Studien mit Aussagen zu Fragen von digitaler Transformation und Führung stoßen verständlicherweise immer auf mein Interesse. Und wenn es sich dann noch um eine Studie mit vielen Bezugspunkten zu digitaler Führung und HR handelt und die digitale Transformation nicht als ausschließlich technisch-organisatorische Herausforderung betrachtet wird, ist das Interesse umso größer. All dies trifft auf die aktuelle Studie von Accenture mit dem Titel „Honing your digital edge - Global Digital Fluency Study" eindrucksvoll zu.
Ich bin sehr froh, dass mir Shirley Sheffer – Managing Director bei Accenture und verantwortlich für den Themenbereich Talent & Organization - für ein Gespräch zu den Ergebnissen dieser Studie zur Verfügung steht.
Wald: Herzlichen Glückwunsch zur vorliegenden Studie! Ich freue mich, dass ich Ihnen einige Fragen zu dieser interessanten und aktuellen Studie stellen darf.
Sheffer: Vielen Dank Herr Wald, ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen!
Wald: Viele Leser werden sich fragen, warum schon wieder eine Studie zum Thema „Digitale Transformation“. Wie ist Ihr Verständnis von Digitaler Transformation? Und vornweg gefragt: Was macht Ihre Studie einzigartig?
Sheffer: Für mich ist die Digitale Transformation die Zukunft, welche wir heute schon gestalten können. Die digitale Transformation stand schon länger auf der Agenda von Unternehmen, aber in den letzten 12 Monaten wurde sie zur überlebenswichtigen Notwendigkeit. Unsere Forschung hat ergeben, dass digitale Organisationen starke Effizienzen in den Bereichen Innovation, Mitarbeitererfahrung und Kundenwert erzielen. Die Accenture Global Digital Fluency Study 2020 hat vier digitale Personas entwickelt, die für unterschiedliche Typen digitaler Mitarbeiter stehen. Sich mit eben diesen Personas auseinanderzusetzen, ermöglicht es Führungskräften, diese in ihrer eigenen Belegschaft zu identifizieren und Qualifikationslücken zu schließen. Dieser auf Mitarbeitende zugeschnittene Ansatz macht unsere Studie nicht nur vor dem Hintergrund der Pandemie relevant, sondern zeigt darüber hinaus den Stellenwert von digitaler Transformation für den Einzelnen.
Wald: Für ein überaus interessantes Ergebnis der Studie halte ich das hier vorgestellte Konzept der digitalen Kompetenz ("Becoming digitally fluent: A framework"). Hier werden die verschiedenen Aspekte digitaler Kompetenz sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar zusammengefasst. Können Sie etwas zur Entstehung und zum Aufbau dieses Konzeptes sagen?
Sheffer: Das Konzept basiert auf unserer jahrelangen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den führenden und größten Unternehmen. Wir arbeiten heute oftmals in sogenannten „Co-creations“ mit unseren Kunden zusammen. Wir erarbeiten also schrittweise und iterativ gemeinsam Konzepte. Das Framework basiert auf verschiedenen Elementen, die für uns wesentlich sind, wenn es darum geht, „digitally fluent“ zu sein.
Wald: In der Studie wird herausgearbeitet, dass Mitarbeitende nicht nur Zugriff auf digitale Werkzeuge und entsprechendes Training, sondern auch Führung und kulturelle Unterstützung benötigen, um Ihr volles Potenzial entfalten zu können. Dies werden viele ähnlich sehen, was verstehen Sie hier konkret unter kultureller Unterstützung?
Sheffer: Kulturelle Unterstützung ist für uns die Basis, der Nährboden, welcher es jedem einzelnen Mitarbeitenden ermöglicht, seine Unternehmenswerte zu leben. In einem Umfeld, welches die Unternehmenskultur wohlwollend fördert und hierfür Raum und Zeit erlaubt und einräumt, können Mitarbeitende voller Vertrauen innovativ denken, neue Möglichkeiten schaffen und ihr Potenzial heben. Das sind alles essenzielle Aspekte von digitaler Transformation. Kultur unterstützt Mitarbeitende wie Führungskräfte auf diesem Weg. Es geht dabei weniger um Fähigkeiten, welcher jeder Einzelne erlernen kann, sondern viel mehr um den Mindset, die Einstellung und das Miteinander.
Wald: In vielen Unternehmen gibt es nach wie vor Defizite beim Training für die Anwendung digitaler Werkzeuge. Vieles ist hier gerade im Zuge der Pandemie im „Do it yourself-Modus“ erfolgt. Was halten Sie davon? Sollte hier nicht nachgebessert werden?
Sheffer: Auf der einen Seite ist es großartig zu sehen, was wir alles erreichen können, wenn wir nur müssen. Die Pandemie hat uns gezeigt, was alles im Sinne von „New Work“ möglich ist, und war ein Katalysator für die Trends, welche wir schon lange auf dem Markt gesehen haben. Dennoch ist es wichtig, genau jetzt gezielt nachzuvollziehen, was Unternehmen brauchen um „digitally fluent“ zu sein, und diese Aspekte koordiniert anzugehen. Ein Beispiel: Einige der Collaboration-Tools werden nur für Audio- und Video-Calls genutzt, stellen aber in Wirklichkeit sehr viel mehr Funktionalitäten zur Verfügung, welche gemeinsames Arbeiten auf ein nächstes Level heben könnten. Hier bedarf es also intensiverer Nachbesserung, was Wissen und Fähigkeiten der Anwender angeht. Es ist ein großer Unterschied, ob Kollaboration beispielsweise über Calls definiert wird oder ob Chats wichtiger als die Inbox werden – dann ändern sich wirklich die „ways of working“ und hier müsste man jetzt genauer nachschärfen: Welches Verhalten wird erwünscht, soll verstärkt werden und wie können digitale Tools helfen.
Wald: In der vorliegenden Studie haben Sie 4 spezifische Arten von digitalen Mitarbeitenden identifiziert. Können Sie Remote Collaborator, Disciplined Achiever, Adaptive Team Player und Relentless Innovator entwas näher erläutern?
Sheffer: Sehr gerne. Der Remote Collaborator ist sehr motiviert und empfindet ein starkes Zugehörigkeitsgefühl für sein Unternehmen. Er ist jedoch auch neu in der digitalen Arbeitswelt und wünscht sich daher intensive Unterstützung von seinen Führungskräften und möchte die Vorteile technologischer Lösungen verstehen und erlernen. Der Disciplined Achiever fühlt sich ebenfalls stark seiner Arbeit verbunden, wünscht sich jedoch von seinem Arbeitgeber vor allem klare Strukturen und Verantwortlichkeiten. Um „digitally fluent“ zu werden, benötigt er vor allem einen genauen Lernpfad und Ziele, um die benötigten Fähigkeiten zu aufzubauen. Zu den Adaptive Team Playern zählen meist jüngere Mitarbeitende und Berufseinsteiger, die es nicht gewohnt sind, tagtäglich von Zuhause zu arbeiten und die persönliche Interaktion mit Kollegen vermissen. Diese Persona wünscht sich ein kollegiales Umfeld und stetigen Austausch mit Kollegen und Vorgesetzten. Lern-Module sind in diesem Fall geeignete Werkzeuge, um gemeinsam mit anderen neue Technologien zu erlernen. Fehlt noch der Relentless Innovator, meist eine gut ausgebildete Führungsperson, stark motiviert und ambitioniert, welche durch eine Führungsrolle die digitale Welt erkunden möchte.
Wald: : Interessant finde ich auch den in der Studie verwendeten mitarbeiterbezogenen Technologie Quotienten (TQ). Die erwähnte Kombination von Einstellung, Fähigkeiten und sozialer Relevanz korrespondiert mit der oft zitierten Formel von Mindset, Skillset und Toolset erweitert diese jedoch um die soziale Bedeutung. Könnten Sie kurz Ihr Verständnis der sozialen Relevanz erläutern?
Sheffer: Das soziale Umfeld spielt eine bedeutende Rolle für den Technologie Quotienten (TQ), da sowohl unser Leben als auch unsere Arbeit von sozialen Abhängigkeiten und Geflechten geprägt ist. Die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, kommunizieren, und eben auch voneinander lernen, hängt stark von unseren sozialen Beziehungen ab.
Wald: Wie sollten Unternehmen mit diesen digitalen Mitarbeitenden umgehen? Welche Konsequenzen für HR bzw. die Personalarbeit lassen sich hier ableiten?
Sheffer: Für Unternehmen hat das zur Folge, dass sie die digitale Transformation vorantreiben müssen, um ihre Mitarbeitenden im Unternehmen zu halten, neue Perspektiven zu schaffen und wiederum talentierte Mitarbeitende anzuziehen. Durch das Angebot von Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten erlernt die Belegschaft Mindset, Skillset und Toolset und gestaltet so den Kulturwandel im Unternehmen aktiv mit.
Wald: Viele sprechen mittlerweile von einem „Digital Divide“ in den Unternehmen – zwischen den Mitarbeitern, die digitale Werkzeuge benutzen und bei denen dies nicht der Fall ist. Wie kann digitale Kompetenz auch bei den letztgenannten Mitarbeitern vermittelt werden?
Sheffer: Hier spielen die Unternehmenskultur und Wissensmanagement entscheidende Rollen. Grundsätzlich ist eine diverse und inklusive Unternehmenskultur hilfreich, damit Mitarbeitende mit unterschiedlichem Kenntnisstand voneinander lernen können. Führungskräfte als Vorbilder und das Incentivieren der Mitarbeitenden im Alltag spielt hier eine große Rolle. Will man Verhaltensänderungen herbeiführen, dann muss man hierfür natürlich motivieren und auch Konsequenz zeigen. Der Mensch an und für sich verändert sich ja nicht so gerne.
Wald: Hier vertrete ich eine ähnliche Meinung. Ich danke Ihnen herzlich für dieses informative und offene Gespräch. Für die Zukunft wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und noch zahlreiche so interessante Studien
Sheffer: Vielen Dank, Herr Wald!
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