An den Schnittstellen zwischen Eignungsdiagnostik und IT passiert derzeit eine ganze Menge. Hier bin ich vor Kurzem auf "Affective Signals" gestoßen, denn Nikos Green – CEO dieses HR Startups – gehörte zu den Gästen meines diesjährigen HR Innovation Days. Ihn will und kann ich heute mit einigen Fragen „quälen“.
Wald: Ich freue mich sehr, dass es mit unserem Gespräch klappt. Hier auch gleich meine erste Frage: Was können bzw. sollten sich meine Leser unter affektiven Signalen vorstellen?
Green: Wenn Menschen sich unterhalten, sagen wir, um sich besser kennenzulernen oder um sich über den Kauf eines Hauses zu einigen, läuft sehr viel Informationsaustausch auf der nonverbalen Ebene ab, d.h., Körpersprache, Mimik, Tonfall und Gestik. Bei Affective Signals entwickeln wir Software, die diese Signale in Unterhaltungen automatisch erkennt und auswertet und diese Daten dem Nutzer zur Verfügung stellt, wie z.B. in unserem ersten Produkt, einem Online-Verhandlungstraining.
Wald: Keine leichte Frage: Aber könnten Sie meinen Lesern/innen die wissenschaftlichen Grundlagen Ihrer Arbeit schlagwortartig erläutern?
Green: Die Sozial- und Neurowissenschaften haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und zuverlässige Maße nonverbaler Kommunikation entwickelt die z.B. Verhandlungsergebnisse, Erfolg bei Einstellungsgesprächen oder auch den Erfolg von Psychotherapiesitzungen gut vorhersagen können. Ein Beispiel ist die Imitation von Gesten oder der Körperhaltung. Solches Imitationsverhalten erfolgt unbewusst und zeugt von einer hohen Beziehungsqualität: Die Gesprächspartner haben das Gefühl sie verstehen einander, was Vertrauen stiftet und den Unterhaltungsverlauf fördert. Ein anderes Beispiel ist die Sprechgeschwindigkeit: Jemand der schnell spricht steht oft unter Stress, was im Allgemeinen schlecht für den Unterhaltungserfolg ist. Die Qualität von handelsüblichen Webcams und Computermikrofonen ist mittlerweile so hoch, dass wir solche Maße auch in Aufzeichnungen von normalen Videokonferenzen (ähnlich wie Skype-Unterhaltungen) automatisch erkennen und auswerten können.
Wald: Erinnert mich ein klein wenig an die Serie „Lie to me“. Gibt es Wettbewerber mit ähnlichen Lösungen? Ich glaube einen Artikel im Wall Street Journal über die Personalauswahl von Investmentbankern mit Hirevue gelesen zu haben? Inwieweit unterscheidet sich Affective Signals von diesen Lösungen?
Green: Es gibt andere Anbieter im Bereich des Affective Computing, sowohl in Europa als auch in den USA. Jedoch bieten die meisten dieser Firmen derzeit in erster Linie Analysetools an. Kunden die selbst keine Informatiker oder Emotionsexperten sind, brauchen jedoch fertige Lösungen, nicht Analyseschnittstellen. Bei Affective Signals vereinen wir technisches Knowhow mit Sozial- und neurowissenschaftlicher Kompetenz und entwickeln so konkrete Anwendungen, wie unser Verhandlungstraining, in dem Benutzer per Videokonferenz Verhandlungsrollenspiel durchführen, die wir dann analysieren um Ihnen Feedback zu geben wie sie besser verhandeln können. Einige der anderen Firmen entwickeln zwar auch fertige Serviceangebote, beispielsweise zur Emotionserkennung im Marketingbereich, jedoch legt keine der anderen Firmen den Schwerpunkt auf zwischenmenschliche Interaktion, wo die Interaktionsdynamik eine große Rolle spielt. Gerade durch die interaktive, multimodale und anwendungsbezogenen Ausrichtung zeichnet sich Affective Signals aus.
Wald: Welche Vorteile hat die Nutzung von Affective Signals für Unternehmen und Institutionen? Könnte es hier auch Skepsis geben? Oder sehen Sie ggf. auch besondere Vorteile für Unternehmen bzw. ausgewählte Branchen?
Green: Der große Vorteil von Affective Signals ist dass unsere Software wichtige Aspekte menschlicher Interaktion erkennt und digital weiterverarbeitet, die traditionelle Computeranwendungen komplett außen vor lassen. Dies ermöglicht beispielsweise die effiziente Schulung sogenannter Soft Skills, was in vielen Branchen wichtig ist und bisher nur subjektiv ausgewertet wird, z.B. durch die Verwendung von Fragebögen etc.. Auch Anwendungen zur Qualitätssicherung, bspw. in der Kundenbetreuung oder im therapeutischen Bereich, sind denkbar. Hier geht es allerdings in den Bereich über der bei vielen Menschen Skepsis und ethische Bedenken auslöst. Im Prinzip könnte solche Technologie auch zur Überwachung und zum Eingriff in die Privatsphäre, z.B. von Mitarbeitern, missbraucht werden. Zum Glück gibt es in Deutschland gute Datenschutzgesetze, die solchem Missbrauch vorbeugen. Bei Affective Signals halten wir den Datenschutz hoch und arbeiten nur an Lösungen, die datenschützerisch und ethisch vertretbar sind.
Wald: Ich denke nach wie vor sehr intensiv über den Begriff Recruiting-Innovationen nach und habe eine eher kritische Sicht auf derzeitig gehypten Lösungen. Inwieweit kann Affective Signals hier ggf. eine andere Rolle spielen?
Green: Ein wichtiger Punkt. Einerseits ist es nicht unmittelbar eindeutig wie weitreichend Erkenntnisse und damit Verbesserungen neuer, digitaler Verfahren sind. Schnell wird generalisiert, dabei werden mögliche Invarianzen und alternative Erklärungen ignoriert. Andererseits entwickeln sich Innovationen auch nicht in einem kontextfreien Raum, d.h. der schnelle Einsatz neuer Verfahren in realen Anwendungsfällen trägt auch signifikant dazu dabei tatsächliche Innovation zu erreichen. Schliesslich muss auch festgestellt werden, das bestehende Verfahren -wenn man sich die Forschungsliteratur dazu anschaut- nicht besser abschneiden. Sie werden meist genutzt, weil die Anwender sie besser verstehen und so die Ergebnisse in den jeweiligen Entscheidungsprozessen subjektiv zufriedenstellender gewichten können. Wichtig ist also, das neue Verfahren, transparent darstellen a) welche Daten erhoben werden b) wie sie analysiert werden und c) was die Ergebnisse z.B. für eine Recruitingentscheidung bedeuten könnten. Das verlangt sicherlich auch von den Anwendern eine Erweiterung Ihrer methodischen Kenntnisse. Bei Affective Signals bedingt die Art der Daten die wir verarbeiten, schon einen theoriegeleiteten und statistisch validierten Zugang. Nonverbale Signale erhalten Ihre Bedeutung aus dem jeweiligen Kontext, d.h. sie werden zu sozialen und affektiven Signalen durch die Situation in der sie ausgedrückt werden (wer tauscht sie aus, in welcher Situation etc.). Wir mappen die extrahierten Features (u.a. Mimik, Gestik, Tonfall, Körpersprache) daher auf kontextrelevante Dimensionen, z.B. in Verhandlungen Kooperationsbereitschaft oder Dominanz, die wir dem Nutzer erklären und darstellen können.
Wald: Wie geht es weiter mit Affective Signals? Was sind die nächsten Ziele?
Green: Wir befinden uns mit dem Online-Verhandlungstraining in einer geschlossenen Betaphase mit sog. Early Adoptern. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die bereit sind eine innovative Lösung schnell einzusetzen. Dies machen wir zur Zeit mit mittelständischen aber auch mit sehr großen Unternehmen in Europa. Den Markteintritt im Bereich HR haben wir für Ende 2016 geplant. Weiterhin arbeiten wir zur Zeit an mehreren Entwicklungen, um unsere Analysetechnologie auch in Applikationen fürs Recruiting und Assessment einzusetzen. Weiterhin werden wir das Team erweitern und im kommenden Jahr den Bereich Digital Health aufbauen, da wir spannende Konzepte haben, unsere Kerntechnologie dort für die Lösung bestehender Probleme anzuwenden. Ein kleiner Appell sei mir an dieser Stelle erlaubt: Wir sind sehr aufgeschlossen was Kooperationspartner angeht! Zum Abschluss möchte ich mich noch bei Ihnen, Herr Prof. Wald für das Interview und die Teilnahme am HR Innovation Day bedanken, es war sehr spannend.
Wald: Lieber Herr Dr. Green, ich danke Ihnen ganz herzlich für das interessante Gespräch und das Feedback zum HR Innovation Day. Für die Zukunft wünsche ich Ihnen und Ihrem Team viele Erfolge sowie passende und aufgeschlossene Kooperationspartner!
Einige Angaben zum Team von Affective Signals. Dazu gehören derzeit Dr. Marieke Rohde, Mike Fayer, Dr. Nikos Green und Professor Timothy Brick.
Mein heutiger Gesprächspartner, Dr. Nikos Green, ist Geschäftsführer von Affective Signals. Dr. Green hat Kognitions- und Neurowissenschaften an den Universitäten Osnabrück, Athen, Indiana, Amsterdam und Berlin studiert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen