Wald: Was verstehen Sie im Kontext von Führung unter Handlungen?
Süß: Statt Zuschreibungen aufgrund der Persönlichkeit sind im virtuellen Kontext vor allem wirksame Verhaltensweisen entscheidend für die Wahrnehmung einer Führungskraft (Purvanova et al., 2020). Dabei sind vor allem Handlungen gemeint, die tatsächlich bei den Mitarbeitenden “ankommen”, also konkret spürbar sind. Zum Beispiel gehören dazu verbale Rückmeldungen oder auch konkrete Unterstützung bei Aufgaben (Marks et al., 2001; Dickinson & McIntyre, 1997).
Wald: Wenn Handlungen unter virtuellen Bedingungen Gold sind, drängt sich die Frage auf, ob beim Führen unter digitalen/virtuellen Bedingungen besondere (neue) Führungshandlungen gibt?
Süß: Die grundlegenden Inhalte der Führungsaufgaben bleiben vermutlich unverändert, wobei sich aber die Schwerpunkte der Tätigkeit verschieben (Kelley & Kelloway, 2012). Der Fokus verlagert sich deutlich in Richtung Informations- und Kommunikationsmanagement. Im virtuellen Kontext fällt beispielsweise ein Großteil der ungeplanten Kommunikation (Austausch in der Kaffeeküche, Gespräche auf dem Gang, etc.) weg. So kann es zu einer wichtigen Führungsaufgabe werden, diese Kanäle zu stärken bzw. aufzubauen. Unsere Interviewreihe hat gezeigt, dass Führungskräfte in diesem Bereich deutlich mehr Zeit und Aufwand investieren.
Wald: Was macht denn die Bedeutung dieser neuen Führungshandlungen aus?
Süß: Neben der psychosozialen Funktion dieser Handlungen für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden stellen diese Führungshandlungen natürlich auch eine Aufrechterhaltung der Produktivität sicher. Der virtuelle Kontext stellt neue Herausforderungen denen Führungskräfte begegnen sollten.
Hierzu zwei Beispiele:
Wald: Wirken diese Handlungen anders als unter nicht-virtuellen Bedingungen?
Süß: Die Handlungen dürften nicht grundlegend anders, aber stärker als unter nicht-virtuellen Bedingungen wirken. Obwohl es z.B. auch im nicht-virtuellen Kontext sinnvoll ist, feste Kommunikationsstrukturen zu etablieren, ist deren Fehlen weniger schlimm, weil sie teilweise durch informelle Kommunikation ersetzt werden können (z.B. Treffen in der Kaffeeküche, Austausch “zwischen Tür und Angel”). Gleichzeitig verlieren andere Wirkmöglichkeiten der Führungskraft (z.B. Charisma) an Gewicht, so dass Handlungen relativ an Bedeutung gewinnen und unverzichtbarer für effektive Führung.
Wald: Was sollten Führungskräfte deshalb bei virtueller Führung berücksichtigen?
Süß: Die beiden oben genannten Beispiele sind bereits gute Ansatzpunkte der virtuellen Führung (auch hier in unserem Blogeintrag beschrieben). So sollte eine Führungskraft beispielsweise versuchen, die Herstellung von gegenseitiger Awareness im Team zu ermöglichen oder zu erleichtern. Beispiel: Wenn ich nicht weiß, dass mein Kollege täglich um 14 Uhr eine Runde mit seinem Hund geht, werde ich seine Abwesenheit und verzögerten Antworten in diesem Zeitraum vermutlich negativer interpretieren, als wenn ich seine Tagespläne kenne. Gelingt es der Führungskraft diese Informationslücken (z.B. durch Team-Absprachen) zu füllen, können negative Attributionen vermieden werden. Dazu gehört auch eine klare Erwartungsklärung innerhalb von Teams: Welche Informationskanäle nutzen wir? Wer ist wann verfügbar? Auf welche Nachrichten sollte man sofort reagieren? Auch hier wird die Relevanz von Informations- und Kommunikationsstrukturen wieder ersichtlich. Generell spielt Vertrauen in Remote Teams eine größere Rolle, wobei dieser Zusammenhang schwächer wird, wenn Interaktionen gut dokumentiert werden (Breuer, Hertel & Hüffmeier, 2016). Für Führungskräfte lohnt es sich also, Zeit und Anstrengungen in diese Informations- und Kommunikationsstrukturen zu investieren, da diese als sogenannte “structural supports” sogar stellenweise die Führung ersetzen können (Hoch & Kozlowski, 2012).
Wald: Existiert hier ein besonderer Lernbedarf? Und: Wenn ja, wie kann mit diesen Lernanforderungen erfolgreich umgegangen werden?
Süß: Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts IAO und der DGfP (2020) geben 40% der Befragten an, dass Führungskräfte zum Thema “Führung auf Distanz” geschult werden müssen. Die genannten Punkte liefern womöglich evidenzbasierte Ansatzpunkte für Weiterbildungs-Maßnahmen in der Führungskräfteentwicklung. Aufgrund der hohen Diversität an Arbeitsmodellen (hybrid, komplett remote, etc.) eigenen sich darüber hinaus auch sog. “continuous listening”-Ansätze für gezieltere und individualisierte Entwicklungsmaßnahmen für Führungskräfte. Dabei erfolgt in kurzen Befragungen eine kontinuierliche Messung von relevanten Variablen, die analytisch (deskriptiv, diagnostisch, prädiktiv) ausgewertet und zur Verfügung gestellt werden können. Dies bietet die Chance eine gezielte und selbstgesteuerte Entwicklung der Führungskräfte im Kontext der virtuellen Führung zu ermöglichen.
Wald: Wenn Handlungen unter virtuellen Bedingungen Gold sind, drängt sich die Frage auf, ob beim Führen unter digitalen/virtuellen Bedingungen besondere (neue) Führungshandlungen gibt?
Süß: Die grundlegenden Inhalte der Führungsaufgaben bleiben vermutlich unverändert, wobei sich aber die Schwerpunkte der Tätigkeit verschieben (Kelley & Kelloway, 2012). Der Fokus verlagert sich deutlich in Richtung Informations- und Kommunikationsmanagement. Im virtuellen Kontext fällt beispielsweise ein Großteil der ungeplanten Kommunikation (Austausch in der Kaffeeküche, Gespräche auf dem Gang, etc.) weg. So kann es zu einer wichtigen Führungsaufgabe werden, diese Kanäle zu stärken bzw. aufzubauen. Unsere Interviewreihe hat gezeigt, dass Führungskräfte in diesem Bereich deutlich mehr Zeit und Aufwand investieren.
Wald: Was macht denn die Bedeutung dieser neuen Führungshandlungen aus?
Süß: Neben der psychosozialen Funktion dieser Handlungen für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden stellen diese Führungshandlungen natürlich auch eine Aufrechterhaltung der Produktivität sicher. Der virtuelle Kontext stellt neue Herausforderungen denen Führungskräfte begegnen sollten.
Hierzu zwei Beispiele:
- Aufgrund des Informations-Vakuums und der dadurch entstehenden Unsicherheit kann es zu negativen Attributionen (Spekulationen, Schuldzuweisungen) im Team kommen (Weisband, 2002), die sich wiederum negativ auf die Leistung auswirken können.
- Außerdem verändert die Remote-Arbeit zudem bisher existierende (Wissens-) Netzwerkstrukturen in Organisationen erheblich. Ein zu enger Fokus auf das eigene Team kann zur Vernachlässigung von sog. “weak ties” (also schwachen Verbindungen) führen. Diese “weak ties” sind eine wichtige Voraussetzung für die Innovationskraft und somit Produktivität einer Organisation (Granovetter, 1973).
Wald: Wirken diese Handlungen anders als unter nicht-virtuellen Bedingungen?
Süß: Die Handlungen dürften nicht grundlegend anders, aber stärker als unter nicht-virtuellen Bedingungen wirken. Obwohl es z.B. auch im nicht-virtuellen Kontext sinnvoll ist, feste Kommunikationsstrukturen zu etablieren, ist deren Fehlen weniger schlimm, weil sie teilweise durch informelle Kommunikation ersetzt werden können (z.B. Treffen in der Kaffeeküche, Austausch “zwischen Tür und Angel”). Gleichzeitig verlieren andere Wirkmöglichkeiten der Führungskraft (z.B. Charisma) an Gewicht, so dass Handlungen relativ an Bedeutung gewinnen und unverzichtbarer für effektive Führung.
Wald: Was sollten Führungskräfte deshalb bei virtueller Führung berücksichtigen?
Süß: Die beiden oben genannten Beispiele sind bereits gute Ansatzpunkte der virtuellen Führung (auch hier in unserem Blogeintrag beschrieben). So sollte eine Führungskraft beispielsweise versuchen, die Herstellung von gegenseitiger Awareness im Team zu ermöglichen oder zu erleichtern. Beispiel: Wenn ich nicht weiß, dass mein Kollege täglich um 14 Uhr eine Runde mit seinem Hund geht, werde ich seine Abwesenheit und verzögerten Antworten in diesem Zeitraum vermutlich negativer interpretieren, als wenn ich seine Tagespläne kenne. Gelingt es der Führungskraft diese Informationslücken (z.B. durch Team-Absprachen) zu füllen, können negative Attributionen vermieden werden. Dazu gehört auch eine klare Erwartungsklärung innerhalb von Teams: Welche Informationskanäle nutzen wir? Wer ist wann verfügbar? Auf welche Nachrichten sollte man sofort reagieren? Auch hier wird die Relevanz von Informations- und Kommunikationsstrukturen wieder ersichtlich. Generell spielt Vertrauen in Remote Teams eine größere Rolle, wobei dieser Zusammenhang schwächer wird, wenn Interaktionen gut dokumentiert werden (Breuer, Hertel & Hüffmeier, 2016). Für Führungskräfte lohnt es sich also, Zeit und Anstrengungen in diese Informations- und Kommunikationsstrukturen zu investieren, da diese als sogenannte “structural supports” sogar stellenweise die Führung ersetzen können (Hoch & Kozlowski, 2012).
Wald: Existiert hier ein besonderer Lernbedarf? Und: Wenn ja, wie kann mit diesen Lernanforderungen erfolgreich umgegangen werden?
Süß: Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts IAO und der DGfP (2020) geben 40% der Befragten an, dass Führungskräfte zum Thema “Führung auf Distanz” geschult werden müssen. Die genannten Punkte liefern womöglich evidenzbasierte Ansatzpunkte für Weiterbildungs-Maßnahmen in der Führungskräfteentwicklung. Aufgrund der hohen Diversität an Arbeitsmodellen (hybrid, komplett remote, etc.) eigenen sich darüber hinaus auch sog. “continuous listening”-Ansätze für gezieltere und individualisierte Entwicklungsmaßnahmen für Führungskräfte. Dabei erfolgt in kurzen Befragungen eine kontinuierliche Messung von relevanten Variablen, die analytisch (deskriptiv, diagnostisch, prädiktiv) ausgewertet und zur Verfügung gestellt werden können. Dies bietet die Chance eine gezielte und selbstgesteuerte Entwicklung der Führungskräfte im Kontext der virtuellen Führung zu ermöglichen.
Mein Gesprächspartner Dr. Julian Süß ist Co-Founder und Managing Director Data & Analytics der functionHR GmbH, die mit ihren Software gestützten Lösungen als Vorreiter auf dem Gebiet der intelligenten Datennutzung im Personalmanagement gilt. Julian Süß ist leidenschaftlicher Data Scientist und davon überzeugt, dass Datenanalysen dabei helfen können, moderne und attraktive Arbeitsplätze zu gestalten. Die Lösungen der functionHR verbessern durch Datenanalysen und Künstliche Intelligenz die Employee Experience und führen dadurch zu einer deutlichen Professionalisierung des Personalmanagements.
Bild von TukTukDesign auf Pixabay
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