Was tun in der Corona-Krise? Zu dieser Frage hat mich David Hajizadeh von Staffboard Anfang Mai 2020 zu Herausforderungen, Strategien und Chancen in der Corona-Krise befragt. Ich habe dieses Interview sehr gern geführt und möchte dies auch in meinem Blog posten. In Anbetracht der vielen Fragen, die sich gerade jetzt zum Restart nach "Corona" bzw. zum Thema "Next Normal" stellen, habe ich einige Antworten modifiziert und z.T. auch mit den Erfahrungen aus den letzten Wochen erweitert.
Themenfeld: "Risiken, Herausforderungen und Auswirkungen der Krise"
staffboard: Herr Wald, Sie sind Professor für Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig und waren davor langjährig in leitender Position im Personalbereich tätig: Welche Herausforderungen sehen Sie durch die aktuelle Corona-Krise auf (kleinere) Unternehmen zukommen, speziell im Kontext Ihrer Expertise aus Theorie und Praxis?
Peter M. Wald: Die derzeitige Situation stellt sich sehr differenziert dar und bringt für alle Betroffenen – Firmen wie Mitarbeiter – komplexe und vor allem bislang ungeahnte Anforderungen mit sich. Stehen einige Unternehmen vor extremen Belastungen ihrer Handlungsfähigkeit, was die Nachfrage nach ihren Leistungen und Produkten angeht, kämpfen andere Firmen um das Überleben. In ihrer Mehrheit verfügen die Unternehmen über keinerlei Erfahrungen im Umgang mit den derzeitigen Herausforderungen und befinden sich in einem ständigen Lern- und Anpassungsprozess. Dies betrifft auch die Mitarbeitenden, die häufig vor der Herausforderung stehen, ein neues Verhältnis zwischen Arbeit und Leben bzw. der Familie zu finden. Bei den Mitarbeitenden bringt die Situation vielfältige Ängste und Befürchtungen mit sich, die sich zum Teil auch bewahrheitet haben. Gewachsene Beziehungen und gegenseitiges Vertrauen wurden und werden auf die Probe gestellt und es hat sich gezeigt, wer wirklich Vertrauen verdient. Auch jetzt gilt es zu beweisen, dass Zusammenhalt keine leere Worthülse ist. Es ist verständlich, dass die Menschen aber auch die Unternehmen erwarten, rechtzeitig und offen von Plänen und Absichten zu erfahren, die Konsequenzen für sie selbst und ihr konkretes Umfeld haben. Dies betrifft insbesondere die gegenwärtig erfolgten ersten Schritte in die Normalität und die Planungen zum weiteren Umgang mit der Pandemie.
Warum ist das aus Ihrer Sicht “mission critical” für viele (kleinere) Unternehmen und damit potentiell gefährlich für deren Fortbestehen?
Die meisten Unternehmen waren auf Situationen dieser Art nicht vorbereitet. Viele und hier gerade die kleineren Unternehmen verfügen weder über die nötigen Mittel noch über die Instrumente, um diese besonderen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Hierbei denke ich nicht nur an finanzielle Ressourcen, sondern auch an die Unternehmen, die gerade nicht auf die häufig diskutierten Home-Office-Möglichkeiten zurückgreifen können. Besonders kritisch sieht es bei einigen der mir bekannten Startups aus, bei denen diese Krise zur Unzeit kam. Ihnen fehlten plötzlich die Möglichkeiten, ihre als aussichtsreich eingeschätzte Geschäftsentwicklung wie geplant voranzutreiben. Alternative Optionen stehen häufig nicht zur Verfügung. Ich bin sehr froh, dass nicht alle, aber viele der hier erwähnten Startups die derzeitige Situation und die Zukunft optimistischer einschätzen.
Themenfeld: "Mitarbeiter, Führung und HR"
Was macht diese Situation mit den Menschen? Welche Effekte erwarten Sie für die Führungskräfte und Mitarbeiter in (kleineren) Unternehmen? Was braucht es, um zielgerichtet damit umzugehen?
In den letzten Wochen wurde gerade der besondere Zusammenhalt und das Engagement der Mitarbeiter in kleineren Unternehmen auf eine harte Probe gestellt. Die Unsicherheit erstreckt sich nicht nur auf die Arbeitssituation, sondern auch auf Familien, Kinder und den Kreis der Angehörigen. Es darf nicht vergessen werden, dass viele Mitarbeiter auch ihre persönlichen Dinge ständig regeln müssen. Im Zuge der Nutzung von Home-Office-Lösungen ist oftmals ein sehr forderndes Work-Family-Blending entstanden. Unternehmen haben in den meisten Fällen erkannt, wie Mitarbeiter mit der Situation umgehen und wo konkrete Hilfe besonders wichtig ist. Zum Themenbereich Führung: Die Stärke von Führung und Zusammenarbeit hat sich gerade in den letzten Wochen gezeigt. Dabei sind Führungskräfte besonders gefragt, denn Mitarbeiter, die noch nicht über Erfahrungen mit der Zusammenarbeit auf Distanz verfügen, fühlen sich von den gegenwärtigen Herausforderungen zeitweise überfordert, haben aber mittlerweile gelernt damit umzugehen. Hinzu kommt jedoch die Einsicht, dass Führung und Zusammenarbeit auch anders als bisher funktionieren kann. Viele haben erlebt, dass Wertschätzung und Achtsamkeit auch unter virtuellen Bedingungen vermittelt werden kann. Es muss jetzt darum gehen, diese Erfahrungen zu vergemeinschaften und kulturell zu verankern. Es darf nicht dazu kommen, dass die Uhren wieder zurückgedreht werden ("Back to the Office" oder Normal statt Next Normal).
Wie bewerten Sie – gerade aus Ihrer Erfahrung in der HR Praxis sowie als Hochschulprofessor – die Rolle von HR (Human Resources / Human Relations / Personalwesen)? Was kann – oder sogar: muss – HR tun, um eventuell gegenzusteuern und die Organisation weiter zu stabilisieren?
HR war in der ersten Tagen und Wochen vor allem als Krisenmanager gefragt. Nach der recht zögerlichen Nutzung von digitalen Lösungen zur Flexibilisierung der Arbeit in der Vergangenheit mussten jetzt neue Arbeitsformen ganz schnell umgesetzt werden. HR war jetzt plötzlich als Gestalter neuer Arbeitsweisen aber auch als Experte zu rechtlichen und organisatorischen Themen gefragt. Es sollte in Zukunft unbedingt darum gehen, diese Gestalterrolle aktiv und ständig auszuüben und als Personalmanagement mit Standing zu agieren. Veränderungen können gerade jetzt vorbereitet, wenn nicht sogar auf den Weg gebracht werden. HR sollte die Zeit nutzen, um beim Übergang in die Normalisierung die gewonnen Erfahrungen mit flexiblen Lösungen zu integrieren. Es darf keinen Rückfall in die alte Normalität geben. Und: Gerade jetzt informieren sich viele Menschen über Unternehmen und die Möglichkeiten einer Mitarbeit. Dies sollte Anlass für ein kluges Employer Branding und den systematischen Aufbau von Beziehungen zu wichtigen Talenten sein. Das an vielen Stellen zu beobachtende Zurückfahren nahezu aller Recruitingaktivitäten und die mangelnde Beachtung der eigenen Signale nach außen wird sich aus meiner Sicht in Zukunft "rächen".
Themenfeld: "Digitalisierung, Kompetenzen und Mindset"
Welche Sofortmaßnahmen können (kleinere) Unternehmen direkt ergreifen, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben? Gibt es eventuell ganz konkrete Handlungsanweisungen speziell aus Ihrer Perspektive?
Hier braucht es nicht nur die gezielte Weiterentwicklung vorhandener Kompetenzen, sondern auch breitere Verteilung von Verantwortung im Unternehmen. Hinzu kommt die Notwendigkeit sich außerhalb der Unternehmen zu vernetzen. Es kann durchaus hilfreich sein, sich Rat und Hilfe bei Partnern zu holen, die bereits über weitergehende Erfahrungen verfügen. Dafür gibt es meines Erachtens derzeit zahlreiche Online-Angebote und später bestimmt auch wieder Offline-Formate. Ohne Mut zur Offenheit, den Willen zur gegenseitigen Unterstützung und auch langen Atem wird dies jedoch nicht funktionieren.
Welche Rolle kann Digitalisierung spielen, um Antworten in der Krise zu finden? Können digitale HR-Lösungen hier einen Mehrwert bringen?
Digitalisierung ist extrem wichtig, dabei darf aber nicht vergessen werden, dass sie immer nur Mittel zum Zweck ist. Als Hilfsmittel und intelligente Werkzeuge können digitale Lösungen gerade im HR-Bereich große Erleichterungen für alle Akteure bringen. Sie müssen aber funktionieren und setzen eine entsprechende Anwendungskompetenz voraus. Dabei kommt es darauf an, wie die Nutzer diese Lösungen erleben. Digitale Angebote dürfen jedoch nicht dazu führen, dass sich Führungskräfte zurückziehen und weniger auf den Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu den Mitarbeitenden setzen. Aktuell sind in vielen Fällen die Entscheidungen zur Digitalisierung vertagt - wobei jedoch in den letzten Wochen an vielen Stellen intensiv mit digitalen Hilfsmitteln gearbeitet wurde. Die Fragen zur Digitalisierung werden sich jetzt mit großer Schärfe stellen. Bestehende Kompetenzlücken sind zu benennen und es ist sind unbedingt die notwendigen Lernprozesse zu initiieren. Es gibt Unternehmen, die die letzten Wochen für die anstehenden Lernprozesse bewusst genutzt haben.
Themenfeld: "Chancen, Gewinner und Ausblick"
Lassen Sie uns eine Plattitüde bemühen: Gemeinhin heißt es, dass jede Krise auch neue Chancen mit sich bringt. Wie bewerten Sie das in diesem Kontext? Welche Chancen sehen Sie und warum?
Allein das Wissen darum, dass der Status quo endlich ist und das vieles nicht mehr so sein wird, wie es vor der Pandemie war, dürfte den Blick auf Künftiges verändern. Chancen ergeben sich vor allem aus den gewonnenen Erfahrungen. Ich denke dabei an die neuen Formen und Medien zur Zusammenarbeit und bei der Führung, die letztlich auch kulturelle Veränderungen mit sich bringen. Diese Erfahrungen künftig aktiv zu nutzen, darüber offen zu diskutieren sowie begonnene Entwicklungen fortzuschreiben sind wichtige Aufgaben. In diesem Zusammenhang verdienen gerade Lernprozesse eine deutlich höhere Aufmerksamkeit als bisher. Ohne systematisches miteinander und voneinander Lernen werden kommende Herausforderungen nicht zu bewältigen sein. Aus dem aktuellen Umgang mit den Veränderungen muss gelernt werden. Hierbei sollte auch der Stellenwert langfristiger Beziehungen zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen thematisiert werden.
Auch wenn Sie kein Hellseher sind interessiert uns Ihre Einschätzung: Welche Unternehmen beziehungsweise Branchen werden aus Ihrer Sicht am meisten profitieren, wenn die Krise wieder vorbei ist und so etwas wie “Normalität” einkehrt? Warum gerade die von Ihnen genannten?
Meine Antwort beziehe ich weniger auf Branchen und konkrete Firmen, sondern verweise auf die Unternehmen, denen es gelingt, gerade jetzt zu lernen und ihre Zusammenarbeit neu auszurichten. Das Lernen umfasst dabei zum Einen die gezielte Nutzung von digitalen Hilfsmitteln für Führung und Zusammenarbeit aber zum Anderen auch, wie es gelingt, den Mitarbeitenden Vertrauen, Wertschätzung und Zusammenhalt zu vermitteln. Mitarbeitende werden ihre im Zusammenhang mit der derzeitigen Situation gemachten Erfahrungen bestimmt nicht schnell vergessen. Das von mir erwähnte Lernen wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen und ein - wenn nicht sogar DER - kritische(r) Erfolgsfaktor für viele Unternehmen sein.
Was ist aus Ihrer Sicht darüber hinaus noch wichtig zu wissen für unsere Leser?
In vielen meiner Statements geht es mir um eine nachhaltige Sensibilisierung der Personaler für neue Arbeitsweisen und den zielgerichteten Einsatz digitaler HR-Werkzeuge. Hier ist jedoch künftig mehr Selbstreflexion und eine kluge Abschätzung der Risiken gefragt. Nicht zuletzt müssen auch die Fragen des Umgangs mit Populismus und Rassismus durch HR häufiger als bisher diskutiert werden. Für HR bedeutet dies insgesamt eine nachhaltigere Positionierung als glaubwürdiger Partner von Mitarbeitenden und Führungskräften. Diese Positionierung muss sich ständig an ethischen Standards messen lassen.
Es braucht immer einen konkreten Anlass für ein Innehalten und das Nachdenken. Deshalb auch an dieser Stelle eine herzlicher Dank an Staffboard für die Aufforderung zu diesem Interview.
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