Dienstag, 1. September 2015

Agilität: Erfolgsfaktor in turbulenten Zeiten oder doch nur der nächste Modebegriff? - Interview Teil 1

Vor wenigen Tagen bin ich auf die diesjährige Change-Studie der Managementberatung Kienbaum gestoßen. Die Autoren dieser Studie haben das Konzept Agilität in das Zentrum ihrer Überlegungen gestellt. Agilität ist eng mit „meinem" Thema - der „Führung mit digitalen Medien“ verknüpft, sodass ich dankbar bin, hier einige Fragen stellen zu können. Dafür steht mir Herr Mollbach - einer der Autoren dieser Studie - zur Verfügung.

Wald: Herzlichen Glückwunsch zur vorliegenden Studie! Ich freue mich, dass ich Ihnen einige Fragen zu dieser interessanten Studie stellen darf.
Mollbach: Sehr gern. Ich bin schon auf die Fragen gespannt.

Wald: Könnten Sie meinen Lesern und mir einige zusammenfassende Informationen zu den Basisparametern und Besonderheiten Ihrer Studie geben?
Mollbach: Ausgangspunkt unserer Studie war die Beobachtung, dass das Thema Agilität sowohl in der Literatur als auch in der Unternehmenspraxis zunehmend an Gewicht gewinnt. Zwar gibt es viele Einzelfallberichte und konzeptionelle Ausführungen, aber kaum Erhebungen, die einen größeren Teilnehmerkreis an Unternehmen umfasst. Deshalb haben wir eine große Anzahl an Unternehmensvertretern aus dem D-A-CH–Gebiet gebeten, an unserer Studie teilzunehmen. Konzeptionell versteht unsere Studie Agilität als eine Metakompetenz einer Organisation. Eine Metakompetenz hebt sich in unserem Verständnis dabei noch einmal von organisationalen Kompetenzen ab, die unserem Verständnis nach branchen- und unternehmensspezifischer sind. Es handelt sich dabei um eine übergeordnete Kompetenz, die u.a. notwendig ist, um andere Kompetenzen zu erwerben und weiterzuentwickeln. Sie wird durch verschiedene organisationale und individuelle Kompetenzen, aber auch Strukturen, Systeme, Kulturen etc. einer Organisation erzeugt. Die Entwicklung dieser Metakompetenz Agilität wird durch verschiedene Treiber der Unternehmensumwelt angetrieben: Hierzu gehören z.B. Wettbewerbsintensität oder auch gesellschaftliche Faktoren und deren Veränderungen. Unsere These ist, dass die Metakompetenz Agilität für das Überleben von Organisationen umso wichtiger ist, je ausgeprägter die Treiber sind – und damit die Intransparenz, Dynamik bis zur Diskontinuität der Umwelt. Die Metakompetenz Agilität setzt sich dabei aus zwei grundlegenden Fähigkeiten zusammen: Zum einen die Sensitivität der Organisation, zum anderen deren Reagibilität. Beides wird durch Enabler erzeugt. Hier ist wichtig, dass wir nicht von der Sensitivität oder Reagibilität einzelner Personen sprechen, sondern von der Organisation. Wir konnten dabei in unserer Studie aufzeigen, dass sich Unternehmen, die sich aufgrund ihrer Selbsteinschätzung als eher agil erwiesen und solche, die sich als weniger agil zeigten, tatsächlich auch in den Ausprägungen der Enabler unterscheiden. Wenn ich sage „tatsächlich unterscheiden“ muss man aus methodischer Sicht selbstverständlich darauf hinweisen, dass die Studie auf Selbsteinschätzungen der Teilnehmer beruht. Es wäre sicher interessant, eine solche Selbsteinschätzung mit harten Unternehmensdaten und -checks zu konfrontieren. Das würde aber den Rahmen einer solchen Erhebung sprengen.

Wald: Man kann schnell den Eindruck gewinnen, dass Agilität im Moment der Management-Mode-Begriff schlechthin ist. Was verstehen Sie darunter, beispielsweise in Abgrenzung zum Begriff Flexibilität?
Mollbach: Wie schon dargestellt, verstehen wir unter Agilität eine Metakompetenz, die sich aus zwei grundlegenden Fähigkeiten zusammensetzt: Sensitivität und Reagibilität. Beide Fähigkeiten hängen zusammen, sind aber nicht identisch. Einerseits gibt es Organisationen, die sehr sensitiv gegenüber Umweltsignalen oder auch sehr breit im Monitoring der Umwelt sind, die dann aber Schwächen in der Reagibilität haben. Man könnte hier sagen: Gute Diagnostik, aber man macht nichts daraus. Entweder dauern die Entscheidungen extrem lange oder man begegnet neuen Informationen mit bekannten Problemlösemustern. Andererseits braucht aber eine Organisation Sensitivität, um reagibel zu sein. Der Begriff der Agilität ist damit umfassender als der Begriff der  Flexibilität. Wichtig ist an diesem Punkt auch zu betonen, dass Agilität nicht Hyperaktivität bedeutet. Nicht auf jedes Signal aus der Umwelt muss durch Aktionen und Veränderungen reagiert werden. Wichtig ist, dass die Organisation erstens Signale wahrnimmt und bewertet, zum zweiten auch agieren kann, wenn sie agieren will und dies drittens dann auch situationsadäquat - und das umfasst auch den Faktor Zeit -tut.

Wald: Der Begriff Agilität ist m. E. nicht neu. Haben Sie sich bei Ihrer (m. E. interessanten) Definition an vorhandene Aussagen angelehnt?
Mollbach: Wir haben mit unserer Studie nicht den Anspruch verfolgt, etwas konzeptionell vollkommen Neues zu entwickeln, sondern selbstverständlich auf bestehende Definitionen und Konzepte aufgebaut. Hierzu finden sich Angaben im Literaturverzeichnis unserer Studie. Allerdings glaube ich, dass wir mit unserer Studie zumindest einen Schwerpunkt gesetzt haben, der noch zu wenig in der Literatur und in der Praxis zu finden ist. Nach guter traditioneller Manier wird das Thema in der Literatur nicht selten auf Teilbereiche der Organisation spezifiziert und damit reduziert: Es wird zu einem „Personalthema“ oder zu einem „IT-Thema“. In der Folge beschäftigen sich dann Spezialisten mit einem Spezialistenblick auf die zum Spezialthema gewordene „Agility“. Natürlich sind solche Spezialisten und deren Blick notwendig. Wir haben es bei Agilität aber mit einem gesamtorganisationalen und hochgradig Funktionen und Perspektiven vernetzenden Thema zu tun. Deshalb sagen wir ja auch, dass Agilität in der Organisation nicht durch einen oder zwei Enabler oder durch ein „Sonderprojekt“ neben anderen Projekten erzeugt werden kann. Es ist auch nicht ein zeitlich begrenztes Projekt – wie etwa klassische Change-Projekte, sondern eine Dauerherausforderung. Dies setzt ganz neue koordinierende Aktivitäten in Unternehmen voraus, die es aus unserer Sicht zurzeit nur sehr begrenzt gibt. Unternehmen neigen immer noch dazu, Themen zu zerschneiden und sie dann bestimmten Abteilungen oder Funktionen (Personalbereich, IT-Bereich, der Linienführung, dem Controlling etc.) zuzuweisen. Ein solcher Ansatz wird aber nicht gelingen, wenn man eine Metakompetenz aufbauen will.

Agilitätsmodell: Driver erzeugen eine Unternehmensumwelt, in der
Unternehmen Agilität entwickeln müssen, um erfolgreich zu sein
















Wald: Gibt es nur externe „Driver“ der Agilität?
Mollbach: Das hängt von der Frage ab, was bei einer Organisation als extern und was als intern angesehen wird. Dies gilt insbesondere für die Organisationsmitglieder: Sind sie „interne Elemente“ der Organisation oder „externe Faktoren“? Versteht man – wie einige Soziologen – Organisationsmitglieder zumindest auch als externe Faktoren, die auf die Organisation mit ihren Ansprüchen, Interessen und teilweise intransparenten und nicht vorhersehbaren Verhaltensweisen einwirken, dann könnte man unter diesem Aspekt auch das Personal in einer Organisation als externen Driver verstehen. Dies macht insofern Sinn, als dass sich auch hier z.B. Präferenzen von Mitarbeitern im Lebenslauf viel stärker ändern als früher oder die Bindung an das Unternehmen abnimmt. Gleichzeitig nimmt die Vielfalt zu, sodass wir es auch im Blick auf das Personal  mit zunehmenden „Unvorhersehbarkeiten“ und „Unplanbarkeiten“ zu tun haben. Personal wäre dann (nicht mehr) ein berechenbarer und planbarer, disponibler Faktor. Was meiner Beobachtung nach zunehmend zutrifft. Das würde bedeuten, dass Unternehmen auch Richtung „Personal“ zunehmend sensitiv und reagibel sein müssen. Was einen gravierenden Einfluss auf die Gestaltung von Personalmanagementsystemen hat!

Dies ist ein guter Abschluss des ersten Teils des Interviews mit Hinweisen zum Einfluss der Agilität auf das Personalmanagement. Weiter geht es in den nächsten Tagen mit Teil 2 des Interviews. Dann werde ich mehr über die Agilitäts-Lücke erfahren und mit Herrn Mollbach die Themen Agilität, Social Media und Führung diskutieren und ... meinen Interviewpartner auch endlich vorstellen. 

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