Mein Gesprächspartner Henner Knabenreich |
Henner: Gerne, lieber Peter. Ob das allerdings in wenigen Worten möglich ist? Ich versuche es mal… bereits 2007 legte ich den Grundstein für meine „Bloggerkarriere“. Zumindest sicherte ich mir da die Domain personalmarketing2null. Allerdings dauerte es dann noch mal 3 Jahre, bis es soweit sein sollte, die HR-Welt mit meinen ersten Posts aufzuwecken. Anlass war eigentlich meine damalige Arbeitslosigkeit. Ich hatte gerade meinen Job verloren – der erste Job in meinem Leben, der mir wirklich richtig viel Freude bereitet hatte und in dem ich mich voll und ganz meiner Leidenschaft für Personalmarketing und Karriereseiten widmen konnte -, ich war ziemlich mutlos und verzweifelt und hatte viel Zeit. Und so fing ich einfach mal an zu bloggen, ohne jegliches Ziel, ohne jeden Plan. Ich wollte einfach nur mal wissen, wie das geht und wie sich das anfühlt. Von Anfang an schrieb ich darüber, was in den Unternehmen bei der Bewerberansprache schief läuft. Ich war seinerzeit der erste, der Kritik geübt hat. Alle anderen Blogger waren mehr im Weichspülmodus unterwegs und wollten es sich wohl keineswegs mit potenziellen Kunden (oder ihren Chefs) verscherzen. Ich war da komplett frei und konnte einfach ich sein. Was ich da schrieb, gefiel nicht jedem. Schnell hatte ich den Ruf des „Enfant terrible des Personalmarketing“ oder, weniger charmant, den Ruf als Nestbeschmutzer weg. Dennoch gab es wohl einige, die das, was ich da schrieb, ziemlich gut fanden, erkannten, dass ich mit dem, was ich da schreibe, komplett richtig liege und mich fragten, ob ich sie nicht beraten könne. Und so kam es dann, dass ich mich nach einem Jahr eifrigen und polarisierenden Bloggens selbstständig machte. Meinem Stil bin ich trotzdem treu geblieben. Dass ich einer der wenigen Blogger bin, die das Ganze nun seit vielen Jahren kontinuierlich machen, das, was ich sage, Hand und Fuß hat, ich es schaffe, Fakten und relevante Themen unterhaltsam aufzubereiten und ich darüber hinaus viel dafür tue, die HR-Community zu stärken und zu vernetzen (personalblogger, Personaler Late Night, HR-NIGHT, Personalerfrühstück…) und ich einfach ehrlich und bodenständig bin, mag vielleicht meinen Erfolg erklären… Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich die Themen einfach und ehrlich angehe, ohne mich zu verstellen und die Menschen da draußen meine Beiträge sehr hilfreich und inspirierend finden…
Peter: Du bist für Deine spitze „Feder“ und die hohe Aktualität Deiner Posts bekannt. Wo hast Du das Schreiben gelernt?
Henner: Puh… Geschrieben habe ich eigentlich immer schon gerne. Allerdings nie so viel, wie heute. Ich glaube, meine Begeisterung fürs Lesen, insbesondere für Geschichten von Ephraim Kishon, Mark Twain (der hat weitaus mehr geschrieben, als nur Tom Sawyer und Huck Finn und war ein begnadeter Satiriker), Manfred Schmidt und natürlich Loriot, haben meinen Schreibstil und meinen Wortschatz maßgeblich geprägt. Interessanterweise war dieses Talent über viele Jahre verschüttet und ist erst durch die Bloggerei zu neuer Blüte gekommen. Und: Es macht mir einfach sauviel Spaß, einfach drauf los zuschreiben…
Peter: Wie kommst Du auf die jeweiligen Themen oder vielleicht kommen auch die Themen zu Dir?
Henner: Sowohl als auch. Die Themen liegen eigentlich auf der Straße. Oder, im übertragenen Sinne, im Browser. Recruiting-Plakate, Kneipenpostkarten, Imageanzeigen in Magazinen, Karriereseiten, Bewerbungsformulare, Personalmarketingkampagnen, Pressemitteilungen, die zuhauf in meinem Postfach landen uvm. bieten einen schier unerschöpflichen Fundus an Inspiration. Und dann sind da noch die Erfahrungen meiner Kunden oder Mitglieder der HR-Community, die mir manchmal wirklich die Nackenhaare sträuben und wo mir immer wieder klar wird, dass das, was wir Fachkräftemangel nennen, meistens Versagen auf ganzer Linie ist.
Peter: Nach meinen Erfahrungen sehen viele Firmen den Recruiter-Job als Nebenbei-Aufgabe oder auch geeignet als Einstiegsposition im Bereich HR. Dies kann aus meiner Sicht auf Dauer nicht funktionieren. Was muss sich hier ändern?
Henner: Peter, diese Erfahrung teile ich voll und ganz. Siehe oben 😊. Diejenigen, die mit dem Thema Personalgewinnung befasst sind, müssen einfach verstehen, dass die Zeiten, wo die Bewerber Schlange standen, lange vorbei sind. Ein Zustand, den viele Unternehmen selbst verschulden, gilt doch die Devise des ewigen Wachstums. Jeder, der bis drei zählen kann und über einen halbwegs ausgeprägten Menschenverstand verfügt, wird verstehen, dass das, was uns in Sachen Marktwirtschaft und in den BWL-Vorlesungen postuliert wird, nicht funktionieren kann. Wachstum ist endlich. Gier ist nicht gut. Wir sehen das sehr schön am Arbeitsmarkt: Bewerbermärkte werden enger, ja. Die Nachfrage übersteigt schon bald das Angebot. Weil die Unternehmen natürlich auch nur die „Besten“ haben wollen. Sie sind aber nicht bereit, das entsprechend wertzuschätzen. Wenn ich mir anschaue, was eine Freundin von mir derzeit bei der Jobsuche erlebt, wundert mich gar nichts mehr. Diejenigen, die sich ums Recruiting kümmern, haben immer noch nicht verstanden, dass sich der Markt gewandelt hat, dass wir einen Bewerbermarkt haben. Das Schnelligkeit, Transparenz und Wertschätzung das A & O in der erfolgreichen Ansprache potenzieller Mitarbeiter sind. Das hat allerdings nicht nur HR in der Breite noch nicht verinnerlicht, das haben auch Geschäftsführer und Vorstände und andere unfähige Führungskräfte noch nicht verstanden. Was auch erklärt, dass – obwohl sich der Arbeitsmarkt komplett geändert hat, obwohl wir uns komplett geändert haben, obwohl sich die Welt, in der wir leben, komplett geändert hat – Recruiting immer noch so gemacht wird, wie vor 10 oder 20 Jahren. Wird sich das nicht ändern, werden Unternehmen nach und nach alle vor die Wand fahren. Man nennt das wohl natürliche Selektion, insofern ist das auch gut so 😉 Umso wichtiger ist es also, Ressourcen zu schaffen, am Ball zu bleiben, neue Wege zu gehen, neue Zielgruppen zu erschließen, neue Arbeitsformen zu etablieren usw. Das allerdings ist mit der bisher überwiegend dominierenden Sachbearbeiter-Attitüde kaum zu schaffen. Das Mindset muss sich ändern. Aller Beteiligten.
Peter: Eine wichtige Entwicklung ist der zunehmende Einsatz von Recruiting-Technologien bzw. -Technik, von vielen Recruitern mit zunehmender Angst betrachtet. Wieviel Mensch und wieviel Technik braucht das moderne Recruiting?
Henner: Zu Recht eigentlich. Moderne Technik schafft heute locker das, was ein Sachbearbeiter zu leisten in der Lage ist. Wenn ich mich nicht auf neue Technologien einlasse, habe ich das Nachsehen. Da frage ich mich, wo ist das Problem: Die Menschen laden sich Dating-, Liefer-, Shopping- und Banking-Apps und noch vieles mehr auf ihr Handy, was heute weitaus mehr kann, als noch vor 10 Jahren und sind da bereit, jeden Trend mitzumachen, sobald es aber um ihren Job geht, verharren sie wie vor 10 Jahren? Da passt was nicht… Meiner Meinung nach kann Technik nie den Menschen ersetzen. Der menschliche Kontakt und auch das Bauchgefühl sind mir um vieles lieber, als irgendwelche per KI durchgeführte Auswahlprozesse. Technologie hat durchaus ihre Berechtigung: etwa bei der Auswertung von Recruiting-Kennzahlen oder um Bewerbungsprozesse effizienter zu gestalten. Allerdings sollte man sich auch immer die Frage stellen, ob es ethisch korrekt ist und einer Organisation wirklich weiterhilft, einen Menschen durch eine Maschine zu ersetzen. Siehe etwa die „Kassierautomaten“ bei Rossmann oder die Checkin-Schalter der Lufthansa.
Peter: Jetzt noch eine Frage zum weiten Thema Künstliche Intelligenz und Machine Learning im Recruiting – einem Thema, dem ich mit etwas Skepsis begegne. Inwieweit haben sich nach Deinen Erfahrungen entsprechende Lösungen schon durchgesetzt oder geht doch nur um erste "Piloten". Wie lange müssen wir auf einen großflächigen Einsatz noch warten?
Henner: Siehe oben. Ich sehe es ähnlich wie du, mit großer Skepsis. HR springt – mal wieder – unüberlegt auf irgendeinen Trend auf. Nehmen wir die Chatbots, die sich mittlerweile auf einer zunehmenden Anzahl von Karriere- oder Facebookseiten finden. Deren Qualität ist unterirdisch. Was diese Helferlein können, spottet jeder menschlichen Intelligenz. Dennoch setzen Unternehmen auf diese Tools, weil deren Anbieter ihnen einen Effizienzgewinn versprechen. Gleiches gilt für Sprach- oder Schreibsoftware, die angeblich in der Lage sein will, einen Bewerber anhand des gesprochenen Wortes oder der Schrift zu beurteilen. Ganz zu schweigen, von einer selbst ernannten Profilerin, die den psychogenetischen Code entschlüsselt haben will :D. Der Einsatz all dieser Tools und auch der Erfolg dieser Anbieter ist doch letztendlich nur deswegen möglich, weil HR auf eine schnelle, One-size-fits-all-Lösung hofft, die sie copy and paste überall einsetzen können. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie etwa Googles Cloud Talent Solution, die das Herzstück von Google for Jobs darstellt und eine Jobsuche ermöglicht, wie es sie so bisher nicht gegeben hat. Apropos Google for Jobs: Da siehst du mal wieder wunderbar, wie HR eine großartige Technologie verschläft, die Unternehmen mehr Reichweite und mehr Bewerber verschaffen könnte. Und warum? Weil HR sich nicht mit solchen Themen auseinandersetzt. Stichwort Sachbearbeiter-Attitüde, siehe oben…
Peter: Du wirst ja in Deiner Keynote über die perfekte Bewerbervermeidungsstrategie sprechen. Diese wird ja von einigen Firmen mit großem Erfolg umgesetzt. Was sind aus Deiner Sicht die wichtigsten Voraussetzungen, um eine erfolgreiche Bewerbergewinnungsstrategie zu entwickeln und einzuführen?
Henner: Ich würde eher sagen: von den meisten. Die wichtigste Voraussetzung ist die, dass ich als Unternehmen überhaupt aktiv werde. Dass ich als Arbeitgeber sichtbar bin, dass ich für Reichweite sorge. Und zwar dort, wo sich meine Zielgruppe tummelt. Das ist aber nur möglich, wenn Vorstand oder Geschäftsführung die Wichtigkeit dieses Themas erkennen, wenn Unternehmen dafür die notwendigen Ressourcen schaffen und wenn alle Beteiligten bereit sind, sich mit allem rund um Bewerberansprache auseinanderzusetzen, bereit sind, neue Technologien kennenzulernen und einfach mal ausprobieren. Post & pray, wie es in der Mehrzahl der deutschen Unternehmen praktiziert wird, funktioniert nicht mehr.
Peter: Meine Standardfrage zum Schluss. Du warst im letzten Jahr als Teilnehmer beim HR Innovation Day dabei. Warum kommst Du diesmal als Keynote-Speaker nach Leipzig?
Henner: Peter, ich war letztes Jahr das erste Mal dabei. Und das Format hat mir richtig, richtig gut gefallen! Einfach ein anderer Ansatz, eine andere Location und spannende Themen, die du sonst so in diesem Standardbrei an Konferenzen, „Festivals“, wie man so was ja jetzt auch nennt, oder Tagungen nicht hast. Hinzu kommt die einmalige Atmosphäre einer Hochschule. Und ein Professor, der wohl als einziger Professor für HR-Themen, so aktiv die Szene mitgestaltet, wie du. Zumindest nehme ich das so wahr. Insofern ist es für mich eine große Ehre und Freude, deine Veranstaltung um einen bescheidenen Beitrag zu bereichern.
Peter: Herzlichen Dank für das Feedback und für dieses Interview. Ich freue mich riesig auf Deine Keynote am 25. Mai 2019 in Leipzig.
Wenn sich jemand überhaupt HR-Influencer nennen kann, dann Henner Knabenreich. Er ist Meinungsbildner, Diplom-Kaufmann (FH), HR-Blogger, Berater, Autor, Kolumnist und Geschäftsführer der knabenreich consult GmbH. Er gehört zu den Ersten, die sich in Deutschland mit den Themen E-Recruiting und digitales Personalmarketing intensiv beschäftigt haben. Sein Blog „personalmarketing2null.de“ zählt zu den einflussreichsten und am häufigsten gelesenen in Deutschland. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Personalmarketing sowie Initiator und Keynote-Speaker verschiedener Events.
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