Lösungsansatz sein kann.

 

Wald: Was ist zu tun, um einen Rückfall in alte Arbeitsformen zu verhindern oder sogar das agile Personalmanagement zu fördern?

Häusling: Agile Arbeitsformen sind ja kein Selbstzweck und nicht die Antwort auf alle Probleme. Der Nutzen von Agilität ist da hoch, wo die Komplexität hoch ist. In vielen HR-Projekten können agile Methoden helfen, in der Lohn- und Gehaltsabrechnung ggf. weniger. Eine Förderung entsteht dann, wenn mutig Alternativen ausprobiert werden. Unser Motto ist „Machen ist wie wollen – nur krasser.“. Wenn es ein Thema oder Projekt gibt - was eine höhere Komplexität hat - sollte es mal in einer anderen Arbeitsweise umgesetzt werden, um Erfahrung zu sammeln. Dann sehen die Beteiligten, ob es einen Nutzen liefert oder auch nicht. Hierfür gilt es die Rahmenbedingungen zu schaffen.

 

Wald: Inwieweit lässt sich Agilität im Personalmanagement wirklich nutzen? Braucht es hier nicht andere Akteure als die „Schornstein-Karrieristen“ die üblicherweise in den Personalbereichen anzutreffen sind? Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?

Häusling: Die „Schornstein-Karrieristen“ haben wir ja nicht nur in den HR-Bereichen. Die funktionale Organisationslogik behindert bisher cross-funktionales Arbeiten. Die wird nun immer wichtiger, um mehr Nutzen für Kundinnen und Kunden zu schaffen. Das ist bei HR auch der Fall. Ich denke, dass eine Kollaboration mit den Fachbereichen den großen Nutzen darstellt und nicht nur eine cross-funktionale Zusammenarbeit innerhalb eines HR-Bereichs.

 

Wald: Aus meiner Sicht gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Digitalisierung und agilem Personalmanagement. In einer aktuellen Studie des Lehrstuhls für Personalwirtschaft und Business Governance an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist zu erkennen, dass in vielen Personalbereichen noch nicht mit der Digitalisierung begonnen wurde. Was sollte hier passieren?

Häusling: Den Zusammenhang kann ich nachvollziehen. Vermutlich haben viele HR-Bereiche noch nicht genügend Gründe und Schmerzen, die Themen anzugehen. Bisher waren die Fachbereiche sehr kulant und haben Rücksicht genommen auf die Personalverantwortlichen und ihre Befindlichkeiten. Dies ändert sich aber gerade. Die Fachbereiche bauen eigene Lösungen ohne HR, beauftragen externe Beratungen, um HR-Lösungen zu bekommen oder HR-relevante Projekte wandern in die Unternehmensentwicklung. Die Personalthemen werden immer wichtiger, deshalb müssen viele HR-Bereiche „aus dem Quark kommen“, wenn sie nicht irgendwann wegen Erfolglosigkeit geschlossen werden sollen. Hier ist mir aber noch mal wichtig zu sagen, dass es häufig ein systemisches Problem ist. Die Personalerinnen und Personaler selbst geben meistens jeden Tag ihr Bestes. Was wir aber benötigen ist ein neues System von Zusammenarbeit in den HR-Bereichen, um mit den komplexer werdenden Anforderungen umgehen zu können.

 

Wald: Oft wird derzeit auch über die richtige Führung von Mitarbeitern diskutiert. Wie sehen Sie dies aus „agiler“ Sicht. Wie stellt sich hier moderne Führung dar? Wie weit entfernen wir uns von klassischen Führungsmodellen?

Häusling: Auch hier geht es nicht um modern oder traditionell, sondern um passend oder unpassend. In einem sehr stabilen, planbaren und vorhersehbaren Kontext können Führungsmodelle mit einem pyramidalen System und hoher Machtkonzentration durchaus passend sein. Wenn der Organisationskontext aber komplexer wird, dann sehen wir, dass verteilte Führungssysteme mit einem hohen Grad an Selbstverantwortung und Selbstorganisatin wirksamer werden. Aber auch hier braucht es Führung – nur weniger fachlich. In agileren Kontexten geht es darum Orientierung zu geben, Rahmenbedingungen zu schaffen und Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern.

 

Wald: Zur Agile HR Conference 2020. Diese wurde in diesem Jahr online durchgeführt. Aus agiler Sicht müsste dies doch eigentlich ein Heimspiel für HR Pioneers sein. Vermissen Sie vielleicht trotzdem den direkten Kontakt mit den Teilnehmenden? 

Häusling: Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Lösungen. Wir haben viel überlegt und verschiedene Szenarien entwickelt und uns dann für eine Onlinevariante entschieden, bei der wir die Vorträge der Impulsgebenden von drei Bühnen vor Ort ins Netz gestreamt haben. Das ist bei allen Beteiligten sehr gut angekommen, und wir waren von dem sehr positiven Feedback überrascht und sehr beeindruckt. Aber klar: Wir hätten die Veranstaltung lieber als Präsenzveranstaltung gemacht. 

 

Wald: Was waren aus Ihrer Sicht die Highlights in diesem Jahr? Können Sie hier vielleicht einige Beiträge skizzieren? 

Häusling: Das ist natürlich schwer. Die Konferenz lebt von der Vielfalt. Es haben einige große Konzerne wie die Deutsche Telekom oder die SAP von Ihren Erfahrungen berichtet, was sehr spannend war. Genauso waren aber kleine und mittelständische Unternehmen präsent. Zum Beispiel hat Hettich sehr eindrucksvoll von deren HR-Transformation berichtet. Und zusätzlich hatten wir wissenschaftliche Impulse sowie unkonkentionellere Beispiele, wie eine Bäckerei aus Thüringen, die erzählt hat, wie sie agile Arbeitsweisen etabliert haben.


Lars Bohlmann von Hettich auf der Agile HR Conference 2020  

Wald: Zum Abschluss noch eine Frage aus meinem Umfeld, d.h. zur digitalen Lehre. Mittlerweile kann ich hier auf ein ganzes Semester intensiver digitaler Lehre zurückblicken. Was meinen Sie, wie lassen sich agile Arbeitsweisen digital vermitteln?

Häusling: Wir haben unsere Trainings bereits im April alle digitalisiert. Das funktioniert alles sehr gut, und wir können auch agile Werte und Prinzipien digital erlebbar machen. Es benötigt die richtigen Tools und Kreativität - ist allerdings deutlich mehr Aufwand.

 

Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses offene Gespräch. Ich wünsche Ihnen für die nächsten Konferenzen und natürlich auch für HR Pioneers weiterhin viele Erfolge. 

Häusling: Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen auch weiter viel Erfolg für Ihre Aktivitäten!

 

André Häusling von HR Pioneers
Mein Gesprächspartner André Häusling von HR Pioneers


André Häusling gilt als Pionier für agiles Personalmanagement und neue Formen von Zusammenarbeit in Deutschland. Er hat 2010 die HR Pioneers GmbH gegründet, die sich auf agile Personal- und Organisationsentwicklung spezialisiert hat und von dem Wirtschaftsmagazin "brand eins" mehrfach zu den besten Beratungen Deutschlands gewählt wurde. Die Schwerpunkte des Beratungskollektivs liegen in der Begleitung von agilen Transformationen, der Durchführung von Führungskräfte-Trainings sowie der Entwicklung von agilen HR-Organisationen und -Instrumenten in großen Konzernen wie in kleinen und mittelständischen Unternehmen. André Häusling ist Initiator der Agile HR Conference, die als deutschlandweit größte Konferenz für agile Personal- und Organisationsentwicklung steht. Zudem ist er mehrfacher Buchautor sowie Keynote-Speaker auf verschiedenen Managementkonferenzen. Für seine Arbeit hat er in den letzten Jahren verschiedene Auszeichnungen erhalten. Unter anderem wurde er mehrfach vom Personalmagazin als einer der führenden Köpfe des Personalmanagements ausgezeichnet.


Zu den Fotos im Post: Marc Thürbach für HR Pioneers








Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen