Heute geht es erneut um den Evergreen Arbeitszeit. Im Vordergrund steht dabei die Vorstellung eines konkreten Projekts im Bereich von Deskless Workern. Im Rahmen dieses Projektes soll/wurde nicht auf Altbewährtes - wie ein klassisches Vollkonti-Modell - zurückgegriffen, sondern es geht hier um die aktive Nutzung von Gleitzeit und selbstbestimmter Gruppenarbeit im gewerblichen Bereich. Dies dürfte einen hohen Neuigkeitscharakter haben und ich freue mich deshalb sehr auf das erneute Gespräch mit dem Arbeitszeitexperten Guido Zander. Darüber kann ich Guido Zander auch zu seinem brandaktuellen Projekt - einem Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in - befragen.
Wald: Gern möchte ich heute an das letzte Gespräch mit Ihnen anknüpfen. Aber zu Beginn die Frage nach Ihrem aktuellen Projekt – einem Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in. Was hat Sie auf die Idee gebracht diesen Lehrgang zu konzipieren und bereits in diesem Jahr anzubieten?Zander: Aus unserer Sicht ist das Thema Arbeitszeit mittlerweile strategisch enorm wichtig für die Unternehmen. Mit keinem anderen Thema hat man gleichzeitig Einfluss auf Wirtschaftlichkeit, Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sowie Arbeitgeberattraktivität. Gleichzeitig erleben wir in den Projekten, dass es in vielen Unternehmen niemanden gibt, der bzw. die sich mit dem Thema in der Tiefe beschäftigt oder auskennt. Das führt dazu, dass es in den meisten Unternehmen Standardgleitzeitmodelle und Standardschichtpläne gibt. Von Innovation ist wenig zu spüren. Und auch bei unseren Projekten wäre es hilfreich, jemanden im Unternehmen zu haben, der bzw. die die Materie kennt. Daher haben wir uns entschlossen, unser gesammeltes Know-how aus 25 Jahren Erfahrung und mehreren hundert Beratungsprojekten in einem zertifizierten Lehrgang zur/m NEW WORKforce Manager/in weiterzugeben. Der Lehrgang erstreckt sich über ein halbes Jahr und ist eine Mischung aus Präsenz und Online-Veranstaltungen. Nach jeder Theorieeinheit gibt es für die Teilnehmenden Aufgabenstellungen, in der die etwas angestaubte Traditions GmbH in ein in Bezug auf Arbeitszeit modernes Unternehmen transformiert werden soll. Die Lösungen werden dann in einem Gruppencoaching besprochen.
Wald: Wer sollte an diesem hybriden Lehrgang teilnehmen?Zander: Der Fokus liegt auf HR-Mitarbeitende oder Führungskräfte bzw. Schicht- und Personaleinsatzplaner. Aber auch Consultants von Softwarefirmen mit Workforce Management-Background können profitieren, wenn sie neben der Software einen breiten Blick auf das Thema haben. Letztendlich kann aber natürlich auf jeder teilnehmen, der am Thema Interesse hat. Der Lehrgang liefert Lösungen für alle Branchen und Beschäftigte sowohl in Angestellten- als auch in gewerblichen bzw. operativen Bereichen.
Zander: Erstmal muss man sagen, dass es natürlich vom Fertigungstyp abhängt, wie man Arbeitszeit gestaltet. Wenn man z.B. in der chemischen Industrie Anlagen hat, die durchgängig betrieben werden müssen oder Anlagen enorme Anlaufkosten haben, dann muss man natürlich auch vollkontinuierlich arbeiten. Es gibt aber auch sehr viele Unternehmen, die eine Fertigung jederzeit unterbrechen können und dadurch keine Mehrkosten haben. Und hier findet oft keine Gesamtkostenbetrachtung statt und man geht automatisch davon aus, dass die Nutzung der Anlagen und des Platzes durch Mehrschicht bzw. Vollkonti immer billiger ist, als die Erweiterung von Flächen. Wenn man aber sieht, dass Schichtarbeit enorme Zusatzkosten durch Nach-, Sonntagszuschläge deutlich höhere Krankenquoten, hohe Fluktuation etc. hat und man das mal auf 10 Jahre hochrechnet, muss eine Hallenerweiterung nicht zwingend teurer sein. In dem konkreten Fall geht es um ein Unternehmen, das Maschinen entwickelt und in mehreren Fertigungsinseln taktbezogen montiert. Die Mitarbeitenden arbeiten einschichtig von Montag bis Freitag. Bei Auftragsspitzen wird auch mal am Samstag gearbeitet. Die Mitarbeiter sind teilweise hoch qualifiziert und haben immer deutlich gemacht, dass Schichtarbeit nicht erwünscht ist. Daraufhin hat das Unternehmen den Fokus auf Prozess- und Layoutoptimierung gelegt, um die Produktionskapazitäten zu erweitern, irgendwann wurde dann eine neue Halle gebaut.
Wald: Im Weiteren haben Sie auf die vorgesehene Nutzung von Gleitzeit und selbstbestimmter Gruppenarbeit hingewiesen. Es handelt sich um Aspekte, die auf New Work hinweisen. Wie stellt sich das Verhältnis von Gleitzeit und Selbstbestimmung konkret dar?
Zander: Aktuell gibt es für die einzelnen Mitarbeitenden bereits die Möglichkeit der Gleitzeit, was in der Produktion extrem selten ist. Es gibt sogar die Möglichkeit, dass man während der Arbeitszeit mal sein Kind von der Kita holt und dann wieder zurückkommt. Das wird immer im Team abgestimmt und dann kompensieren die anderen, wenn jemand noch nicht oder nicht mehr anwesend ist. Die Basiskapazität ist auf eine durchschnittliche Betriebszeit von 40 Stunden ausgelegt, wobei die wöchentliche Arbeitszeit geringer ist. Bis dato ist es so, dass jeden Tag eher 8 Stunden gearbeitet wird, bei hohem Bedarf auch länger und wenn etwas schiefläuft wird am Samstag nachgearbeitet. Wir bauen das gerade dahingehend um, dass die Teams selbstständig entscheiden können, wann und wie sie arbeiten möchten. D.h. die Teams können selbstständig entscheiden, ob sie jeden Tag etwas länger arbeiten und bei geringeren Bedarf nur eine 4-Tage-Woche haben oder bei normalem Bedarf, dass man z.B. am Freitag Mittag fertig ist, wen man Montag bis Donnerstag 9 Stunden arbeitet. Läuft dann was schief, kann man noch den Freitagnachmittag dranhängen. Der Samstag wird so vermieden. Wenn es aber z.B. sehr heiß sein sollte, könnten die Teams auch entscheiden, dass die tägliche Arbeitszeit verringert wird und auf mehr Arbeitstage verteilt wird. Dann käme man früher aus der warmen Produktionshalle und kann evtl. noch zum Schwimmen gehen. Maßgeblich für den Arbeitgeber ist nur, dass die gewünschte Anzahl Maschinen produziert wird. In Phasen mit weniger Bedarf könnten auch mal 3-Tage-Wochen möglich sein. Das wird dann alles über ein Zeitkonto gesteuert.
Wald: Erfahrungsgemäß sind die Vorstellungen des Unternehmen und die Erwartungen der Mitarbeiter nicht immer deckungsgleich. Was passiert hier, um das Projekt erfolgreich umzusetzen?
Zander: In diesem Fall ist das recht einfach, da das Ziel des Arbeitgebers nicht Effizienzsteigerung, sondern Verbesserung der Bedingungen für die Mitarbeitenden und damit auch Verbesserung der Arbeitgeberattraktivität ist. Aber natürlich hat auch der Arbeitgeber was davon. In Unternehmen mit unattraktiver Schichtarbeit wird uns berichtet, dass man faktisch keine Leute mehr findet. Das wird früher oder später dazu führen, dass die Löhne deutlich steigen müssen, um Mitarbeitende zu gewinnen. Mit dem gerade beschriebenen Modell kann man sicher auch Mitarbeitende rekrutieren, ohne extrem an der Lohnschraube zu drehen. Um sicherzugehen, dass wir nichts machen, was die Mitarbeitenden nicht wollen haben wir Mitarbeiterinterviews durchgeführt und uns intensiv mit den Betriebsräten abgestimmt. Aktuell sind wir dabei das Grobkonzept in ein Detailkonzept zu verfeinern. Das werden wir dann wieder mit dem Betriebsrat abstimmen und schlussendlich auch mit den Mitarbeitenden.
Wald: Als „altem“ Personaler interessiert mich dabei natürlich immer, welche Rolle das Personalmanagement dabei spielt/gespielt hat.
Zander: Tatsächlich wurde das Projekt aus dem Produktionsbereich angestoßen, was mittlerweile tatsächlich häufiger der Fall ist als aus HR. In dem konkreten Fall wird das Projekt jetzt aber auch sehr konstruktiv durch HR begleitet. Insgesamt würde ich mir aber wünschen, dass HR die strategische Funktion von Arbeitszeit mehr realisiert und das Heft öfter in die Hand nimmt. In einem sehr innovativen Projekt haben wir sogar die Situation gehabt, dass uns HR sogar noch Steine in den Weg gelegt hat, weil man ja nichts an den eigenen Prozessen verändern wollte. Das Projekt war dann nicht wegen, sondern trotz HR erfolgreich…
Wald: Was sollten andere Unternehmen bei der Umsetzung innovativer Arbeitszeitlösungen beachten?
Zander: Ganz wichtig ist, dass man nicht mit Standardkonzepten startet. So attraktiv das geschilderte Modell auch ist, es wird nur wenige Unternehmen geben, in welchen man das eins zu eins umsetzen kann. Daher ist es wichtig, die Ausgangslage genau zu analysieren. Wie ist der Personalbedarf? Wieviel Flexibilität wird benötigt? Wie sind die Abhängigkeiten in der Organisation? Was sind die Bedürfnisse der Mitarbeitenden? Wie positioniert sich der Betriebsrat? Wir reif sind Beschäftigte und Führungskräfte gerade in Bezug auf Selbstplanung? Wie ist die Qualifikations- und Altersstruktur? All diese Fragen und viele mehr müssen erst einmal beantwortet werden bevor man ein individuell passendes Modell entwickelt. Und man muss Mitarbeitende und Betriebsräte von Anfang an involvieren.
Wald: Herzlichen Dank für das offene Gespräch! Ich freue mich sehr auf den dritten Teil unserer Gesprächsreihe.
Zander: Es war mir wie immer eine Freude und bis zum nächsten Mal.
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